Herne. Fehlende Empathie, Beleidigungen, Fremdenhass: Die Herner Feuerwehr klagt über Reaktionen auf die Tragödie am Kanal. Das sei kein Einzelfall.
Ein junger Mensch (19) hat am Samstagabend am Herner Meer bei einem Badeunfall sein Leben gelassen, die Ermittlungen der Polizei zur Todesursache dauern an (siehe unten). So weit, so tragisch. Umso schlimmer, welcher Art zahlreiche Kommentare waren, die anschließend auf der Facebook-Seite der Herner Feuerwehr zu dem Bericht über das Unglück abgegeben wurden. Die Behörde zog schließlich die Reißleine: Sie schränkte die Kommentarfunktion auf ihrer Seite ein, löschte Beiträge und blockierte einzelne Facebook-User. Solche verbalen Eskalationen kämen immer häufiger vor, berichtet die Feuerwehr.
Die beiden Einsatz-Berichte der Herner Feuerwehr auf Facebook stießen auf sehr große Resonanz: Jeweils mehr als eine Viertelmillion Mal seien die Beiträge angeklickt worden, sagt Feuerwehr-Sprecher Nils Hoyermann auf Anfrage der WAZ. Leider sei in nicht wenigen Kommentaren unter diesen Berichten ein erheblicher Mangel an Empathie und Respekt festzustellen gewesen. Dazu zählten Beitrage nach dem Motto „selbst schuld“, aber auch ein völlig deplatzierter Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung an die jungen Menschen, die mit dem 19-Jährigen am Herner Meer waren.
Damit längst nicht genug: Diskussionen in den Facebook-Kommentaren über die Frage, ob man am Kanal oder im Freibad schwimmen sollte, seien plötzlich umgeschlagen in gegenseitige Drohungen und Beleidigungen, so Hoyermann. Als die Feuerwehr daraufhin – wie üblich – um Mäßigung gebeten und auf die „Netiquette“ hingewiesen habe, hätten einige auf die Meinungsfreiheit gepocht. Und selbst fremdenfeindliche Äußerungen habe es nach dem Unglück am Herner Meer gegeben – auch das keine Ausnahme.
Rund zwei Stunden nach Einsatzbeginn fanden Taucher der Feuerwehr im Kanal im Bereich der Schleuse Herne-Ost die Leiche des 19-Jährigen. Der Notarzt konnte anschließend nur noch den Tod des jungen Mannes feststellen.
© Feuerwehr Herne
Derart aus dem Ruder laufende Kommentarverläufe seien längst keine Einzelfälle mehr und hätten in den vergangenen Jahren zugenommen, betont der Pressesprecher der Feuerwehr. „Der Ton wird immer aggressiver.“ Immer mehr Menschen nutzten die Anonymität der sogenannten sozialen Medien und versteckten sich hinter Fake-Profilen: „Auf der Straße würde von Angesicht zu Angesicht doch kein Mensch so reden.“ Und: „Manche meinen, sie haben das Recht, jederzeit ihren Frust über alles abladen zu können und greifen dabei in die unterste Schublade.“
„Auf der Straße würde von Angesicht zu Angesicht doch kein Mensch so reden.“
Hernes Feuerwehrsprecher Nils Hoyermann
beklagt sich über Kommentare auf Facebook
Die Feuerwehr Herne werde das auch in Zukunft nicht dulden: „In solchen Fällen wird gnadenlos gelöscht und geblockt.“ Im aktuellen Fall geschah dies mit diesem Hinweis: „Leider haben die Kommentare, die jegliche Form von Respekt und Empathie vermissen lassen, auch bei diesem Beitrag nicht lange auf sich warten lassen. Daher mussten wir auch für diesen Beitrag die Kommentarfunktion einschränken.“
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Der erschreckende Trend stößt auch jenseits der Feuerwehr auf Entsetzen. So schrieb Petra Herrmann-Kopp vom Herner Stadtsportbund auf Facebook: „Da stirbt ein 19-jähriger junger Mensch unter tragischen Umständen und die Kommentarfunktion muss eingeschränkt werden, weil auch hier Kommentare raus gehauen werden, die einfach nur zum ko..en sind. Aber an anderer Stelle rumheulen, dass es kein Miteinander mehr gibt!“ Gaby Przybyl pflichtete ihr bei: „Ich stimme Dir so zu! Die Empathie vieler Menschen ist, aus welchen Gründen auch immer, verschwunden.“
Nicht nur Petra Herrmann-Kopp (Stadtsportbund Herne) ist entsetzt über Reaktionen auf Facebook.
© FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel
Der Herner Feuerwehr-Sprecher kennt allerdings noch eine ganz andere Seite der Medaille. „Viele Menschen zeigen bei uns auf Facebook durchaus Mitgefühl und nehmen Anteil.“ Die Feuerwehr erführe zudem unter ihren Herner Einsatzberichten auf Facebook immer wieder Lob und Anerkennung. „Viele Menschen bedanken sich für unseren Einsatz.“ Das dürfe man bei allem Ärger über die Auswüchse nicht vergessen.
>>> Polizei: Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen
- Die Ermittlungen der Polizei zu dem Tod des 19-Jährigen am Herner Meer seien noch nicht abgeschlossen, sagt Polizeisprecher Marco Bischoff am Montag, 21. Juli, auf Anfrage der WAZ. Bis zum Abschluss der Ermittlungen werde es noch etwas dauern.
- Derzeit deute aber alles auf einen Unglücksfall und nicht auf ein Fremdverschulden hin, betont Bischoff. Die Freunde des 19-Jährigen sowie Passanten hätten wohl versucht, ihn im Wasser zu retten. Das habe aber nicht funktioniert, weil er sich erheblich gewehrt habe.
- „Man muss sich das grundsätzlich so vorstellen, dass jemand in solchen Fällen in Panik gerät und um sich schlägt. Man kommt nicht an ihn heran, weil man ja im Wasser auch nicht so mobil ist“, erklärt Bischoff.