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Die Pianistin am Flügel, hinter ihr das Orchester. Anna Vinnitskaya im Wiesbadener Kurhaus. © Ansgar Klostermann

Beim Rheingau Musik Festival fällt eine Pianistin aus, die es dem Ersatz nicht leicht macht – ein Ritt auf Messers Schneide.

Wie viele Pianisten sind nötig, um Yuja Wang zu ersetzen? Also rein rechnerisch? Nun, die chinesische Pianistin ist dafür bekannt, gerne nicht nur ein Klavierkonzert pro Abend zu spielen, sondern gleich mehrere. Bis zu vier sind da möglich – ja, sie gab schon alle vier Rachmaninow-Konzerte am Stück!

So gesehen hatte das Rheingau Musik Festival noch Glück, dass für Wangs Gastspiel im Wiesbadener Kurhaus nur zwei ausgewachsene Klavierkonzerte programmiert waren: Das zweite von Frédéric Chopin und das berühmte erste von Peter Tschaikowsky. Nach der Sinnhaftigkeit, zwei so populäre Virtuosen-Konzerte der Romantik in ein Programm zu packen, frage man hier besser nicht.

Ohnehin schon gewagt

Als nun jedenfalls am Morgen des Wiesbadener Konzerttages Wangs Anruf aus Paris kam mit der krankheitsbedingten Absage, ratterte die bestens geölte RMF-Maschinerie mit ihren unzähligen Kontakten in die hohe Pianistenszene los, und bis Mittag waren zwei hochkarätige Kräfte gefunden, die das Programm genau so übernahmen. Der Kanadier Jan Lisiecki ließ sich auf Chopin ein, die Russin Anna Vinnitskaya auf Tschaikowsky. Auf nur ein Klavierkonzert auszuweichen und mit etwas Sinfonischem zu ergänzen schien keine Option, denn das Mahler Chamber Orchestra begleitete Yuja Wangs Tournee ohne Dirigenten. An sich schon eine gewagte Konstellation, gerade für Tschaikowsky. Jetzt mit Ersatzkräften ein Ritt auf Messers Schneide.

Der Pianist am Flügel, hinter ihm Orchestermusiker.Jan Lisiecki im Wiesbadener Kurhaus. © Ansgar Klostermann

Zunächst Jan Lisiecki, ein Pianist mit polnischen Wurzeln, Chopin ist ihm ganz nah. In der Solo-Tutti-Koordination hatte er die einfachere Aufgabe, und er war auch der, der gerade mit dem Solo-Fagottisten des Orchesters im steten Austausch war. Das f-Moll-Konzert spielte Lisiecki schön flüssig und klar, nie zerdehnt – Rubato-Orgien hätten den Mann hinter ihm auch ganz schön ins Schwitzen gebracht. Da saß nämlich mit José Maria Blumenschein der Konzertmeister des Mahler Chamber Orchestra, ein extrem erfahrener Geiger in dieser Position und sozusagen der stille Held dieses Abends. Er hielt das Orchester auf Kurs, mit den allerdeutlichsten Einsätzen.

Dann Tschaikowsky, das Klavierkonzert mit dem ikonischen Beginn und den so vielen Okatvläufen im Klavier. Anna Vinnitskaya meisterte sie nicht nur lupenrein, sondern auch ohne jede Härte. Mag sein, dass Tasten-Derwisch Wang da noch mehr Glamour versprüht hätte, aber die Geschmeidigkeit Vinnitskayas war schon ein Wert an sich.

Das 1997 von Claudio Abbado gegründete Mahler Chamber Orchestra war für diesen Tschaikowsky in den Streichern auffallend klein besetzt, was erst einmal irritieren konnte: Es fehlte eben der satte Streicher-Gegenspieler zum Klavier. Umso klarer waren die Bläser zu hören, die mit großer Konzentration, Sicherheit und Präzision einen Dirigenten wirklich nicht vermissen ließen – abgesehen von zwei Passagen im Schlusssatz, wo Solo und Tutti dann doch kurz mal getrennte Wege gingen. Aber erst durch solche Momente wird ja auch deutlich, wie nah am Abgrund diese Ritte auf Messers Schneide stattfanden. Und welche Konzentrationsleistung aller Beteiligten dahintersteckt.