Braunschweig. An der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig geht es gerade zu wie in Hogwarts. Zu Beginn der Harry-Potter-Geschichten von Joanne K. Rowling bekommt der Titelheld eine schriftliche Einladung von der Zauberschule. Seinen Zieheltern gefällt das nicht, sie vernichten den Brief. Die Schule schickt weitere Briefe, die wieder vernichtet werden. So geht es immer weiter, bis das ganze Haus mit Briefen geflutet wird.
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Die Episode erinnert an einen bizarren Kampf um Plakate, der gerade an der einzigen niedersächsischen Kunsthochschule tobt. Am Abend behängen Studierende die Wände des Instituts mit Postern. Am Morgen geht die Hausmeisterei durch die Flure, entfernt die Plakate und tüncht alles mit weißer Farbe über. Dann geht das Katz-und-Maus-Spiel mit immer mehr Plakaten von Neuem los.
Kein Ort für Plakate? Die Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig.
Quelle: Holger Hollemann
Gibt es Zensur an der HBK Braunschweig?
Die Hochschulleitung sagt, das Problem sei der Inhalt der Plakate. Sie würden nur entfernt, wenn sie gegen die Menschenwürde verstießen oder diskriminierend und gegen die Freiheit von anderen gerichtet seien, erklärt Pressesprecherin Nadine Kaminski: „Wir verstehen nicht, dass die Studierenden glauben, wir würden hier etwas zensieren“, sagt sie.
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Viele Studierende und auch einige Lehrende können dieser Argumentation nicht folgen. Sie halten es für ein Unding, dass Studierende sich seit knapp zwei Wochen jedes Plakat von der Hochschulleitung genehmigen lassen müssen, bevor sie es aufhängen. Verschiedene Gesprächspartner aus ihren Reihen sind sich einig, dass es im Plakatstreit nicht um heikle Inhalte geht, sondern ums Prinzip.
„Wenn die Wände nicht sprechen dürfen, dann tun wir es“: Ein ganzes und ein halbes Plakat in der HBK Braunschweig.
Quelle: Stefan Arndt
Oft würden auch Plakate entfernt, mit denen die Studierende nur auf ihre Ausstellungen aufmerksam machen wollten. „Wir wussten schon, dass wir die Plakate zweimal hängen müssen, wenn wir eine Veranstaltung haben“, sagt einer, der seinen Namen nicht genannt wissen will. Dass viele hier um ihre oft befristeten (Hilfs-)Jobs fürchten, verrät wohl auch etwas über die Atmosphäre, die derzeit an der HBK herrscht.
Internationale Konflikte wie der zwischen Israel und der palästinensischen Hamas, die an anderen Hochschulen für Aufregung sorgen, spielten in Braunschweig kaum eine Rolle, heißt es bei den Studierenden. Vielmehr würden auf den Postern konkrete hochschulpolitische Fragen angesprochen. Es geht beispielsweise um die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle, um die Gebühren für einen Hochschulshop, in dem Studierende ihre Arbeiten verkaufen können, und um die Befristung vieler Lehrstellen.
„Heute keine Plakate – morgen keine Demokratie“
„Hier war was“: Ein Stempelabdruck prangt an vielen Wänden der HBK, an denen Plakate entfernt wurden.
Quelle: Stefan Arndt
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Doch längst haben sich solche Detailfragen zu etwas Grundsätzlichem verdichtet: Der Plakatstreit ist offensichtlich Ausdruck einer sonderbar gestörten Kommunikation zwischen Studierenden und Hochschulleitung.
Das, was die Studierenden von anderen fordern, lösen sie selbst nicht ein.
Nadine Kaminski,
Pressesprecherin der HBK Braunschweig
Die meisten Plakate, die man zumindest zeitweise in der Hochschule sehen kann, haben inzwischen ohnehin nur ein Thema: das Abhängen der Plakate. „Heute keine Plakate – morgen keine Demokratie“, steht darauf, oder: „Entpolitisiert uns nicht, sonst ist die HBK bald dicht“.
Rund um den öffentlichen „Rundgang“, einer Ausstellung auf dem gesamten HBK-Gelände, bei der die Studierende am vergangenen Wochenende ihre Arbeiten präsentiert haben, ist der Streit nun hochgekocht. Hochschulpräsidentin Ana Dimke, die das Haus seit knapp drei Jahren leitet, hat die Eröffnungsveranstaltung mit zahlreichen Gästen abgebrochen, als sie bei ihrer Rede von Studierenden ausgebuht wurde.
Kann das weg? Fotokunst mit dem Plakat „Bitte, bitte, bitte nicht abreißen“ (links) und ein ungerahmtes Plakat.
Quelle: Stefan Arndt
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Zuvor hatten rund 100 Studierenden die Veranstaltung mit einer Demonstration unterbrochen. Dimke bot einem Sprecher die Gelegenheit, seine Forderungen und Vorwürfe auf dem Podium vorzutragen. Bei dem Versuch einer Antwort wurde sie dann ausgebuht.
Sprecherin Kaminiski sagt, die Studierenden hätten ihrem Gegenüber keine Möglichkeit geboten, gehört zu werden: „Das, was sie von anderen fordern, lösen sie selbst nicht ein.“ Der Abbruch sei außerdem „zum Schutz der Gäste“ notwendig gewesen. Ebenfalls aus Sicherheitsbedenken habe man kurz vor der Eröffnung die ursprünglich für die Eröffnung geplante Performance einer Studentin abgesagt.
Amtlicher Protest: Grundgesetz-Artikel zur Meinungsfreiheit an einer Wand in der HBK Braunschweig.
Quelle: Stefan Arndt
Bei der Studierendenvertretung hält man diese Begründung für „scheinheilig“: „Es ist typisch für die Hochschulleitung, dass sie nicht nach Wegen sucht, etwas zu ermöglichen, sondern sofort sagt, dass etwas nicht geht“, heißt es vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). „Die Präsidentin hält den Laden sediert“, fasst ein Studierender seinen Eindruck von der Lage zusammen.
Die Fronten zwischen Studierenden und Hochschulleitung sind verhärtet und von zunehmend scharfen gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Für die Plakate aber hat man zumindest für die „Rundgang“-Ausstellung eine Lösung gefunden, die einer Kunsthochschule würdig ist: Als die Plakate, die am Vorabend des „Rundgangs“ aufgehängt wurden, am Morgen wieder entfernt waren, brachten Studierende nicht nur neue an, sondern fotografierten sie auch an den Wänden. Diese Fotos hängen nun gerahmt und hinter Glas an der Stelle, wo zuvor nur Plakate geklebt haben.
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Die Poster sind zu Kunst geworden. Die Frage, ob das weg kann, wird die Hochschule wohl noch länger beschäftigen.
HAZ