Gelsenkirchen. Was für ein lauschig-flauschiger Konzertabend in Gelsenkirchen: Top-Star Jamie Cullum begeistert 2500 mittanzende Zuhörer im Amphitheater.
Zu Beginn stehen vielleicht knapp 100 Leute direkt vor der Bühne. Die übrigen 2400 im weiten Halbrund des Gelsenkirchener Amphitheaters haben es sich da lieber auf den steinernen Stufen bequem gemacht. Doch der Protagonist des Abends braucht ganze zwei Songs, da kommen sie auch schon herbeigeströmt. Aus allen Ecken! Tauschen ihren Sitzplatz freiwillig gegen einen im Stehen. Sie wollen diesem Hasardeur, der seinem Flügel nicht nur brillant zu bespielen, sondern auch zu erklettern weiß, ganz nahe sein. Und so drängen sich auf einmal Hunderte Schulter an Schulter im Innenraum. Alle strahlend. Alle tanzend. Alle beseelt lächelnd. So etwas schafft nur der Menschenfischer namens Jamie Cullum.
Große Erwartungen an den Künstler in einer lauschig-flauschigen Sommernacht
Es ist 20.55 Uhr, als der Brite die Bühne betritt. Und gekommen ist er als „Man in Black“. Schwarze Schuhe, schwarze, Hose, schwarzes Sakko und dazu eine coole Sonnenbrille, die dem jungen Bob Dylan zu Ehren gereicht hätte. Im Schlepptau hat der hochbegabte Jazz-Tausendsassa ein Septett, das aus zwei starken Backround-Stimmen und fünf Vollblut-Musikern besteht. Sie alle werden mit stürmischen Applaus empfangen. In dieser lauschig-flauschigen Sommernacht bei Temperaturen jenseits der 25-Grad-Grenze mischt sich zur lässigen Grundatmosphäre jenes Prickeln, das immer dann entsteht, wenn die Erwartungen an das Kommende ganz große sind.
Sieben fantastische Mitstreiter hatte Jamie Cullum auf der Bühne um sich geschart: Jeder einzelne Musiker erhielt Raum, um sein großes Können zu beweisen. Es gab reichlich Szeneapplaus für diese Momente der Improvisation.
© FUNKE Foto Services | Michael Korte
Und auch Cullum spürt schnell, dass dieser Spielort etwas Spezielles, ja Magisches hat. Regelmäßig tuckern die Binnenschiffe auf dem Rhein-Herne-Kanal vorbei, grüßen den Bandchef und seine Mitstreiter winkend, tanzend oder das Signalhorn betätigend. Auf alles und jeden reagiert der aufmerksame Gast – und bezieht das alles sogar, wenn das Stück es denn gerade hergibt, gleich als Improvisationsteil mit ein. Ganz große Kunst! „Gelsenkirchen, you are the right place tonight“, lässt Cullum schon nach dem Song „The Man“ in sein Herz blicken, dass er sich hier pudelwohl und am rechten Fleck fühlt. Und weil sofort eine Verbindung zwischen Künstler und den Lauschenden da ist, legt Cullum alsbald sowohl Sakko als auch Sonnenbrille beiseite. Jetzt kann ihm seine jubelnde Anhängerschaft endlich direkt in die Augen schauen.
Vom „Aristocats“-Hit bis zur Widerstandshymne von Rage Against the Machine
Und der 45-Jährige beweist recht schnell seine ganz große Bandbreite, die er drauf hat. Als er mit „Everybody wants to be a cat“ einen Hit aus dem Zeichentrickfilm-Klassiker „Aristocats“ von Walt Disney anstimmt, da schnurren vor allem vielen Besucherinnen im Publikum vor Wohlbefinden. Bei „Mankind“ durchbricht er die unsichtbare Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum, klettert einfach dort unten hinein. Zwischen den vielen groß gewachsenen Männern, die dort mit der Liebsten an ihrer Seite lässig tanzen, fällt auf, dass der eher kleinere Cullum zu den meisten aufschauen muss. Doch in puncto Fan-Nähe erweist er sich als Riese, ach was: als Gigant! Er bahnt sich den Weg durch die Masse, singt dabei unbeirrt weiter, trifft natürlich jeden Ton perfekt, klatscht unzählige Kinder- und Erwachsenenhände ab, die ihm entgegengestreckt werden. Und den Becher Bier, den ihm ein Herr mit Bart im Vorbeigehen überlässt, leert der Musiker dann auch noch in einem Zug. Nahbarer geht‘s kaum.
Jamie Cullum gibt am Freitag, 18.07.2025 im Amphitheater in Gelsenkirchen ein Konzert.Foto: Michael Korte / FUNKE Foto Services
© FUNKE Foto Services | Michael Korte
Doch Jamie Cullum ist auch berühmt für seine große Lust auf Coversongs. Und die lebt er auf der Emscherinsel ungehemmt aus. Beispiele gefällig? Seine Version von „Don‘t Stop The Music“, mit der Superstar Rihanna einst die globalen Tanzflächen zum Schmelzen brachte, ist derart entschleunigt und anders, dass dieser eigentlich etablierte Top-Hit zu Cullums eigenen wird. Seine anarchisch-rebellische Ader kommt zum Vorschein, als er mit viel Verve die Widerstandshymne „Killing in the Name“ von Rage Agianst the Machine würdigt. Das erledigen Cullum und Co aber rein instrumental, den Text-Part schlabbert er komplett. Das übernehmen dafür die begeistert Mithüpfenden zu seinen Füßen. Es sind Crossover-Momente wie dieser, die als Beleg dienen, dass Jamie so viel mehr kann als „nur Jazz“.
Mancher Song klingt wie zu spätester Stunde in einer Hotel-Pianobar
In manchen Momenten scheint der Mann am Piano aber auch in sich und dem gerade angestimmten Song zu versinken. Seine Interpretation von „Singin‘ in the Rain“ trägt so viel Melancholisches in sich, dass das Herz schmerzt.. Um gleich darauf aber von Cullum wieder neue Flügel verliehen zu bekommen. Solch verträumte Klänge kennt man sonst nur von der Hotel-Pianobar morgens um halb drei, wenn das allerletzte Glas Single-Malt-Whisky geduldig auf seine Leerung wartet.
Gelsenkirchen-Newsletter: Jetzt anmelden!
Nachrichten, Service, Reportagen: Jeden Tag wissen, was in unserer Stadt los ist.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Als Zugaben gibt‘s noch „Mixtape“ und „I‘ve Got You Under My Skin“. Dann ist nach zwei Stunden Schluss. Und Jamie Cullum ist selbst derart ergriffen, dass er verbal noch Blumen an seine Gastgeberstadt verteilt. „Gelsenkirchen, ich war zwar vorher noch nie hier“, gesteht er in seiner englischen Muttersprache. „Aber ich werde dich und diesen Abend niemals vergessen.“ Der Menschenfischer, er ist ausnahmsweise einmal selbst jemandem ins Netz gegangen…