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Vor allem die 30- bis 39-Jährigen ziehen aus der Stadt. © Rolf Oeser
Neue Daten zeigen: Platz und Perspektive entscheiden über den Wohnort.
Wiesbaden wächst. Aber wie viel Wachstum verträgt die Stadt? Und wo? Diese Fragen sind nicht nur technisch, sondern hochpolitisch. Derzeit befindet sich die Landeshauptstadt in einer entscheidenden Phase: Auf mehreren Ebenen wird an der Zukunft gearbeitet. Damit die Politik wichtige Fragen auf einer breiten Erkenntnisbasis entscheiden kann, hat die Verwaltung eine Reihe von Untersuchungen und Befragungen angestoßen – zum Beispiel zu den Wanderungsmotiven: Warum ziehen Menschen nach Wiesbaden? Und aus welchen Gründen verlassen sie die Stadt? Oberbürgermeister und Stadtplanungsdezernent Gert-Uwe Mende (SP) sieht nach der Veröffentlichung der Ergebnisse seinen Verdacht bestätigt: „Wir verlieren Teile der Bevölkerung, weil ein entsprechendes Wohnungsangebot fehlt.“
Während junge Menschen die hessische Landeshauptstadt für ihre gute Infrastruktur, kurze Wege zur Arbeit und ihr kulturelles Angebot schätzen, zieht es Familien hinaus. Die Ursachen liegen offen: Hohe Mieten, zu wenig bezahlbarer Wohnraum und kaum Spielraum für individuelle Lebensphasen.
Wiesbaden zieht junge Menschen an
6000 Bürgerinnen und Bürger, die 2023 zu- oder weggezogen sind, sind vom Amt für Statistik und Stadtforschung befragt worden. Ihre Antworten liefern der Stadtpolitik wichtige Erkenntnisse – und zugleich eine Hausaufgabe: Wer Wiesbaden zukunftsfähig gestalten will, muss Wohnraum nicht nur schaffen, sondern ihn auch gezielt an Bedürfnisse anpassen.
Vor allem junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren entscheiden sich für ein Leben in Wiesbaden. Gründe sind häufig berufliche Chancen, Ausbildungsplätze oder ein Wechsel zum Studium. „Es ist erfreulich, dass Wiesbaden junge Menschen anzieht“, sagt Maral Koohestanian, Dezernentin für Statistik und Stadtforschung. Aber: „Wir müssen daran arbeiten, dass sie auch bleiben.“
Denn wer in die Familiengründungsphase kommt, sucht oft vergeblich nach größeren, bezahlbaren Wohnungen in guter Lage – und zieht weiter. Die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen verlässt die Stadt überdurchschnittlich häufig. 59 Prozent der Fortziehenden gaben an, durch den Umzug mehr Wohnfläche gewonnen zu haben. Auf der anderen Seite mussten ebenso viele Zugezogene höhere Wohnkosten in Kauf nehmen.
Der Traum vom Eigenheim bleibt oft unerfüllt
In den zurückliegenden Jahren sind viele Menschen ins Wiesbadener Umland gezogen, doch diese Entwicklung ebbt ab – möglicherweise, weil auch dort die Miet- und Kaufpreise für Immobilien angezogen haben. Überrascht hat die Statistiker:innen, dass nach einem Wegzug das Wohnen zur Miete in einem Mehrfamilienhaus die dominante Wohnform bleibt. Eher war erwartet worden, die Menschen könnten an ihrem neuen Wohnort den Traum vom Eigenheim verwirklichen. Dass sie das nicht in großem Ausmaß tun, könne eine Chance für Wiesbaden sein, sagt Peter Becker, Projektleiter der Wanderungsmotivbefragung. Dann, wenn man Mieter:innen ein entsprechendes Angebot in der Stadt unterbreiten könne.
Die Studie zeigt auch, dass viele der Fortgezogenen ein grundsätzlich positives Bild von Wiesbaden behalten: 31 Prozent könnten sich vorstellen, zurückzukehren – allerdings nur, wenn sich das Wohnangebot verbessert. Besonders gefragt sind familienfreundliche Quartiere, eine bessere verkehrliche Anbindung und ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das mit dem Umland mithalten kann.
Derzeit arbeitet die Stadt an der wohl weitreichendsten stadtplanerischen Entscheidung der kommenden Jahrzehnte: Der Flächennutzungsplan aus dem Jahr 2003 wird überarbeitet. Darin wird festgelegt, welche Gebiete künftig für Wohnen, Gewerbe oder Infrastruktur infrage kommen – und welche aus ökologischen oder klimatischen Gründen besser unbebaut bleiben sollten. Bei der Frage, ob Flächen, die heute noch Äcker und Wiesen sind – das Baugebiet Ostfeld beispielsweise – bebaut werden sollen oder nicht, darüber gehen die Meinungen in Politik und Stadtgesellschaft auseinander.
Die Stadt plant aber nicht im luftleeren Raum. Die Regionalversammlung Südhessen arbeitet an einem neuen Regionalplan – einem Planwerk, das die Flächennutzung der Region festschreibt.
Die Wanderungsmotivbefragung soll vor allem wichtige Impulse zur Neuaufstellung des Flächennutzungsplans liefern. Sie zeigt, dass es nicht allein darum geht, mehr Wohnraum zu schaffen – sondern den passenden für Menschen in verschiedenen Lebensphasen.