Was lesen Sie?

Ich lese mein Leben lang schon querbeet: Romane, Heldensagen, auch Graphic Novels. Das liegt daran, dass ich als Jugendlicher alles verschlungen habe, was ich in die Finger bekam, und das war vor allem im Bücherschrank meiner Mutter. Deshalb kam ich schon mit 16 nicht nur mit Hermann Hesse und Johannes Mario Simmel, sondern auch mit Erica Jong in Kontakt. Seitdem ich schreibe, selektiere ich etwas professioneller. Da mein neuer Roman ein Krimi ist, habe ich deshalb zuletzt vornehmlich Kriminalromane gelesen. Dazu gehört: An­dreas Pflüger: „Wie sterben geht“ – der deutsche John Le Carré. Johannes Groschupf: „Skin City“, ein ziemlich blöder Titel, aber ein gekonnt aus mehreren Perspektiven geschriebener Krimi, der sich herrlich über die deutsche Kunstszene lustig macht. Jake Lamar: „Das schwarze Chamäleon“. Ich mag Literatur von afroamerikanischen Autoren (Percival Everett, Walter Mosley), dieser Roman ist übersetzt von Robert Brack, den ich sowieso sehr schätze. Ich fahre viel Auto, nutze die Zeit für Hörbücher. Als Jörg-Fauser-Fan habe ich gerade „Rohstoff“ von Lars Eidinger und „Das Schlangenmaul“ von Charly Hübner vorgelesen bekommen.

Welches Buch haben Sie im Bücherschrank, das Sie bestimmt nie lesen werden?

Die Antwort auf diese Frage macht einen automatisch zum Banausen. Denn ohne ein Buch gelesen zu haben, kann man eigentlich nicht sagen, warum man es nie lesen würde. Ich bin einerseits ein Freund schneller geschmacklicher Entscheidungen, im kreativen Prozess geht es gar nicht ohne. Andererseits erzeugt derartige Ungeduld oft Vorurteile, aufgrund derer man unter Umständen eine ganze Menge verpasst. Es gibt nichts Schöneres als ein ungerechtfertigtes Vorurteil, das durch die (vielleicht zunächst widerwillige) Beschäftigung mit dem Thema zum informierten Urteil wird. Da ich aus meiner Zeit als Filmkomponist eine zutiefst irrationale Abneigung gegen den deutschen Film habe, passieren mir solche Aha-Momente sehr häufig, zuletzt bei „Anima – Die Kleider meines Vaters“ von Uli Decker. Deshalb fällt es mir schwer, die zahllosen Bücher auf meinem Stapel ungelesener Bücher vorzuverurteilen, zumal ich sie mir – bis auf wenige Ausnahmen – selbst gekauft habe. Eine solche Ausnahme ist „Resurrection Walk“ von Michael Connelly. Ein nicht besonders guter Bekannter (er sieht das anders) schenkte mir dieses Buch zu meinem soundsovielten Geburtstag. Er schlug mir leicht überbegeistert auf die Schulter und sprach: „Du hast doch neulich bei der Crime Cologne diesen Harry-Bosch-Abend gemacht – hier ist der neue Mickey Haller, du weißt schon, der ,Lincoln Lawyer, da spielt Bosch auch wieder mit. Voll dein Ding, oder?“

Wohl eher nicht. Schon das letzte Harry-Bosch-Outing, „Wüstenstern“, war etwas schwach, außerdem trug Connelly hier scheinbar seinen legendären Serienhelden mit 70+ und schwer krebskrank würdevoll zu Grabe. Dass Bosch das Krebsleiden aufgrund eines Kontaktes mit einem radioaktiven Beweisstück aus ungefähr zehn Romanen vorher mit sich herumschleppte, hätte seinen Bogen noch mal eleganter beendet. In „Resurrection Walk“ erlebt er nun aber seine Auferstehung, ich hörte etwas von experimenteller Behandlung. Das ist mir dann doch etwas zu weit hergeholt und riecht unangenehm nach kommerzieller Kalkulation. Manche Geschichten sind einfach zu Ende erzählt, Rest in Peace, Harry Bosch! Connelly sollte sich auf seine neue Serienheldin Renée Ballard verlassen, die hat auch schon ihre eigene Fernsehserie und ist als feministische Nachfolgerin des knorrigen Machos Bosch eine ausgezeichnete Besetzung.

Wahrscheinlich tue ich jetzt „Resurrection Walk“ furchtbares Unrecht an. Es kann sogar gut sein, dass Michael Connelly erneut ein intelligentes, spannendes und durch seine tiefen Insights in die Judikative und Exekutive von Los Angeles ungemein authentisches Buch geschrieben hat. Es könnte mir also gefallen, und da wären wir wieder beim Anfang meines kleinen Exkurses: Ich müsste nur über meinen Schatten springen und mein Vorurteil zu einem Urteil machen. In diesem Fall kann ich mir das aber nicht vorstellen.

Timo Blunck ist Musiker, Komponist, Produzent und Autor. Von 1981 an war er Bassist der Punkband Palais Schaumburg, zur selben Zeit gründete er Die Zimmermänner, mit denen er heute noch aktiv ist. Seinem Romandebüt „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?“, zu dem Blunck auch ein Soloalbum veröffentlichte, folgte zuletzt der Roman „Die Optimistin“. Diese Woche erscheint sein Krimi „Ein kleines Lied über das Sterben“ (Emons, 320 Seiten,16 Euro).

In der Sonntagszeitung vom 20. Juli finden sich zusätzlich die Antworten von Timo Blunck auf die Fragen, was er sieht, was er hört und wann er zuletzt seine Meinung geändert hat.