Ausstellung in Berlin
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Konfiziert, verkauft, zurückgeholt: Lovis Corinths Werke in der Neuen Nationalgalerie
Do 17.07.25 | 06:05 Uhr | Von Silke Hennig
dpa/Kalaene
Audio: radio3 | 17.07.2025 | Silke Hennig | Bild: dpa/Kalaene
Kunstwerke haben ihre eigene Geschichte. Wie bisweilen widersprüchlich diese sein kann, zeigen die Staatlichen Berliner Museen eindrucksvoll am Beispiel des Malers Lovis Corinth und ihren eigenen Beständen während und nach der NS-Zeit.
Als 1937 in München die Schand-Ausstellung „Entartete Kunst“ das präsentierte, was die Nationalsozialisten als „Verfallskunst“ anprangerten, befanden sich auch sieben Gemälde von Lovis Corinth (1858-1925) darunter. Drei von ihnen waren aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie beschlagnahmt worden und dazu bestimmt, anschließend „verwertet“, also verkauft zu werden. Heute befinden sich daher die Spätwerke von Lovis Corith – „Kind im Bett“ (1924), das wie eine strahlende Naturgewalt inmitten der schneeweißen Kissenlandschaft seines Gitterbettchens sitzt, und „Ecce Homo“ (1925) – in anderen Sammlungen.
Die Ausstellung „Im Visier! Lovis Corinth, die Nationalgalerie und die Aktion „Entartete Kunst'“ beleuchtet jetzt das Schicksal der Werke des Künstlers und seiner Frau, der Malerin Charlotte Berend-Corinth, in der Sammlung der Nationalgalerie.
Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie verdeutlicht die Verluste, indem sie sie als farbige Reproduktionen zeigt, während verschollene, mutmaßlich im Krieg zerstörte Bilder schwarzweiß wiedergegeben sind.
Die Ausstellung „Im Visier! Lovis Corinth, die Nationalgalerie und die Aktion ‚Entartete Kunst“ wird gezeigt in der Alten Nationalgalerie vom 18. Juli 2025 bis zum 2. November 2025. Mehr Informationen unter smb.museum.de
Im Original zu sehen ist dagegen das dritte beschlagnahmte Gemälde Corinths, das als „entartet“ in München ausgestellt war: „Das Trojanische Pferd“ von 1924. Dieses Bild kam zwei Jahre nach der berüchtigten Feme-Ausstellung – zusammen mit zwei weiteren Arbeiten des Malers – in die Nationalgalerie zurück. Der Grund dafür ist ebenso nebulös wie das, was die Nazis unter „entartet“ verstanden. Einerseits wurden längst nicht alle Corinth-Bestände aus der Sammlung beschlagnahmt – andererseits aber durchaus auch solche, die eigentlich ausgenommen waren von der Beschlagnahmeaktion, weil sie vor 1910 gemalt wurden. Denn laut Erlass des Propagandaministeriums sollten ausdrücklich nur Werke der Malerei und der Bildhauerei überprüft und gegebenenfalls entfernt werden, die späteren Datums waren.
Nazis beschlagnahmten rund 360 Corinth-Werke
Mit dem Begriff „entartet“ verfemten die Nazis Kunstwerke, wenn sie beispielsweise nicht naturalistisch oder heroisch-idealisierend waren, oder wenn es sich um Arbeiten jüdischer Künstlerinnen und Künstler handelte.
Auch die Malerin Charlotte Berend-Corinth, Ehefrau von Lovis Corinth, war jüdischer Herkunft. Die Kuratoren haben sie in ihre Ausstellung einbezogen, denn auch von ihr besaß die Nationalgalerie zwei Gemälde – und besitzt sie noch immer, denn Berend-Corinths Bilder wurden nie beschlagnahmt. 1939 kam sogar noch eines hinzu: die auf einer Spanien-Reise entstandene Ansicht von „Toledo“. Sie wurde 1929 angekauft vom preußischen Kultusministerium, dann aus dem Dienstzimmer, das es geschmückt hatte, entfernt und als „Verfalls- und Judenkunst“ der Nationalgalerie zur Verwahrung übergeben. Vernichten wollte man es offenbar nicht.
Und selbst der in der Nationalgalerie verbliebene Bestand von Gemälden ihres Mannes, von dem deutschlandweit 359 Werke der Beschlagnahme-Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer fielen, bekam noch vor Ende der NS-Herrschaft wieder Zuwachs: Lovis Corinths 1899 gemaltes Porträt des Kunstkritikers Hans Rosenhagen, das im Hintergrund und zu den Rändern hin in typischer Corinth-Manier immer skizzenhafter wirkt, wird 1943 für die Sammlung angekauft. Ein weiterer Ankauf im gleichen Jahr ist seit Kriegsende verschollen.
DDR kaufte mit Devisen Corinth-Werke
Nach 1945 und der Aufspaltung auch der Nationalgalerie in „Ost“ und „West“ befanden sich die Corinth-Bestände sämtlich in West-Berlin. In Ost-Berlin unternahm man erhebliche Anstrengungen, um diese Lücke zu schließen und erwarb mehrere Bilder des Malers im Kunsthandel. Für die dafür nötigen Devisen wurden sogar andere Kunstwerke aus der Sammlung verkauft.
Warum die DDR so großes Interesse an einem Künstler hatte, der zwar einerseits als ein Hauptvertreter des Impressionismus in Deutschland gilt, sich selbst aber bis zu seinem Tod vor 100 Jahren als „Monarchist“ betrachtete – dazu bedarf es noch weiterer Forschung. Ebenso wie zur Herkunft einiger Bilder, die zu DDR-Zeiten erworben wurden.
Ob es sich bei einem Gemälde wie der lieblich lächelnden „Frau mit Rosenhut“, die die Nationalgalerie in Ost-Berlin 1952 von einer West-Berliner Galerie gekauft hat, um NS-Raubkunst handelt, wird derzeit untersucht. Seine letzte Eigentümerin war wahrscheinlich eine jüdische Berlinerin, die sich vor ihrer Deportation 1942 das Leben nahm. Die Spur des Bildes hatte sich da aber bereits verloren. Keine Seltenheit im Fall von Lovis Corinth, der zahlreiche jüdische Sammler hatte.
Kunstwerke, die für menschliche Schicksale stehen
Fast jedes Bild in dieser sorgsam kuratierten Ausstellung hat ein anderes Schicksal. Jedes steht für eine andere Geschichte, die zu weiteren führen – und nicht zuletzt auch menschlichen Schicksalen. Doch diese Ausstellung eröffnet nicht nur den Blick in eine Vergangenheit, die noch immer nachwirkt. Auch die Kunstwerke selbst lernt man durch diese „geschichtlichen Filter“ mit anderen Augen zu betrachten.
Sendung: radio3, 17.07.2025, 7:40 Uhr