Seit 1990 sind in Deutschland über 50.000 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum gestorben – allein 2.137 im vergangenen Jahr. In Bonn waren es 2024 laut Polizei 19 Todesfälle. Zum „Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende“ am 21. Juli veranstalteten die AIDS-Initiative Bonn und der Elternkreis Arwed am Kaiserbrunnen einen Aktions- und Gedenktag mit Infostand.
„Ein Ort für Trauer – und ein Zeichen gegen das Schweigen“
Zentraler Bestandteil der Veranstaltung war eine Gedenkinstallation in Form eines symbolischen schwarzen Sargs. Hinterbliebene und Freunde konnten dort Namen, Botschaften oder Erinnerungen hinterlassen. „Wenn jemand an einer Überdosis stirbt, schämen sich viele Angehörige und es gibt oft nur ein stilles Begräbnis im kleinen Kreis. Die Freunde aus der Szene werden meist nicht eingeladen“, sagt Jürgen Repschläger von der AIDS-Initiative Bonn. „Genau deshalb braucht es diesen Ort.“ Der Gedenktag sei nicht nur ein politischer Aktionstag, sondern ein Raum für Würde, Anerkennung und stille Anteilnahme, gerade für jene, die sonst vergessen werden.
Wenn das eigene Kind abhängig ist
Horst-Dieter Müller vom Elternkreis Bonn/Arwed kennt diese Kämpfe aus eigener Erfahrung. Eines seiner Kinder wurde mit Anfang 20 heroinabhängig. „Das hat uns wie ein Hammerschlag getroffen“, sagt er. „Wir wussten nicht, wohin. Es gab kaum passende Angebote. Am Ende haben wir selbst eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen.“ Der Elternkreis begleitet derzeit rund 30 betroffene Familien in Bonn. Die Schicksale ähneln sich: psychische Erkrankungen, lange Wartezeiten auf Therapieplätze, soziale Isolation – und oft der Vorwurf, selbst schuld zu sein. „Wir wollen keine Mitleidsgeschichten erzählen“, sagt Müller. „Aber wir fordern mehr Aufklärung, mehr Ursachenforschung für Sucht, und vor allem: weniger Stigma. Sucht ist eine Erkrankung, und so muss sie auch behandelt werden.“
Der diesjährige Gedenktag stand unter dem Motto: „Überdosierung und Drogentod können alle Menschen (be)treffen.“ Damit soll deutlich gemacht werden, dass Drogenkonsum längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Für Heino Stöver, Suchtforscher und Schirmherr der Gedenkaktion, ist dieser Tag auch mit Protest verbunden: „Wir müssen der Öffentlichkeit zeigen, warum Menschen überhaupt an Drogen sterben. Die Risiken des Schwarzmarkts, verunreinigte Substanzen, synthetische Opioide: Das sind reale Gefahren.“ Stöver kritisiert, dass Deutschland trotz klarer Erkenntnisse kaum Fortschritte mache. „Wir haben die Daten. Wir haben die Konzepte. Aber wir machen keinen Gebrauch davon. Stattdessen haben wir 2024 einen neuen traurigen Höchststand an Drogentoten erlebt.“
Ein besonders alarmierender Trend: die zunehmende Crack-Szene
„Ich bin heute Morgen in Bremen in den Zug gestiegen. Direkt am Bahnhof: Crack-Szene. Crack ist ein Abstieg mit Ansage. Und wir schauen weiter weg“, sagt der Suchtexperte. Er fordert deshalb ein entschlossenes politisches Handeln auf allen Ebenen. Dazu gehört etwa der Ausbau kommunaler Frühwarnsysteme, bei denen Gesundheitsämter, Polizei und soziale Einrichtungen eng zusammenarbeiten, um Trends im Drogenkonsum frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. Auch Drugchecking, also die Analyse von Substanzen auf gefährliche Inhaltsstoffe, könne laut Stöver Überdosierungen und Vergiftungen verhindern und gleichzeitig einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratung bieten.
Ein zentrales Instrument seien zudem Drogenkonsumräume, in denen unter medizinischer Aufsicht konsumiert wird. Sie senken das Risiko von Infektionen und Todesfällen dem Suchtexperten zufolge drastisch und ermöglichen den Weg in weiterführende Hilfe. Lebenswichtig sei auch die flächendeckende Verfügbarkeit von Naloxon, einem Notfallmedikament, das bei Überdosierungen sofort wirkt – inklusive Schulungen für Angehörige und Fachkräfte. Und schließlich müsse die Substitutionstherapie ausgebaut werden: „Die Substitution hilft Menschen aus der Illegalität und ist für viele der erste Schritt zurück in ein würdevolles, stabiles Leben“, sagt Stöver.
Ein Positivbeispiel sieht er in Bonn: „Der Drogenkonsumraum hier ist vorbildlich. Ebenerdig, modern, getrennte Räume für Injektion und Inhalation – das ist genau das, was wir überall brauchen.“