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Der Putin-Getreue Expräsident Dmitrij Medwedew zeigt sich vor großer, roter Sowjetkarte.Der Putin-Getreue Ex-Präsident Dmitrij Medwedew zeigt sich vor großer, roter Sowjetkarte. © IMAGO/Grigory Sysoev

Hoch zugeknöpft, aber unrasiert: Putins Elite folgt einem neu-altrussischen Dresscode. Ihre Botschaft: Seht her, wir sind so wie früher, wir sind anders, wir sind Russen!

Im Kreml wird man bärtiger. Maxim Oreschkin, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung, hat sich einen Vollbart stehen lassen. Damit folgt der frühere Wirtschaftsminister, der lange glatt rasiert war und eher als Regierungsliberaler galt, dem Beispiel des ultranationalen Medienmoguls Konstantin Malofejew, oder des ebenso ultranationalen Soziologen Alexander Dugin. Beide Rechtsaußen tragen angegraute Barttrachten im Stil der adligen Bojaren des 17. Jahrhunderts, denen damals der auf Modernisierung sinnende Zar Peter I. sogar persönlich die Kinnbacken frei schnitt.

Kreml-Größe Oreschkin eifert seinen Ahnen nach.Kreml-Größe Oreschkin eifert seinen Ahnen nach. © Maxim Shemetov/AFP

Aber jetzt lassen sich auch andere Kremlbeamte Vollbärte stehen, Alexander Charitschew, Abteilungsleiter für soziales Monitoring oder Anton Fjodorow, Chef der Verwaltung für Dokumentenverkehr. Noch imposanter ist die Gesichtshaarmähne des Polittechnologen Andrej Polossins, der sich früher mit einem Drei-Tage-Bart zufriedengab.

Erkennungszeichen der Intellektuellen im Umfeld des Kremls

Barttrachten nach dem Vorbild des slawophilen und antiwestlichen Literaturklassikers Fjodor Dostojewskij gelten laut dem Telegramkanal „Josch Law“ vor allem als Erkennungszeichen der Intellektuellen im Umfeld des Kremls, die sich ideologischen Fragen widmen. Auch Topfunktionäre vollführten „eine Abwendung vom Technokraten-Image zu einer ,Staatsmännlichkeit’, die scheinbar tief in kulturellen und historischen Traditionen verwurzelt ist“.

Die junge Duma-Abgeordnete Xenia Gorjatschewa präsentiert jetzt im Parlament regelmäßig breite, im altrussischen Stil verzierte Stirnreifen. Marija Lwowa-Belowa, Russlands Kinderrechtsbeauftragte und Malofejews Gattin, tragen wallende Gewänder in den himmelblauweißen Farben altrussischen Gschel-Porzellans. Sie alle demonstrieren der Vergangenheit zugewandte Volkstümlichkeit. Ihre Botschaft: Seht her, wir sind so wie früher, wir sind anders, wir sind Russen!

Vor allem Leute aus der zweiten Reihe schillern in bunten Outfits

Vizeverteidigungsministerin Anna Ziwiljowa, Verwandte des Präsidenten, erscheint in Fantasieuniformen, die mal an Kampffliegerinnen, mal an Raubtierdompteusen erinnern. Auch die Männer kleiden sich kriegerisch-machtbewusst, Star-Propagandist Wladimir Solowjow, Tschetschenenchef Ramsan Kadyrow, sogar Expräsident Dmitrij Medwedew zeigen sich in hoch zugeknöpften Kitteln, die „French“ genannt werden und die einst Josef Stalin oder Mao Tsetung trugen. Georgij Filimonow, Gouverneur von Wologda, hängte sich ein Ölgemälde ins Büro, wo er im French Stalin die Hand schüttelt.

Putins Verwandte Ziwiljowa in Fantasieuniform.Putins Verwandte Ziwiljowa in Fantasieuniform. © IMAGO/Vitaliy Belousov

Vor allem Leute aus der zweiten Reihe schillern in bunten Outfits, sie wollen mit ihrem neurussischen Dresscode offenbar weiter oben gefallen. Aber Wladimir Putin selbst tauchte seit Februar 2022 nur ein einziges Mal im Tarnanzug auf, im März bei einer militärischen Lagebesprechung in der Grenzregion Kursk. Kaum denkbar, dass Putin sich ein T-Shirt anzöge und einen 10-Tage-Bart wachsen ließe, wie sein Widersacher Wolodymyr Selenskyj. Auch die Rasuren seiner Minister sind weiter so perfekt wie der Sitz ihrer Krawatten. Putin und sein Gefolge müssen der Öffentlichkeit demonstrieren, dass alles normal läuft und stabil funktioniert. Auch die mittlere und untere Beamtenschaft möchte höchstens positiv auffallen, indem sie sich einen patriotischen Sticker ans Revers steckt oder ein „Z“ auf die Pkw-Heckscheibe klebt.

Auf die breite Bevölkerung hat der neue Anzieh-Patriotismus kaum Einfluss, man geht weiter mit den westlichen Moden. Und wer in Moskau eine junge Frau mit grün gefärbtem Bubikopf sieht, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „I hate sex“ trägt, weiß, dass sie keine politische Karriere anstrebt.