Wer im Einkaufszentrum Luisenstraße flaniert und sich über gedämpftes Licht und einen niedrigeren Geräuschpegel als gewohnt wundert, der ist an einem Donnerstagnachmittag unterwegs. Von 15 bis 17 Uhr gilt in zahlreichen Geschäften in der Wiesbadener Innenstadt die sogenannte „Stille Stunde“. Sie soll besonders empfindsamen Gemütern ein „barrierefreies“ Einkaufserlebnis bieten.
Wiesbaden nimmt für sich in Anspruch, die „bundesweit erste Kommune“ zu sein, die eine „Stille Stunde“ flächendeckend in der Innenstadt organisiert, koordiniert und aktiv unterstützt. Partner sind mehr als 20 teilnehmende Geschäfte, darunter das Einkaufszentrum Luisenform und das Warenhaus von Karstadt-Kaufhof.
Entwickelt worden ist das Projekt in Kooperation der Landeshauptstadt mit der Initiative „gemeinsam zusammen“ und dem Land Hessen. Das Angebot richtet sich vorwiegend an Menschen, die unter Autismus, Angststörungen, sensorischer Überempfindlichkeit und ähnlichen Einschränkungen leiden. Allen anderen Besuchern soll die „Stille Stunde“ ein besonders entspanntes Einkaufserlebnis bieten.
Zeichen für gelebte Inklusion
Wiesbaden und einige Einzelhändler wollen damit Zeichen für mehr Barrierefreiheit und „gelebte Inklusion im öffentlichen Raum“ setzen.
Schirmherr ist Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), nach dessen Ansicht es um ein Signal „für eine inklusivere und vielfältige Stadtgesellschaft“ geht. Jeder solle die Möglichkeit zur Teilhabe am öffentlichen Leben haben – unabhängig von individuellen Bedürfnissen oder Einschränkungen. Die „Stille Stunde“ werde einen Beitrag zum gemeinschaftlichen Miteinander leisten wird“, so der Oberbürgermeister. Hessens Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) sprach zur Einführung von einem „beeindruckenden Beispiel“ für gelebte Inklusion.
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Dieses Angebot ermögliche Menschen mit besonderen Bedürfnissen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe. „Ich wünsche mir, dass dieses gute Beispiel weitere Städte und Gemeinden in Hessen übernehmen und diesem inklusiven Weg folgen“, so der Appell von Hofmann. Denn Inklusion sei keine Nische, sondern ein Gewinn für die Gesellschaft.
Idee hat Ursprung in Neuseeland
Das sieht Bürgermeisterin und Wirtschaftsdezernentin Christiane Hinninger (Die Grünen) ähnlich, die möglichst viele Einzelhändler zur Beteiligung aufruft. Wiesbaden setze dabei auf Freiwilligkeit, Engagement und gemeinsames Handeln. Das Projekt wird über das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ des Bundesbauministeriums gefördert. Dieses Programm zielt auf „innovative Maßnahmen neue Impulse für lebendige Innenstädte“.
Die „Stille Stunde“ hat ihren Ursprung in Neuseeland als Ergebnis der Initiative des Vaters eines autistischen Kindes. Laut Stadtverwaltung ist das Projekt als „Silent Shopping“ oder „Quiet Hour“ schon in zahlreichen Ländern etabliert. In Deutschland sei das bislang nur vereinzelt und punktuell geschehen, in der Regel ohne kommunale Koordination oder breite Beteiligung. Die Elemente der „stillen Stunde“ reichen von reduzierter Beleuchtung über den Verzicht auf Musik und Durchsagen bis zu leiseren Kassenzonen sowie Sitzgelegenheiten und Rückzugsmöglichkeiten.
Profitieren sollen Menschen „mit sensorischen Besonderheiten“ wie Autismus oder ADHS, neurologischen Diagnosen wie Demenz, Menschen mit chronischen Schmerzen oder Symptomen von Long-Covid. Ihnen werde das Einkaufen ohne Überforderung möglich gemacht, heißt es aus dem Rathaus.
Eine Liste der teilnehmenden Geschäfte hat die Stadt im Internet auf der www.wiesbaden.de/stille-stunde veröffentlicht.