Kiew. Putin lässt nicht nur verstärkt ukrainische Städte bombardieren. Er richtet die russischen Attacken gezielt auf Büros der ukrainischen Armee.
Russland setzt im Ukraine-Krieg auf eine perfide neue Taktik: Zum ersten Mal greifen russische Streitkräfte Einberufungszentren direkt aus der Luft an – mit Drohnen und Raketen. Allein in den vergangenen Tagen gab es mindestens drei prominente Angriffe. Am 30. Juni trafen Drohnen ein Rekrutierungsbüro in Krywyj Rih, der Geburtsstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Am 3. Juli wurde ein Zentrum im ostukrainischen Poltawa mit Raketen beschossen, dabei kamen mindestens drei Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Wenige Tage später, am 6. Juli, wurde auch das Einberufungsbüro in Krementschuk, ebenfalls Region Poltawa, Ziel eines Angriffs. Einen Tag später erwischte es Zentren in Charkiw und Saporischschja.
„Das Hauptziel der russischen Angriffe auf Einberufungsbüros ist der Versuch, die Mobilisierungsbemühungen in der Ukraine zu stören“, sagt Witalij Saranzew, Sprecher des Kommandos der Landstreitkräfte, die für die Mobilmachung zuständig sind. Die ukrainische Armee rechne mit weiteren Luftangriffen auf Rekrutierungszentren. „Unsererseits werden wir alles dafür tun, um das dort tätige Personal sowie Zivilisten, die diese Zentren besuchen, zu schützen“, so Saranzew weiter.
Ukrainische Mobilmachung bleibt heikel – und verwundbar
Ob Russland damit die Mobilmachung tatsächlich lahmlegen kann, ist fraglich. Zu viele Einberufungsbüros sind über das ganze Land verteilt, zudem werden Luftalarme dort meist strikt befolgt. Zwar sind die Schäden an den Gebäuden in Krementschuk, Krywyj Rih und Poltawa beträchtlich, doch die Zahl der Todesopfer blieb bislang vergleichsweise niedrig.
Die Mobilisierung ist und bleibt dennoch eines der sensibelsten Themen für die ukrainische Gesellschaft. Zwar stellt kaum jemand die Notwendigkeit infrage, das Land gegen Russland zu verteidigen. Doch den eigenen Kopf im Norden der Region Donezk für einen immer intensiver geführten Drohnenkrieg hinzuhalten, wollen freiwillig nur wenige. Passend dazu wurde der Neologismus „Bussifizierung“ 2024 zum Wort des Jahres gewählt. Er beschreibt die Praxis, Männer direkt auf der Straße in Busse zu zwingen, um sie zum Dienst einzuziehen – ein Phänomen, das trotz Übertreibungen durch die russische Propaganda längst real ist.
Russlands Ziel: Spaltung durch Angst vor der Einberufung
Für manche ukrainische Männer erscheinen deshalb die Mobilisierungsoffiziere als unmittelbarere Gefahr als Wladimir Putin selbst. Während von Russland eher eine abstrakte Bedrohung ausgeht, sind es diese Beamten, die sie tatsächlich in den Tod schicken könnten. Russland setzt genau hier an: Es will mit seinen Angriffen und Propagandakampagnen die Spaltung innerhalb der ukrainischen Gesellschaft vertiefen – ein Kalkül im langen Zermürbungskrieg, der an vielen Fronten geführt wird.
Bereits zuvor hatte Russland versucht, die Mobilisierung mit Sabotageakten zu stören. Im Februar 2025 stieg die Zahl von Brandanschlägen auf Einberufungsämter deutlich an. Laut ukrainischen Geheimdiensten werden dafür vor allem Jugendliche angeworben, die schnelles Geld verdienen wollen – zuletzt auch verstärkt Rentner. Parallel läuft eine massive Desinformationskampagne, die reale Versäumnisse bei der Mobilisierung überzeichnet darstellen soll.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Trotz aller Angriffe zählt die Mobilisierung unverändert zu den größten Herausforderungen für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Zwar werden der Armee die Männer so bald nicht ausgehen – allein wegen der Bevölkerungszahl ist der Rekrutierungsprozess jedoch zunehmend schwerer. Und je länger der Krieg dauert, desto mehr wächst auch der innere Widerstand – eine Schwachstelle, die Russland gezielt ausnutzt.