3000 Migranten ohne Papiere soll die Einwanderungsbehörde ICE in den USA jeden Tag festnehmen. Das Vorgehen der Beamten ist aggressiv, der Zustand in den Abschiebeunterkünften verheerend. Vor dem Metropolitan Detention Center in Los Angeles erzählen Betroffene von ihrem Leid.

Jade ist früh dran. Um Punkt 9 Uhr läuft sie die Ausfahrt des Metropolitan Detention Center hinunter, zu ihrer Linken dreht sich Maschendraht über hohe Mauern, davor patrouilliert ein Sicherheitsbeamter. Neben dem Rolltor klafft eine Lücke in der Wand: B – 18, der Eingang zum Abschiebelager. Die Besuchszeit für Angehörige beginnt um 13 Uhr. Stundenlang wird Jade hier mit anderen warten. Sehen wird sie ihren Mann nur fünf Minuten.

Es ist Dienstag, Anfang Juli. Das Metropolitan Detention Center liegt in Downtown Los Angeles, geführt wird die Haftanstalt vom US-Justizministerium. Menschen ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung werden hier bis zu ihrer Abschiebung untergebracht. Solange Zweifel an Identität oder Status bestehen, hält man sie in den Untersuchungsräumen fest. B – 18 führt zu so einem Raum. Tage, manchmal Wochen warten Menschen aus Mexiko, Guatemala, China und anderen Ländern hier. Worauf, ist oft unklar. Seit US-Präsident Donald Trump die Abschiebepolitik im Land verschärft hat, verschwinden Inhaftierte ohne rechtlichen Beistand in weit entfernten Haftanstalten, werden in andere Bundesstaaten verlegt oder auf Verdacht des Landes verwiesen.

Mehr als 100.000 Einwanderer hat die Grenzschutzbehörde ICE in den ersten fünf Monaten nach Trumps Amtsantritt in Gewahrsam genommen. Die Zahl ist um 120 Prozent höher als im Vorjahr, gemessen an den etwa zwölf Millionen US-Einwohnern, die weder Staatsbürgerschaft noch Visa oder Greencard besitzen, dennoch vergleichsweise gering. Auf Truth Social hielt Trump ICE an, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die größte Massenabschiebung der Geschichte zu ermöglichen“.

Die größte Massenabschiebung der Geschichte, das war eines der zentralen Wahlversprechen des US-Präsidenten. Um der Masse an Menschen nun Herr zu werden, hat die Regierung ihre Verträge mit Gefängnisbetreibern ausgeweitet. Wegen Trumps großem Gesetztespaket, das die Republikaner „The big beautiful bill“ nennen und der Kongress Anfang Juli verabschiedete, sind rund 33 Milliarden Dollar zusätzlich für Festnahmen und Abschiebungen vorgesehen, sowie 45 Milliarden Dollar für neue Haftanstalten – mehr als zehnmal so viel wie im vorherigen Haushalt.

Unsicherheit und Chaos

In Los Angeles hatte ICE im Juni bei einer ersten Razzia 40 Personen festgenommen. Der Vorwurf: illegale Einwanderung. Seither ziehen vermummte Bundesbeamte mit Gewehren umher, zerren Menschen ohne Haftbefehl oder richterliche Anordnung von Straßen und Feldern, aus Supermärkten und Waschanlagen. Der Druck auf die Behörden ist hoch: Ende Mai hatte Stephen Miller, Trumps stellvertretender Stabschef im Weißen Haus, die Zahl der erforderlichen Festnahmen pro Tag auf 3000 verzehnfacht. Mittlerweile warten die Grenzschützer vor Gerichtssälen, oft in Zivil, um all jene abzufangen, die zu Asyl- und anderen Einwanderungsterminen erscheinen.

Trump rechtfertigt das martialische Vorgehen der ICE-Agenten mit der Bedrohung durch illegale Einwanderung. Wiederholt sprach der US-Präsident von einer „Invasion“ der USA durch „Kriminelle aus dem Ausland“. Das Department of Homeland Security hob hervor, dass unter den Festgenommenen etliche Gangmitglieder seien. Von Vergewaltigern, Mördern und Drogenhändlern ist die Rede. US-Medien zufolge hat jedoch weniger als ein Drittel der seit März Inhaftierten eine kriminelle Vergangenheit. Trumps Grenzbeauftragter Tom Homan erklärte zuletzt, dass jeder Immigrant, der illegal in den USA sei, als kriminell gelte. Der Grenzübertritt, egal wie lange her, ist demnach genug.

Festnahme nach Routinetermin

14 Uhr. Aus dem Innern des Metropolitan Detention Center sind Schreie zu hören. Dann ertönt in der Ausfahrt ein leises Klingeln. Hinter dem Rolltor schieben sich vier Gefangene mit gesenkten Köpfen in einen weißen Lieferwagen, die Füße in Ketten. Kurz darauf fährt das Gitter nach oben. Ein Mann in schwarzer Sturmmaske und Baseballkappe steuert den Wagen nach draußen, bevor er nach rechts auf die Alameda Street biegt.

Eine halbe Stunde später steigt auch Jade die Auffahrt wieder hinauf. Das Treffen mit ihrem Mann war kurz, sagt Jade, durch eine Glasscheibe durfte sie mit ihm sprechen. „Ich habe versucht, stark zu sein“. Mit beiden Händen wischt sich die junge Frau die Tränen aus dem Gesicht.

Jades Mann kommt aus Guatemala und lebt seit acht Jahren in den USA. Er sei hier zur Schule gegangen, erzählt sie, habe eine Arbeitserlaubnis. Bei einem Routinetermin am Vortag wurde er festgenommen. Hinter Jade stehen noch immer Angehörige in der Schlange. Sie haben Tüten dabei, mit warmer Kleidung, Medikamenten und Wasserflaschen.

Keine Betten, keine Medikamente

„Die Festnahmen verfolgen ein einziges Ziel“, meint Matteo Sarel: „Qual.“ Der Anwalt für Einwanderungsrecht hat den Vormittag ebenfalls im Metropolitan Detention Center verbracht, seit vier Tagen wird sein Mandant hier festgehalten. Sarel möchte unerkannt bleiben, er fürchtet Repressalien, weshalb sein Name für diesen Text geändert wurde. Dennoch solle die Öffentlichkeit von den Zuständen in den Abschiebelagern erfahren, sagt er: Sie seien kaum auszuhalten.

Sein Mandant habe sie ihm beschrieben, erzählt Sarel: Etwa 50 Menschen sitzen zusammengepfercht in einem Raum, es ist kalt, das Licht grell. Die Insassen schlafen auf dem nackten Betonboden, Kopf an Fuß unter Aluminiumdecken. Wer sein Geschäft verrichten will, muss es vor den anderen tun, auf der einzigen Toilette, die mitten im Raum steht. Sein Mandant habe seit Tagen nicht geduscht, sagt Sarel. Außerdem fehle es an Medikamenten. Mahlzeiten würden zu willkürlichen Zeiten verteilt, manchmal um 3 Uhr morgens, dann gebe es Kekse und Chips. Auch Wasser sei streng rationiert. US-Medien berichten von Insassen, die in ihrer Not aus der Toilette trinken.

Die Schreie, die aus dem Innern des Abschiebelagers zu hören waren, stammten von Familien, die auseinandergerissen würden, sagt Sarel. „Es ist grausam“. Hinzu komme große Unsicherheit: „Die Inhaftierten wissen nicht, wie lange sie festgehalten, wann oder ob sie verlegt werden, und wenn ja, wohin“, sagt Sarel. Willkür und Ungewissheit machten mürbe und die Botschaft an die Inhaftierten sei eindeutig: Gebt auf. An der Decke hänge ein Schild mit dem Hinweis: Sie können sich jederzeit selbst abschieben, darunter eine Telefonnummer.

„Das ist reines racial profiling“

Während das Heimatschutzministerium, zu dem ICE gehört, die Vorwürfe zu den Zuständen in den Haftanlagen zurückweist und betont, die Gesetze konsequent zu befolgen, formieren sich in Los Angeles immer wieder Proteste gegen Trumps Abschiebepolitik. Nachdem der US-Präsident im Juni die kalifornische Nationalgarde und die Marine-Infanterie in die Stadt geschickt hatte, weiteten sich die Proteste auf unter anderem San Francisco, New York und Dallas aus.

„Es geht der Regierung nicht um die Sicherheit dieses Landes oder ein geordnetes Einwanderungssystem“, meint Sarel. Was auf den Straßen geschehe, sei reines racial profiling gepaart mit Inkompetenz, während Recht und Gesetz mit Füßen getreten würden. Dem Anwalt kommen die Tränen. „Sie vergehen sich an unserer Verfassung“, sagt er. „Und wir können nichts anderes tun, als zuzusehen.“