Das Bezirksamt Lichtenberg kommt nicht zur Ruhe. Nach der Affäre um einen Rettungseinsatz, der von einem Mitarbeiter von Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) behindert worden sein soll, schlägt nun ein neuer Fall Wellen in der Behörde.

Es geht um den Bezirksbürgermeister, dessen Partei sich als Hüter des Rechtsstaats geriert. Schaefer soll persönlich und politisch in ein laufendes Verfahren der Lichtenberger Bauaufsicht zu einem illegalen Anbau einer Pizzeria in Schaefers Nachbarschaft im Weitlingkiez eingegriffen haben.

Berlin, Lichtenberg, Weitlingstraße, Bahnhof mit Vorplatz. Foto: Kai-Uwe Heinrich

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Vom Bahnhof Lichtenberg aus ist es nicht weit zur Pizzeria.

Die Beamten der Bauaufsicht sahen sich deshalb genötigt, zum letzten Mittel zu greifen. Sie remonstrierten. Ein formaler Akt, mit dem sich Beamte gegen aus ihrer Sicht rechtswidrige Weisungen von Vorgesetzten absichern, um nicht selbst Verantwortung gezogen zu werden.

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Auch die Korruptionsermittler des Landeskriminalamtes (LKA) interessierten sich für den Fall. Und für die Frage: Verkehrte der Bezirksbürgermeister häufiger im Lokal? Hat er den Betreibern in seiner Nachbarschaft im Weitlingkiez beim Bahnhof Lichtenberg einen Gefallen getan, damit diese einen illegalen Wintergarten in einem Innenhof nicht abreißen müssen?

Es gibt verschiedene Versionen zu der Geschichte. Nach einer Version soll der Rathauschef erst im Lokal in seiner Nachbarschaft für eine Pizza gewesen sein, was Schaefer aber bestreitet. Danach hat er – darin stimmen die Versionen überein – direkt die Vizebürgermeisterin Camilla Schuler (Linke) losgeschickt, um die Bauaufsicht zu stoppen.

Alles beginnt 2018. Die Pizzeria im schicken Altbau hat eine kleine Terrasse im Hof, 60 Quadratmeter groß, fast so groß wie insgesamt die engen Räume mit italienischem Flair, wo Gäste an kleinen Tischen sitzen können. Das Ordnungsamt genehmigt das damals als Hofgarten. Nur nicht nach dem Baurecht, denn das Ordnungsamt erteilt hierbei nur die Erlaubnis für Gastbetriebe nach dem Gewerberecht. Dann, mit der Coronapandemie, erweitern die Inhaber den Gastbereich im Hof.

Außenbereich der Pizzeria.

© pizzeria-ledi.de

Die illegal errichtete Innenhofterrasse des Restaurants reicht dicht bis an das Wohnhaus heran.

Ein Nachbar informiert im Sommer 2000 die Bauaufsicht, dass der Betreiber „sein Lokal im Garten schrittweise an die Grenze unseres Grundstücks erweitert hat“, alles ohne Zustimmung, ohne Absprache. Der Zaun zwischen den Grundstücken sei entfernt worden.

2023 leitet die Bauaufsicht des Bezirksamts ein Verfahren ein. Denn die Betreiber haben die Ladenfläche nochmals vergrößert. Es gibt einen Durchgang durch die engen Vorderräume: Dahinter sitzt es sich weniger beengt. Die Betreiber haben den Hinterhof gekapert: Holzboden, Dach, geräumige Platzauswahl an mehreren Tischen. Statt italienischer Nähe ist hier deutsches Breitmachen möglich.

Im Juli 2023 kommen Beamte der Bauaufsicht in die Pizzeria. Sie stellen fest, dass der Gastro-Bereich ohne „erforderliche Baugenehmigung in den Hofbereich erweitert worden ist“. Der Innenhof sei großflächig als Terrasse ausgebaut worden, samt Dielen, Trennwänden, Glasseitenwänden und Überdachung.

Es ist eine Außengastronomie mit 110 Quadratmetern. Hinzu kommen ein Holzbau für den Ausschank und ein Lager, insgesamt nutzen die Lokalbetreiber 142 Quadratmeter im Innenhof. Und zwar illegal, wie die Beamten vermerken.

Die Terrasse ist nach der Berliner Bauordnung eine Nutzungsänderung des Hofes, für das Dach ist sogar eine Genehmigung der Behörde nötig. Doch die Betreiber haben nie einen Antrag gestellt. Auch nachträglich können die Beamten die „gewerbliche Nutzungsänderung des Hofes sowie die Errichtung der überdachten Terrasse“ nicht genehmigen. Alles illegal.

Abstandsflächen zu Nachbargebäuden seien nicht eingehalten worden. Die gewerbliche Nutzung des Hofes und die überdachte Terrasse seien in dem Wohnkomplex nicht zulässig. Das alles teilt die Bauaufsicht den Lokalbetreibern ab September 2023 mehrmals mit. Auch eine Anhörung ändert nichts. Die Behörde droht: Der Bau auf dem Hinterhof, der eigentlich den Hausbewohnern dienen soll, sei nicht erlaubt.

Im März 2024 sind die Beamten erneut in der Pizzeria. Die Terrasse ist immer noch da. Im Mai 2024 ordnet die Behörde an, den Hinterhofbau muss abgerissen werden. Zudem untersagt die Bauaufsicht die gewerbliche Nutzung des Wintergartens.

Bei dem, was danach passiert, gehen die Darstellungen auseinander. Die Bauaufsicht untersteht Bezirksstadträtin Camilla Schuler (Linke). Der Bezirksbürgermeister kann dort nicht einfach hineinregieren. Jeder Stadtrat ist für seine Ressorts selbst verantwortlich, auch der Bezirksbürgermeister hat seinen eigenen Bereich.

Bezirksbürgermeister Lichtenberg Martin Schaefer (CDU)

© BA Lichtenberg/ Krostitz

Martin Schaefer (CDU) ist seit 2023 Bürgermeister des Bezirks Lichtenberg.

Lediglich wenn ein Fall verschiedene Ressorts betrifft, müssen im Bezirksamt einvernehmliche Lösungen gefunden werden. Ein Bezirksbürgermeister hat keine Richtlinienkompetenz wie ein Bundeskanzler für sein Kabinett.

Die Pressestelle des Bezirksamtes erklärt auf Anfrage: „Herr Schaefer hat am 3. Januar per E-Mail Kontakt mit den Betreibern gehabt und war dann am 10. Januar zu einem persönlichen Gespräch dort.“ Danach habe er das Gespräch mit Schuler gesucht, „um eine Lösung zu finden“. Das sei aber keine Anweisung gewesen.

Das Büro der Stadträtin erklärt: „Herr Schaefer informierte Frau Schuler von einem Besuch in der Pizzeria“ – und darüber, „dass die Betreiber ihm von Problemen mit der Bau- und Wohnungsaufsicht berichtet hatten“. Schaefer habe Schuler aufgefordert, „die Pizzeria aufzusuchen und sich dies berichten zu lassen“.

Bezirksstadträtin Camilla Schuler (Die Linke)
Stellv. Bezirksbürgermeisterin und Bezirksstadträtin des Geschäftsbereichs Bauen, Stadtentwicklung, Facility Management und Jugend und verantwortlich für das Stadtentwicklungsamt, die Serviceeinheit Facility Management und für das Jugendamt

© Bezirksamt Lichtenberg

Camilla Schuler (Die Linke) verantwortet als stellvertretende Bürgermeisterin und Sstadträtin die Bereiche Bauen, Stadtentwicklung und Jugend.

Nicht angewiesen, aber aufgefordert? Die Inhaber erklärt Schuler, dass der Abriss des Anbaus schwere wirtschaftliche Folgen ihn hätte. Der Bürgermeister und die Stadträtin entscheiden dann über den Kopf der zuständigen Fachleute der Bauaufsicht, die den Fall eineinhalb Jahre bearbeiteten, dass der Anbau zunächst geduldet werde.

An die Betreiber und an die Bauaufsicht geht am 23. Januar 2025 ein Schreiben, unterzeichnet von Schuler und Schaefer. Der Betreff lautet: „Aussetzung der Nutzungsuntersagung“. Der illegale Wintergarten des Restaurants im Hof werde für drei Jahre geduldet. Das diene dazu, Rechtssicherheit für das Lokal zu schaffen. Mit dem Bauamt würden die nächsten Schritte festgelegt, ein Teil der Außenfläche müsse schon mal zurückgebaut werde. Außerdem „möge“ das Bauamt „zeitnah einen Termin“ mit der Pizzeria vereinbaren.

Doch warum hat Schaefer die Duldung mitunterzeichnet? Er habe dies als Wirtschaftsstadtrat getan, teilt die Pressestelle mit. Ein umgehendes Verbot des gesamten Außenbereichs hätte schwere wirtschaftliche Folgen gehabt. Es hätte zu dieser Zeit keinerlei Lärmbeschwerden gegeben, stattdessen aber „jahrelanges gutes Miteinander in der Nachbarschaf“.

Weil die kleine Terrasse vom Ordnungsamt gewerblich schon jahrelang genehmigt und Betrieb gewesen sei, habe man eine „Verlässlichkeit der Verwaltung“ signalisieren wollen. „Wer von einer Behörde/einem Amt eine Genehmigung bekommt, sollte sich darauf auch verlassen können“, erklärt die Pressestelle.

Dass das Ordnungsamt nicht nach dem Baurecht entscheidet, erwähnt die Pressestelle nicht. Auch nicht, dass eine gewerbliche Genehmigung kein verlässlicher Entscheid ist, ob nach dem Baurecht alles in Ordnung ist. Kurios: Auf die Frage, ob es zutrifft, dass die Bauaufsicht bereits im Mai 2024 die Nutzung des Hofes für die Außengastronomie untersagt hat, erklärt die Sprecherin: „Davon hat Bezirksbürgermeister Schaefer keine Kenntnis.“

Zur Frage, auf welche Rechtsgrundlage Schaefer und Schuler die Entscheidung der Bauaufsicht ausgesetzt, also die „Aussetzung der Nutzungsuntersagung“ erteilt haben, antworten sie unterschiedlich.

Schaefer: „Das Bezirksamt hat keine Entscheidung ausgesetzt, sondern eine befristete Duldung ausgesprochen, um offene Fragen in einem ausreichenden zeitlichen Rahmen zu klären.“

Schuler: „Die Nutzungsuntersagung ist eine Maßnahme der Bau- und Wohnungsaufsicht, welche die rechtwidrige Nutzung untersagt. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Gastronomie an diesem Standort wurde die vorübergehende Hinnahme des rechtswidrigen Zustands –verbunden mit Auflagen – hingenommen, um gemeinsam einen Weg zu finden, welcher den rechtswidrigen Zustand beseitigt und somit die Zukunft der Pizzeria sichert.“

Die Mitarbeiter der Bauaufsicht remonstrieren dann, „da diese Entscheidung ein rechtswidriges Verwaltungshandeln darstellt, welches in der Konsequenz disziplinarrechtliche Folgen hätte“, wie Schuler erklärt. Die Sprecherin des Bürgermeisters teilt zur Remonstration mit: „Diese Informationen liegen Herrn Schaefer nicht vor.“

Ein Berliner Lokalblatt deutet das alles als Ämterwahnsinn und empört sich, Behördenmitarbeiter hätten entschieden – „und nicht die Politiker“. Dabei sind Beamte sogar dazu verpflichtet zu remonstrieren, wenn Anordnungen nach ihrer Ansicht rechtswidrig sind.

Denn sie sind selbst verantwortlich dafür, dass ihr Vorgehen rechtmäßig ist. „Blinder Gehorsam ist illegal“, meint etwa der Deutsche Beamtenbund. Auch die Fraktion der Rechtsstaatspartei CDU der Bezirksverordneten könnte das wissen.

Doch die springt ihrem Bürgermeister bei und keilt gegen Schuler: „Die Bauaufsicht entschied offenbar gegen die eigene Stadträtin.“ Dass der Rechtsstaat genau solche Beamten braucht und die Bauaufsicht auch gegen Schaefer entschied, verschweigt die Fraktion.

Am 14. April nimmt Schuler die Duldung des Außenbereichs zurück. Nachbarn haben sich über die Bebauung des Hofes und nicht eingehaltene Abstandsflächen beschwert. Der Pizzeria sei bereits zuvor gesagt worden, dass die Duldung hinfällig ist, wenn eine Beschwerde kommt, sagt Schuler. Schaefer lässt ausrichten, er „war in diese Entscheidung nicht eingebunden“.

Als die Mitarbeiter remonstrieren, geht beim Landeskriminalamt eine anonyme Anzeige ein. Der Vorwurf: Schaefer habe Schuler und ihre Mitarbeiter unter Druck gesetzt, die Entscheidung der Bauaufsicht zu kassieren. Ermittler des Kommissariats LKA 344, zuständig für Korruptions- und Beamtendelikte, prüfen dann, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt.

Es geht um die Frage, ob Schaefer aus anderen als dienstlichen Gründen den Lokalbetreibern half, ob er Stammgast in der Pizzeria war, im eigenen Kiez, in dem er seit mehr als 20 Jahren lebt und dort wegen seines Engagements für den Kiez bekannt ist.

Der Bürgermeister lässt dazu ausrichten, er sei „privat in den letzten Jahren, sicherlich sechs, sieben Jahren, einmal dort zu Besuch“ gewesen und „hat einmal Essen to go mitgenommen“. Er stehe in keinem Verhältnis zu den Betreibern des Lokals.

Folgt man Schulers Darstellung, soll Schaefer um den Jahreswechsel herum in der Pizzeria gewesen sein und von den Betreibern von den Problemen mit der Bauaufsicht erfahren haben.

Für LKA und Staatsanwaltschaft ist der Fall zunächst erledigt, als die Duldung des Anbaus Mitte April zurückgenommen wird. Es wird vorläufig nicht ermittelt, es besteht momentan kein Anfangsverdacht. Beim Besuch der Pizzeria im Juni, der Terrasse ist weiter in Betrieb, sagt ein Kellner, ja, den Bürgermeister kenne er. Aber dazu wolle er weiter nichts sagen.