An der nächsten Unterhauswahl sollen sich auch 16- und 17-Jährige beteiligen können. Die britische Regierung spekuliert, dass die Jugendlichen links wählen werden. Die Neuerung könnte sich für Labour allerdings auch als Bumerang erweisen.

Ein Wahllokal in der Nähe von Wimbledon in London: Bei der nächsten Unterhauswahl sollen auch 16- und 17-Jährige mitbestimmen dürfen. Ein Wahllokal in der Nähe von Wimbledon in London: Bei der nächsten Unterhauswahl sollen auch 16- und 17-Jährige mitbestimmen dürfen.

Alberto Pezzali / AP

Dass die britische Labour-Regierung von Keir Starmer das Stimmrechtsalter von 18 auf 16 Jahre senken will, ist keine Überraschung. Der Plan war Teil des Wahlmanifests, mit dem die Labour-Partei im Sommer 2024 die Unterhauswahl klar gewann. Vergangene Woche nun bekräftigte Starmer, wenn 16- und 17-Jährige alt genug seien, um Steuern zu bezahlen, seien sie auch alt genug, um politisch mitzubestimmen. Die Regierung begründet den Schritt mit dem Willen, die Partizipation und die Demokratie langfristig zu stärken.

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Doch die konservative Opposition argwöhnt, die Labour-Partei habe viel weniger die Zukunft der Demokratie als ihr Eigeninteresse im Blick. Da junge Wählerinnen und Wähler tendenziell eher für linke Parteien stimmten als ältere, wolle Labour mit Blick auf die nächste Unterhauswahl die eigene Wählerbasis vergrössern.

Der ehemalige Tory-Finanzstaatssekretär Simon Clarke warf Starmer eine schamlose Wahlmanipulation vor. Der frühere konservative Innenminister James Cleverly sprach von einem atemberaubenden Zynismus: Labour habe nach dem Erdrutschsieg von 2024 zuerst auf die Umsetzung dieses Wahlversprechens verzichtet, nur um es nun angesichts der schlechten Umfragewerte doch wieder aus der Schublade zu ziehen.

Junge Briten stehen eher links

Wie gross sind die Chancen, dass Labour bei der spätestens 2029 anstehenden Unterhauswahl von der Senkung des Wahlalters profitieren kann? Verlässliche Umfragen zu den parteipolitischen Präferenzen der 16- bis 17-Jährigen gibt es nicht. Rückschlüsse lassen sich aber aus den Umfragen für 18- bis 24-Jährige ziehen. In dieser Altersgruppe käme die Labour-Partei derzeit auf etwa 28 Prozent der Stimmen, knapp vor den Grünen, die bei den Jungen viel besser abschneiden als in der Gesamtbevölkerung.

Auch die Liberaldemokraten sind bei den Jungen beliebt. Die rechtsnationale Reform-Partei hingegen, die in der Gunst der Gesamtbevölkerung derzeit klar in Führung liegt, und die Tories kommen bei den Jungwählern bloss auf je knapp 10 Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: Fast zwei Drittel der über 65-Jährigen würden derzeit entweder für Reform UK oder die Konservativen stimmen.

Österreich war 2007 das erste europäische Land, das das Stimmrechtsalter für nationale Wahlen auf 16 Jahre senkte. Seit 2019 können sich 16- und 17-Jährige auch in Malta an nationalen Wahlen beteiligen. Vor dem Referendum über die schottische Unabhängigkeit im Jahr 2014 senkte auch die Regionalregierung der Scottish National Party (SNP) das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre – in der Hoffnung, die Jungwähler könnten der Abspaltung vom Vereinigten Königreich zum Durchbruch verhelfen.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht: Die schottische Bevölkerung votierte mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Doch stimmten laut einer Studie rund 71 Prozent der 16- bis 17-Jährigen für die Unabhängigkeit, womit sich das politische Kalkül der SNP als durchaus richtig erwies.

Jugendliche sind eine kleine Wählergruppe

Bei Wahlen ist die Ausgangslage komplexer als bei Sachabstimmungen, bei denen man nur mit Ja oder Nein votieren kann. Auch vor diesem Hintergrund argumentieren die Politologen Jan Eichhorn von der Universität Edinburg und Christine Huebner von der Universität Sheffield in einer im Januar publizierten Untersuchung, die elektoralen Konsequenzen der geplanten Senkung des Stimmrechtsalters würden überschaubar bleiben. Dies legten die Erfahrungen aus Ländern und Gebieten wie Österreich, Schottland, Wales, Argentinien oder Brasilien nahe.

Zwar beteiligten sich die jungen Wählergruppen bei der erstmaligen Wahl überproportional stark, was ihr Vertrauen in die Demokratie stärke, schreiben die Forscher. Zudem seien die Jugendlichen genauso gut wie ältere Wähler in der Lage, sich für eine Partei zu entscheiden, die ihre Werte und Ansichten spiegle. Insgesamt aber seien die parteipolitischen Präferenzen der Jugendlichen zu wenig einheitlich und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung zu klein, als dass sie eine Wahl entscheidend beeinflussen könnten.

In Grossbritannien machen die 16- und 17-Jährigen je nach Wahlkreis zwischen 1,5 und 5 Prozent der Wahlberechtigten aus. Selbst wenn sich alle Jungwähler beteiligten und für die gleiche Partei votierten, könnte dies nur in äusserst umkämpften Wahlkreisen das Ergebnis verändern, argumentieren die Politologen.

Farage buhlt um Jungwähler

Allerdings hat die Zahl der umkämpften Wahlkreise in den vergangenen Jahren zugenommen: 2019 machten bei 67 der 650 Unterhaussitze weniger als 5 Prozent der Stimmen den Unterschied. 2024 kam es zu 115 knappen Ausmarchungen, wobei in 46 Wahlkreisen sogar weniger als 2 Prozent der Stimmen den Ausschlag gaben.

Der Zerfall des britischen Zweiparteiensystems beschleunigt sich. Jahrzehntelang hat das Mehrheitswahlrecht, gemäss dem in jedem Wahlkreis die Person mit den meisten Stimmen den Sitz erringt, die Macht der Konservativen und der Labour-Partei zementiert. Bei der nächsten Unterhauswahl könnte es nun erstmals zu einem offenen Wettstreit zwischen fünf Parteien kommen.

In den Umfragen liegt derzeit die rechtsnationale Partei Reform UK klar an der Spitze, aber auch die Grünen und die Liberaldemokraten können sich Hoffnungen auf Sitzgewinne machen. In etlichen Wahlkreisen dürfte es zu knappen und sehr unberechenbaren Ausmarchungen kommen – womit das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen plötzlich ins Gewicht fallen könnte.

Ob Starmers Kalkül aufgeht, ist dennoch fraglich. Denkbar ist nicht nur, dass Labour in urbanen Wahlkreisen wegen der Stimmen der Jugendlichen Sitze an die Grünen verliert. Grundsätzlich offen ist auch, ob die jungen Britinnen und Briten am Ende tatsächlich Parteien links der Mitte bevorzugen werden. So stimmen in vielen EU-Staaten gerade junge Männer überproportional stark für rechtsnationale Parteien.

Nigel Farage, der Chef von Reform UK, ist der britische Politiker mit den meisten Followern auf Tiktok. Die Rechtsnationalen werden alles daransetzen, um ihren Erfolg in den sozialen Netzwerken in Wählerstimmen umzumünzen. Farage kritisierte zwar das Stimmrechtsalter 16 und sprach von einem Manipulationsversuch. Gleichzeitig prophezeite er, dass sich die Neuerung für Labour als Bumerang erweisen werde: «Wir werden ihnen eine böse Überraschung bereiten.»