Mit hohen Zöllen will der amerikanische Präsident ausländische Firmen dazu zwingen, viel in Amerika zu investieren. Dabei haben gerade europäische das bisher getan.
Im Dezember vergangenen Jahres überredet der gewählte amerikanische Präsident Donald Trump in Mar-a-Lago den japanischen Softbank-Gründer Masayoshi Son vor laufender Kamera, doch 200 statt 100 Milliarden Dollar in den USA zu investieren.
Reuters
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Ob er das heute noch einmal so machen würde? Noch vor Donald Trumps Amtsbeginn trat der Gründer und CEO der japanischen Softbank-Gruppe in Mar-a-Lago mit diesem vor die Mikrofone.
Masayoshi Son erklärte, er wolle die Wahl von Trump feiern und habe grosses Vertrauen in dessen Politik. Deshalb wolle er 100 Milliarden Dollar in den USA investieren und dort mindestens 100 000 Arbeitsplätze schaffen. Als Trump ihn im Verlauf des Gespräches bat, sein Engagement zu verdoppeln, brach Masayoshi in Lachen aus, nahm Trump beim Arm und erklärte: «Mein Versprechen sind 100 Milliarden, aber unter Ihrer Führung und mit unserer Partnerschaft, wissen Sie, da werde ich versuchen, 200 Milliarden daraus zu machen.»
Zuerst Europa, dann die USA
Sieben Monate später verschickt Trump Briefe an Staats- und Regierungschefs und veröffentlicht diese auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social. Darin droht er horrend hohe länderspezifische Einfuhrzölle an. Und schreibt dann: «Ihnen ist sicher bewusst, dass keine Zölle anfallen werden, wenn Ihr Land oder Unternehmen aus Ihrem Land sich entscheiden, Produkte innerhalb der USA herzustellen.»
Geopolitische Einordnung im Überblick
Kurzgefasst: Der offene US-Markt war bisher sehr attraktiv und wichtig für ausländische Investitionen in hochproduktive Tätigkeiten. Das Kalkül dieser Investitionen verändert sich, wenn man in Amerika nur noch abgeschottet für Amerika produzieren kann.
Geopolitische Einschätzung: In den vergangenen Jahren ist sehr viel Geld aus Europa in die USA geflossen. Dieses könnte nun zurück oder nach Asien fliessen.
Blick voraus: Entscheidend wird sein, wie lange die gegenwärtige Unsicherheit und Unberechenbarkeit der amerikanischen Wirtschaftspolitik anhält.
Am vergangenen Donnerstag erhielt das bisher im Rahmen der Nordamerikanischen Freihandelszone mit den USA integrierte Kanada einen solchen Brief und die Ankündigung von einem Zusatzzoll von 35 Prozent per 1. August. Masayoshis Japan hat schon vorher 25 Prozent angedroht erhalten, Mexiko und die EU nun am Wochenende 30 Prozent.
Noch hoffen die Märkte, dass es Trump nicht wirklich ernst ist. Doch der neue amerikanische Präsident und seine Regierung erhöhen bereits Schritt für Schritt die Kosten für die Einfuhr von Waren. Die Firmen sollen stattdessen in den USA investieren und produzieren. «Wir werden ‹made in USA› haben wie noch nie zuvor», erklärte Donald Trump schon vor zwei Monaten vor Wirtschaftsvertretern.
Bloss: War das denn bisher nicht der Fall, und wie stehen die Chancen, dass Trumps Rechnung aufgeht?
Ein Blick in die Statistiken der Unctad zeigt: Der Anteil der USA am weltweiten Bestand an ausländischen Direktinvestitionen hat zur Jahrhundertwende einen Höhepunkt von knapp 40 Prozent erreicht. Danach ist er auf Kosten des europäischen Anteils geschrumpft und seit 2013 wieder angestiegen. Zuletzt entsprach er mit 26 Prozent unter Joe Biden exakt dem (bemerkenswert hohen) Anteil der amerikanischen Wirtschaftsleistung am globalen Bruttoinlandprodukt (BIP). Europa dominiert historisch die ausländischen Direktinvestitionen. Sein Investitionsanteil war auch 2023 mit 35 Prozent überproportional hoch. China hat erst 12 Prozent der Direktinvestitionen angezogen, obwohl es für 17 Prozent des globalen BIP aufkommt, Indien gar bloss mit 1 Prozent.
Die Schweiz verliert Hunderte Milliarden
Anders gelagert ist das Bild, wenn man nur die neuen Zuflüsse betrachtet. Dann wird klar, dass die Bedeutung Europas in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgegangen ist und diejenige der USA nur leicht zugenommen hat. Die grossen Gewinner waren China inklusive Hongkongs sowie die anderen (südostasiatischen) Länder jenseits von Japan und Indien. Hier fanden und finden die Investoren offensichtlich noch ungenutztes Potenzial. In Europa hingegen sind die Neuzuflüsse 2022 sogar negativ geworden. Das bedeutet, dass die Rückflüsse von ausländischen Direktinvestitionen grösser waren als die Neuzuflüsse.
Besonders ausgeprägt war dies seit 2018 in Westeuropa der Fall. Neben den Niederlanden und Luxemburg, über die aus steuerlichen Gründen viele Direktinvestitionen fliessen, war davon die Schweiz ganz besonders betroffen. Laut den Daten der Schweizerischen Nationalbank sind seit 2018 volle 719 Milliarden Franken an ausländischen Beteiligungen in andere Länder Europas und in die USA abgeflossen. Unter Einbezug der einbehaltenen Gewinne haben sich die Direktinvestitionen um 582 Milliarden Franken vermindert. Dazu haben auch steuerliche Veränderungen beigetragen. Wer behauptet, der Standort Schweiz habe in den vergangenen Jahren nicht an relativer Attraktivität verloren, den strafen diese Zahlen Lügen.
Wenn also Trump tatsächlich die Absicht hegt, noch mehr ausländische Direktinvestitionen in die USA zu locken, dann muss es ihm gelingen, die Attraktivität der USA auf Kosten vor allem Asiens, aber auch Europas weiter zu steigern.
Denn die Zahlen des amerikanischen Statistikbüros sprechen eine klare Sprache: Gut die Hälfte aller Zuflüsse an ausländischen Direktinvestitionen kam in den vergangenen Jahren aus Europa; bedeutende Investoren waren daneben noch Kanada, Japan und das übrige Asien.
Will Trump wirklich chinesische Investitionen?
Trump geht davon aus, dass sich Handel durch Direktinvestitionen substituieren lässt. Das stimmt bis zu einem gewissen Grad: Wer mit seinen Produkten auf eine hohe Nachfrage stösst und diese nicht oder nurmehr zu stark erschwerten Bedingungen exportieren kann, ist vor die Wahl gestellt, sie vor Ort herzustellen oder auf den Markt zu verzichten.
Ein Vergleich der Wirtschaftsdaten von Kanada, China, Deutschland und der Schweiz bestätigt dies – allerdings nur zum Teil.
Kanada war bisher zusammen mit Mexiko und den USA in einer Freihandelszone integriert. Seine Firmen konnten in den verschiedenen Ländern Bestandteile ihrer Produkte für den gesamten nordamerikanischen Markt produzieren. Obwohl Kanada nur für 2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aufkommt, kamen 13 Prozent aller Güterimporte der USA aus diesem Nachbarland. Die Handelsbarrieren, die Trump errichtet, treffen die kanadische Wirtschaft denn auch besonders hart. In die Industrieproduktion in den USA haben die Kanadier bisher tatsächlich wenig investiert. Dafür in den Immobiliensektor, in Banken, den Handel und in den Nahrungsmittelsektor.
Mindestens so stark getroffen wie die kanadischen sind die chinesischen Firmen, die bisher ein starkes Amerika-Geschäft hatten. Sie sind vor Ort kaum mit eigener Produktion präsent. 2023 stammten 12 Prozent aller in die USA importierten Waren aus China, aber weniger als 1 Prozent aller Direktinvestitionen. Doch möchte Trump wirklich, dass chinesische Konzerne in grossem Stil amerikanische Werke aufkaufen oder in den USA hochautomatisiert Billigwaren herstellen?
Die Schweiz und Deutschland wiederum haben bereits stark auf die Produktion vor Ort gesetzt – ganz besonders in der Industrie. Die Waren, welche Deutschland und die Schweiz noch nach Amerika exportieren, machen nur 5 bzw. 2 Prozent aller Importe der USA aus. Aus den beiden Ländern stammen jedoch 14 und 7 Prozent aller industriellen Direktinvestitionen.
Es droht ein Bedeutungsverlust
Wenn es wirklich Trumps Kalkül ist, ausländische Firmen zur Produktion in den USA zu bringen, muss er aufpassen:
- In den entwickelteren Sektoren sind ausländische Firmen in den USA bereits sehr präsent. Viele dürften die Standortbedingungen dazu genutzt haben, nicht nur den Markt in den Vereinigten Staaten zu beliefern, sondern forschungsintensive Tätigkeiten und die Produktion in den USA zu bündeln und von dort aus die weitere Umgebung zu versorgen. Trumps Protektionismus droht sie nun dazu zu zwingen, künftig in den USA nur noch für die USA zu produzieren – zu höheren Preisen und wegen des gesunkenen Wettbewerbsdrucks wohl auch öfters in weniger guter Qualität. Dann müssen die USA als Investitionsstandort auch nicht mehr erste Priorität haben.
- Firmen, die bisher vor allem in die USA exportiert haben, müssen sich angesichts länderspezifischer Zölle überlegen, ob sie die USA von einem anderen Standort weiter vergleichsweise günstig beliefern können oder aber eine Herstellung in den USA aufbauen wollen. Ersteres hat bloss handelsumlenkende Effekte und verteuert gleichwohl die Importe. Investitionen wiederum haben gerade in der Industrie einen längerfristigen Zeithorizont. Unsicherheit ist für sie Gift.
- Trumps unberechenbarer Kurs führt dazu, dass sich kaum verlässliche Kalkulationen machen lassen zu den in einem halben Jahr und erst recht nicht zu den in fünf oder zehn Jahren in den USA herrschenden Bedingungen. Viele Firmen stellen deswegen ihre Investitionsentscheidungen vorerst zurück. Sollte die Unsicherheit andauern, werden sie in den USA kaum mehr investieren als unbedingt nötig.
- Die wichtigsten ausländischen Investoren kamen bisher aus Europa. Angesichts der in den USA herrschenden Unsicherheit könnten sie sich dazu entschliessen, wieder mehr in andere, etwa asiatische Märkte zu investieren, oder sich auf den europäischen Markt zurückbesinnen.
Ob Masayoshi Son bereits erste von seinen 100 bis 200 versprochenen Milliarden in den USA investiert hat, ist nicht bekannt. Vermutlich ist ihm das Lachen etwas vergangen. Wenn es so weitergeht, bleibt die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Trump gerade eine Trendwende bei den Zuflüssen an Direktinvestitionen eingeleitet hat. Aber nicht wie beabsichtigt zugunsten der USA, sondern eher zugunsten Europas und Asiens.