Wegen eines Stromausfalls in einer Wohnung in der Silberburgstraße ruft eine Frau einen Elektriker. Der Mann kassiert ordentlich ab. 970 Euro verlangt er für die Behebung des Fehlers.
Eine Mieterin in Stuttgart-West hat es sich an einem Wochentag kurz vor 19 Uhr in ihrer Wohnung gemütlich gemacht. Unvermittelt geht ihr Fernseher aus, auch der Ventilator, der gerade noch für etwas Kühlung gesorgt hat, wird immer langsamer. Wenig später bleibt er ganz stehen. Stromausfall. Weil die Nachbarn nicht betroffen sind, sucht die Frau im Internet nach einem Notdienst, der ihr auch zeitnah hilft. Beim Bezahlen folgte das böse Erwachen: knapp 1000 Euro werden verlangt.
„Die Mieterin ist in die Fänge von Abzockern geraten“, erklärt Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Die Frau hat im Stress zum Hörer gegriffen, damit fing das Elend an.“ Offenbar hatte sie Angst um ihre Lebensmittel in der gut gefüllten Gefriertruhe und konnte die Vermieterin nicht umgehend erreichen. Im konkreten Fall hätte keine Eile bestanden, so Bauer. „Moderne Geräte halten die Temperatur auch ohne Strom über längere Zeit.“
Direkt per EC-Karte bezahlt
Die Mieterin bezahlte den mutmaßlichen Elektriker direkt in der Wohnung per EC-Karte. Der Blick auf die „Wucher-Rechnung“ macht Bauer wütend. „Das ist kriminell“, so der Experte, der bei der Verbraucherzentrale für die Bereiche Bauen, Wohnen und Energie zuständig ist. Seiner Ansicht nach wären 200 Euro realistische Gesamtkosten gewesen. Aber allein die Notdienst-Abrufbereitschaft schlägt mit 399 Euro zu Buche – netto versteht sich. Der Abendzuschlag beträgt noch einmal 199 Euro. Hinzu kommt noch die Anfahrtspauschale von 49 Euro – innerorts ist die Hälfte üblich.
Immerhin zeigte sich der Techniker bei der Arbeitszeit kulant, obwohl er offenbar 19 Minuten für das Finden des Fehlers und den anschließenden Tausch einer Sicherung benötigt hat, rechnete er „nur“ eine Viertelstunde à 49 Euro ab. Allerdings verlangte er für das Ersatzteil knapp 70 Euro. „Ich bin überzeugt, dass es überteuert war“, sagt Bauer. Zugleich befürchtet er, dass die Arbeiten nicht ordentlich durchgeführt wurden. „Warum hat die Sicherung ausgelöst? Ich würde nur einen Elektromeister an meinen Zählerkasten lassen. Alles andere ist gefährlich.“
Die Rechnung des Elektrikers hat es in sich. Foto: privat
Er kritisiert auch, dass die Rechnung unvollständig sei. „Sie verstößt gegen elementare Vorschriften. Es liegt vieles im Argen. Wichtige Angaben wie der Name des Geschäftsführers fehlen. Darüber hinaus ist das Formular gemacht, um die Leute zu bescheißen. Die Verbraucherzentrale verfolgt das Gebaren dieser Unternehmen schon lange und arbeitet eng mit dem Bundeskriminalamt zusammen.“ Durch Aufklärung und Beratung sei es gelungen, die Zahl der unseriösen haushaltsnahen Dienstleister deutlich nach unten zu drücken. „Aber es kommt immer wieder vor. Wir würden diesen Sumpf gerne austrocknen, aber das ist unheimlich schwierig.“
Der Mitarbeiter der Verbraucherzentrale rät, im Notfall Ruhe zu bewahren und sich bereits im Vorfeld nach passenden Handwerkern umzusehen. Bei einem Stromausfall beispielsweise könne man den Notdienst von Stuttgart Netze anrufen. Vermieter sollten zudem solche Situationen mit ihren Mietern durchsprechen. „Auch bei Gefahr im Verzug sollte man nicht in Panik geraten.“ Auf keinen Fall sollte man sich von Betrügern unter Druck setzen lassen. Beispielsweise bei der Zahlung. „Ein Schlüsseldienst fuhr eine Frau mit geringer Rente, der die Tür zugefallen war, zur Bank, um Geld abzuheben.“ Sie sei um 1100 Euro erleichtert worden. Für Arbeiten, die ein Fachmann in zehn Minuten erledigen würde. Generell müsse man keine Rechnung bar oder per Bankkarte an der Haustür zahlen.
Im Zweifel die Polizei rufen
„Seriöse Handwerker akzeptieren keine Zahlungen an der Haustür, verfügen nicht über mobile Kartenlesegeräte und verlangen keine Vorauszahlungen“, sagt Bauer. Zudem wird der Vertrag nicht am Telefon, sondern erst vor Ort geschlossen. Doch was tun, wenn man den Verdacht hat, Handwerker mit betrügerischen Absichten im Haus zu haben. „Im Zweifel die Polizei rufen“, lautet seine Empfehlung. Die Beamten sind zwar nur zuständig, wenn ein Straftatbestand wie eine Nötigung vorliegt, ansonsten ist es ein zivilrechtlicher Vorgang. „Meistens klärt sich die Situation schnell, sobald die Polizei vor Ort eintrifft.“
Die Verbraucherzentrale rät
Vertrag anfechten
Wurde der Verbraucher durch falsche Angaben, das Verschweigen wesentlicher Informationen oder irreführende Kommunikation zur Vertragsunterzeichnung veranlasst, liegt eine arglistige Täuschung vor. In diesem Fall kann der Vertrag nach Paragraf 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches angefochten werden. Die Anfechtung muss unverzüglich nach Bekanntwerden der Täuschung erklärt werden.
Rückerstattung
Die Verbraucherzentrale rät im Falle einer Abzocke wie folgt vorzugehen: Widerspruch gegen die Rechnung per Einwurfeinschreiben. Darin sollte dem Handwerker eine konkrete Frist von zehn Tagen zur Rückerstattung des gezahlten Betrags gesetzt werden. Zur Begründung kann auf die arglistige Täuschung und auf Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) hingewiesen werden.
Bank kontaktieren
Wenn die Zahlung per EC-Karte erfolgt ist, sollten Betroffene den Vorfall ihrer Bank schildern und eine Kopie des Zahlungsnachweises (zum Beispiel Kassenbeleg oder Kontoauszug) beilegen. Auch wenn Banken bei Zahlungen mit PIN-Eingabe nicht verpflichtet sind, die Transaktion rückgängig zu machen, haben einzelne Banken dies in vergleichbaren Fällen auf Kulanzbasis dennoch getan.
Anzeige erstatten
In jedem Fall sollten Betroffene Anzeige wegen Abrechnungsbetrugs erstatten. Dies ist bequem online möglich unter https://online-strafanzeige.de/baden-wuerttemberg. Optional können Verbraucher das zuständige Finanzamt am angeblichen Unternehmenssitz über den Vorfall informieren, insbesondere wenn der Verdacht auf Umsatzsteuerbetrug besteht. Ebenfalls freiwillig ist eine Mitteilung an das zuständige Gewerbeamt am angegebenen Geschäftssitz. Gründe dafür können sein: fehlende Anmeldung, unklare Firmenadresse oder der Verdacht auf ein Scheingewerbe. In beiden Fällen reicht eine formlose Mitteilung mit Kopien der Unterlagen.