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Immer häufiger werden Straßen in der Ostukraine durch Drohnen bedroht. Kilometerlange Netze sollen Fahrzeuge jetzt schützen.

Dobropillja – Die Ukraine verstärkt den Schutz ihrer Frontgebiete gegen russische Drohnenangriffe und setzt dabei offenbar verstärkt auf kilometerlange Anti-Drohnen-Netze über Straßen und Versorgungslinien. Ziel dieser Maßnahme ist es, die zunehmenden Attacken durch FPV-Drohnen und andere unbemannte Fluggeräte, die mit Sprengsätzen ausgerüstet werden, abzuwehren und die Bewegungsfreiheit der eigenen Truppen sowie der Zivilbevölkerung zu sichern. Der Drohneneinsatz hat sich im mittlerweile vierten Kriegsjahr zu einem dominierenden Faktor entwickelt, wobei beide Seiten auf leicht verfügbare, handelsübliche Drohnen setzen, die in großen Schwärmen operieren.

Ukraine geht mit neuer Strategie gegen Putins Drohnen vor: Netze werden zum Standard

In der ostukrainischen Region Donezk, darunter rund um Dobropillja und Kostjantyniwka, installieren Pioniereinheiten Anti-Drohnen-Netze auf vier Meter hohen Stangen über längere Straßenabschnitte hinweg, um Schutzkorridore zu schaffen, beobachteten Reporter der AFP. Die Netze werden unter anderem aus ausgedienten Fischernetzen gefertigt, die von Freiwilligen und Hilfsorganisationen aus Nordeuropa geliefert werden, ergänzt die New York Times (NYT).

„Wenn eine Drohne das Netz trifft, gibt es einen Kurzschluss, und sie kann die Fahrzeuge nicht mehr angreifen“, erklärt Denis, Kommandeur einer Pionierbrigade. Laut Oberstleutnant Maksym Kravchuk, Kommunikationschef der ukrainischen Pioniere, werden die Netze, erklärt dieser gegenüber der NYT, „entlang der gesamten Frontlinie, von Osten bis Süden“ installiert.

Ukraine-Krieg: Die Ursprünge des Konflikts mit RusslandProteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, Ukraine, 2014Fotostrecke ansehenAuch russische Streitkräfte nutzen Anti-Drohnen-Netze im Ukraine-Krieg

Auch russische Einheiten haben bereits Netz-Tunnel entlang kritischer Straßen eingerichtet. Laut einem russischen Kommandeur werden diese Strukturen besonders auf offenen Abschnitten installiert, um den Schutz von Transporten zu verbessern, berichtete das Portal defence-ua.com bereits im vergangenen Februar. Das russische Verteidigungsministerium sprach von „Netzen wie Spinnenweben“ für „extrem gefährliche Vögel ohne Federn“.

Der Vorteil der Netze zeigt sich vor allem gegenüber FPV-Drohnen, die teilweise über Glasfaserkabel gesteuert werden und damit gegen elektronische Störsender unempfindlich sind. Netze stellen hier eines der wenigen effektiven Gegenmittel dar.

Russischer Soldat lässt Drohe fliegen, ukrainische Soldaten bauen Schutznetze vor DrohnenRussischer Ausbilder beim Start einer FPV-Drohne während einer Militärschulung (links) und ukrainische Soldaten beim Aufbau von Schutznetzen gegen Drohnen auf einer Straße im Donbass (rechts). Beide Seiten setzen verstärkt auf Drohnen und entsprechende Abwehrmaßnahmen im aktuellen Kriegsgeschehen. © Foto links: IMAGO / SNA | Foto rechts: IMAGO / ZUMA Press WireZivile Infrastruktur und Alltagsleben unter Drohnengefahr in der Ukraine

Zunehmend sind auch Städte und Dörfer im ukrainischen Hinterland von Drohnenangriffen betroffen. In Dobropillja , rund 20 Kilometer von der Front entfernt, kommt es seit Anfang Juli beinahe täglich zu FPV-Drohnenangriffen auf zivile Infrastruktur, notiert die AFP. Die Bevölkerung reagiert mit neuen Alltagsroutinen: Viele suchen Schutz in Geschäften, sobald das typische Surren einer Drohne zu hören ist.

Der Leiter des städtischen Krankenhauses, Wadym Babkov, berichtet, dass FPV-Drohnen „weder medizinisches Personal noch Zivilisten verschonen“. Da nicht alle Straßen lückenlos geschützt sind, müssen Rettungswagen oftmals Umwege fahren, was die Versorgung erschwert. Auch in der russischen Grenzregion Belgorod werden inzwischen Krankenwagen mit Metallkäfigen gegen Drohnen ausgerüstet.

Technische Innovationen und improvisierte Lösungen gegen Putins Drohnen

Neben den Netz-Tunneln entwickelt die Ukraine weitere Gegenmaßnahmen. Das Unternehmen TENETA präsentierte mit dem „MITLA“ einen Einweg-Netzwerfer, der mit einem gezielten Schuss ein Netz abfeuert, das Drohnen im Nahbereich sofort außer Gefecht setzen kann, schreibt die Plattform militarnyi. Der kompakte Werfer funktioniert bei jedem Wetter und besitzt eine effektive Reichweite von bis zu 25 Metern.

Darüber hinaus greifen einige Gemeinden zu improvisierten Lösungen: In einzelnen Regionen wird empfohlen, so die NYT, Scheren mitzuführen, um gegebenenfalls Glasfaserkabel gesteuerter Drohnen durchtrennen zu können.

Schutzmaßnahmen gegen Drohnenangriffe in der Ostukraine

Anti-Drohnen-Netze Fischernetze, Segeltuch oder improvisierte Barrieren über Straßen, Schützengräben, Fahrzeugen Frontlinie und Checkpoints Donezk/Kramatorsk Rasch installiert, regelmäßig von Zivilgesellschaft und Militäreinheiten eingesetzt Mobiler Netz-Tunnel Tunnelartige Netz-Installationen zum Schutz von Nachschub-/Personenwegen Nachschubrouten, befestigte Positionen Eigenbau, bei Offensive/Beschuss flexibel umgesetzt Käfige/Schutzgitter auf Fahrzeugen Metallstreben-Systeme (“Käfige”, “Kettenröcke”) auf Panzern/LKWs Panzertruppen, Nachschubkonvois Schutz gegen FPV- und Kamikaze-Drohnen, bei ukrainischen Einheiten Standard Mobile Luftabwehrteams Pick-up (z.B. Mitsubishi L200) mit MG/Flak und Personal Frontnah, Zonen mit intensivem Drohneneinsatz In ganz Donezk/Luhansk im Einsatz, schnelle Reaktion, Schussbereich bis 1000 m Elektronische Abwehr/Jamming Portable Funk- und GPS-Störsender, Dedrone-Module, ewige Jammer Festungsabschnitte, mobile Stellung Ukrainische Innovation; Dedrone, DroneDefender, in eigenen Fabriken gebaut Abfangdrohnen Speziell entwickelte Drohnen zur Jagd auf feindliche FPV/Shahed Front und Hinterland Made in Ukraine, gezielt für Massenproduktion optimiert, v.a. gegen Shahed Manuelle Abwehr Scheren, Haken zum Durchtrennen von Kabeln an kabelgebundenen Drohnen Vorposten, Schutz von Objekten Besonders effektiv gegen günstige russische FPV-Kabeldrohnen, improvisiert Schusswaffen/Schrotflinten Pumpguns, Scharfschützen und Sturmgewehre zum Abschuss von Kleindrohnen Evakuierungen, mobile Gruppen Standardmaßnahme bei Territorialverteidigung, Polizei und Kommando Bürger-Luftschutzgruppen Lokale Freiwillige zur Erkennung, Meldung und notfalls Bekämpfung von Drohnen Ortschaften nahe der Front Offiziell von Kiew aktiviert, Integration in die Territorialverteidigung Spezielle Körperschutzanzüge Neue Schutzkleidung zur Reduzierung der Splitterwirkung von Drohnenangriffen Pioniere, Infanterie, Aufklärer Ukrainische Pivot-Projekte, aktiv getestet und im Teilbetrieb

Quellen: AFP, Kyiv Post, New York Times, defence-ua.com, militarnyi.com, ZEIT, dedrone.com, defence-network.

An der Front ist die Entwicklung der Drohnenabwehr ein permanenter Wettlauf zwischen Angriff und Verteidigung. Russische Einheiten experimentieren laut ukrainischen und internationalen Berichten nicht nur mit Netzen, sondern auch mit Warnsystemen, etwa Ampeln mit Drohnendetektoren, die bei herannahender Gefahr warnen. Gleichzeitig berichten Beobachter, dass sich sowohl russische als auch ukrainische Truppen rasch an neue Taktiken und technische Veränderungen anpassen, konstatiert The Economist.

Die zunehmende Bedeutung der Drohnenüberwachung zeigt sich auch in unterirdischen Kommandoposten, wo ukrainische Soldaten rund um die Uhr Drohnen- und Funkbilder auswerten und mit improvisierten Mitteln versuchen, gegnerische Bewegungen aufzuklären oder zu stören. Die Digitalisierung und Automatisierung hat den Charakter der Gefechte an vielen Frontabschnitten grundlegend verändert.

Anti-Drohnen-Netze gegen Russland: Internationale Hilfe und gesellschaftliches Engagement

Angesichts des enormen Bedarfs an Netzen werden auch internationale Hilfsorganisationen und private Spender immer wichtiger. So berichtet die NYT von Wohltätigkeitsinitiativen in Schweden und Dänemark, die gezielt gebrauchte Fischernetze aus Häfen sammeln und per Lkw an die ukrainische Front liefern. Auch innerhalb der Ukraine engagieren sich zahlreiche Freiwillige beim Anbringen, Reparieren und Verteilen der Netze. Laut Angaben aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium wird damit gerechnet, dass noch Hunderte Kilometer Straßennetz gesichert werden müssen.

Klar ist: Die massive Verbreitung von Drohnen hat das Leben an der Front und im Hinterland tiefgreifend verändert. Die Straßenbilder prägen heute Netzkorridore und improvisierte Schutzmaßnahmen. Auch Fahrzeuge werden zum Teil mit Kettenkäfigen oder Netzen ausgerüstet, um Explosionen abzumildern.

„Wir kontrollieren das Land“, sagt Oberst Yehor Derewjanko in Kostjantyniwka gegenüber The Economist, „aber die Russen kontrollieren 90 Prozent des Himmels“. Der Schutz durch Netze und technische Neuerungen bleibt daher ein entscheidender Bestandteil von Kiews Abwehrkampfs im sich technisch immer wieder wandelnden Ukraine-Krieg. (chnnn/AFP)