Was man hier sieht, könnte auf den ersten Blick eine Szene aus einem Science-Fiction-Film sein: eine unwirtliche Sandlandschaft, in der eine Art Flugobjekt zusammengebrochen ist, ein maskierter Space Trooper dekontaminiert den Boden . . . Wenn man genauer hinschaut, sieht man dann, dass dies hier keine Zukunftswelt im All ist, sondern der Lido von Venedig, an dem jemand mit einem Metalldetektor vor einem kunstvollen Stapel von Kanus und Surfbrettern herumläuft. Aber man muss natürlich wie das Künstlerkollektiv des „Unlikely Pavilion“, das dieses und andere Fotos in seinem großartigen wöchentlichen Newsletter (theunlikelyguide@substack.com) veröffentlicht, den Blick dafür haben, wo sich ausgerechnet im von nostalgischen Kanal-und-Brücken-Touristen überlaufenen Venedig die Zukunft des Planeten (und vielleicht auch anderer Planeten) zeigt.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Erfunden wurde das Projekt, wie der Name schon ahnen lässt, im Umfeld der Architekturbiennale, die über den Sommer noch in Venedig unter dem Motto „Intelligens“ zu sehen ist und die Intelligenz der Menschen oder der Siedlungsverbände (beides meint das lateinische Wort „gens“) für die Stadtutopien der Zukunft zeigen will, wobei man allerdings alles Mögliche von Bakterienhaufen bis zu depressiv wirkenden Robotern, aber nur sehr wenige Menschen zu sehen bekommt. „Unlikely Pavilion“ will im Internet das bieten, was die biotechnokratische Ausstellung nicht hinbekommt. Neben ebenso gut gelaunten wie klugen, manchmal begeisterten, oft sehr kritischen Kommentaren zur Biennale und den sich dort manifestierenden gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen gibt es scharfe Kritik am „Tech-Solutionismus“ des Silicon Valley, das mit immer neuen Apps Antworten auf Pro­bleme und Fragen gibt, die zu Recht niemand stellte, und die immer wiederkehrende Frage, wie die Lagune zur Denkfigur und zum Zukunftsort werden kann. Venedig ist seit seiner Erbauung vom Untergang bedroht – und hat schon deswegen Strategien entwickelt, die sich eine von steigenden Meeresspiegeln bedrohte Welt zunutze machen kann. Was kann man von einer umfassenden „Lagunization“ lernen?

Gibt es positivere Visionen?

Ursprünglich wollte „Unlikely Pavilion“ an der Biennale teilnehmen, was der Chefkurator Carlo Ratti gut fand (wobei etwas nicht gut finden nicht seine Stärke ist, wie der vollgerümpelte Hauptpavillon zeigt), dann aber hat die Biennale den Namen beanstandet, weil die Pavillons den Ländern zustehen. Jetzt macht das Team seinen Pavillon als Newsletter, in dem Venedig-Texte von Kafka, Proust und Kim Stanley Robinson wiederentdeckt werden oder auch die von J. G. Ballard, dem großen Science-Fiction-Autor und Pionier der „Climate Fiction“: In seinem Roman „The Drowned World“ ist der Planet überhitzt, die Meeresspiegel steigen, riesige Insekten fliegen durch abgesoffene Lagunenstädte, die an ein dystopisches Venedig erinnern. Gibt es positivere Visionen?

Im Winter hat Metagoon, ein Kollektiv von Wissenschaftlern und Künstlern, in Venedig einen Science-Fiction-Workshop veranstaltet, in dem sich die Teilnehmer die Zukunft der Lagune und der lagunifizierten Welt vorstellen sollen – möglichst, auch wenn es „unlikely“ ist, mit einem positiven Ergebnis. Was dabei an Funden und Theorien herauskam, erscheint jetzt wöchentlich bis zum Ende der Biennale bei „Unlikely Pavil­ion“. Wenn man es liest, erscheint das von Milliardärshochzeiten, Touristen und Wasser überschwemmte Venedig mit seinen schief stehenden Palästen und Rost-Vaporetti plötzlich als Ort, an dem die Zukunft sichtbar werden könnte. Und das ist wirklich etwas Neues.