Frankreich und Grossbritannien wollen Bootsflüchtlinge künftig im Verhältnis «einer rein, einer raus» behandeln. Das Pilotprojekt erinnert an den EU-Türkei-Deal.
Bootsmigranten an der Kanalküste nahe Wimereux, Nordfrankreich. Aufnahme vom September 2024.
Benoit Tessier / Reuters
Keir Starmer und Emmanuel Macron zählen derzeit nicht gerade zu den populärsten Staats- und Regierungschefs. In Grossbritannien liegt die Zustimmung für den Labour-Premierminister bei lediglich 24 Prozent. In Frankreich erreicht Präsident Macron sogar nur 21 Prozent. Beiden Männern sitzen mit dem rechtsnationalen Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen und der rechten Reform-UK-Partei von Nigel Farage jeweils lautstarke Gegner im Nacken, die von keinem Thema so sehr profitieren wie von der ungesteuerten Migration.
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Gefordert, zu liefern
Starmer und Macron waren also gefordert, bei einer der heikelsten Streitfragen zwischen Paris und London diese Woche zu liefern. Mit über 21 000 Migranten, die seit Januar in kleinen Booten von Frankreich nach Grossbritannien übergesetzt haben, wurde ein neuer Höchststand verzeichnet, der vor allem die britische Regierung unter Druck setzt. Und tatsächlich: Zum Abschluss von Macrons dreitägigem Staatsbesuch im Nachbarland einigten sich beide Regierungen am Donnerstag unerwartet auf ein gemeinsames Pilotprojekt.
Zum ersten Mal sollen demnach Migranten, die über den Ärmelkanal illegal nach Grossbritannien gelangen und dort aufgegriffen werden, nach Frankreich zurückgebracht werden können. Im Gegenzug darf für jede zurückgeführte Person eine andere legal ins Vereinigte Königreich einreisen. Das Modell der Schlepperbanden werde so nachhaltig untergraben, sagte Macron. «One in, one out» (Einer rein, einer raus) nennt die britische Presse das Prinzip. Starmer lobte es als «bahnbrechend».
Der britische Premierminister und sein Gast betonten, dass das Projekt vorläufig nur eine geringe Zahl von Migranten betreffen werde. Es sei ein erster Schritt, hiess es. Aber womöglich einer mit Signalwirkung, da erstmals ein legaler und sicherer Weg für Asylanträge geschaffen werde, der Menschen davon abhalten könne, die gefährliche Überfahrt über den Ärmelkanal zu wagen, bei der es immer wieder zu Todesfällen komme. Wie viele Migranten Grossbritannien genau wieder zurückschicken darf, liessen Starmer und Macron offen. In französischen Zeitungen hiess es, es sollten um die 50 pro Woche sein.
Das Abkommen sieht auch vor, dass Frankreich weitere finanzielle Mittel erhalte (ein genauer Betrag wurde nicht genannt); zusätzlich zu den bereits von London gezahlten 760 Millionen Euro zur Finanzierung von Überwachungsanlagen und Massnahmen gegen illegale Migration. An der grundsätzlichen Aufgabenteilung zwischen den beiden Ländern ändert sich nichts. Frankreich bleibt weiterhin dafür zuständig, Migranten noch vor der Überfahrt an der eigenen Küste zu stoppen. In Paris verwies man bis anhin darauf, dass dies in der Praxis nicht immer möglich sei. So dürfen französische Sicherheitskräfte Migrantenboote in Küstennähe in der Regel nur dann aufhalten, wenn ein Fall von akuter Seenot vorliegt. Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau will das ändern.
Abkommen wie mit der Türkei?
Das Abkommen erinnert an eine Vereinbarung, die nach der Flüchtlingskrise 2015/2016 mit der Türkei ausgehandelt wurde. Diese sah vor, dass die türkische Regierung alle Migranten zurücknehmen sollte, die irregulär auf die griechischen Inseln gelangt waren, während sich die EU im Gegenzug bereit erklärte, für jeden zurückgeschickten Syrer einen anderen syrischen Flüchtling legal aus der Türkei aufzunehmen.
Funktioniert hat das allerdings nur zum Teil, weil viele Migranten nach ihrer Ankunft in Griechenland zunächst ein Asylverfahren durchlaufen durften und eine Rückführung erst nach einer Ablehnung möglich war. Auch beim Ärmelkanal-Deal sollen die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten mitreden dürfen. Macron kündigte an, das Abkommen in Brüssel vorzustellen und rechtlich prüfen zu lassen.