Moskau. Vor zwei Jahren herrschte Aufregung, als ukrainische Drohnen Moskau angriffen. Heute haben die Russen ein anderes Verhältnis zu den Attacken.
Autos, die in Brand gerieten, zerbrochene Fensterscheiben, beschädigte Wohnhäuser: Die Bilder aus dem Moskauer Vorort Selenograd zeigen massive Zerstörungen durch den jüngsten ukrainischen Drohnenangriff auf Russlands Hauptstadt. Bilder, veröffentlicht von Anwohnern in den sozialen Netzwerken. Es war der bislang größte Angriff auf Moskau, rund 30 Drohnen hatte die russische Luftabwehr abgeschossen. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin räumte Schäden ein, sie seien aber nicht schwer – und würden beseitigt. Schläge wie dieser tief im russischen Hinterland würden intensiviert werden, teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit.
In Moskau gehen die Menschen gelassen mit den Drohnenangriffen um. Normaler Alltag, von Angst ist wenig zu spüren. „Leider klappt es nicht, mit der Ukraine in Frieden zu leben, aber ich denke, wir werden diese Krise überstehen“, sagt die 58-jährige Victoria unserer Redaktion. „Es werden bessere Zeiten kommen!“
Drohnen stören Moskaus Flugverkehr: Menschen sind verärgert
Damals, im Sommer 2023, war das anders. Zwei Drohnen trafen ins Herz der modernen Moskauer Wirtschaft, in die Hochhäuser des Businessviertels Moskwa City. Unklar ist, ob die Hochhäuser damals wirklich das Ziel waren, oder die Drohnen durch elektronische Störmaßnahmen dorthin abgelenkt wurden. Damals waren viele Moskauerinnen und Moskauer verunsichert, „Russland und die Bürger fühlen sich wegen dieser Drohnen nicht sicher“, war in sozialen Netzwerken zu lesen. Heute scheint die russische Luftabwehr zuverlässig zu funktionieren. Und: Selenograd zählt zwar zum Moskauer Gebiet, vom Stadtzentrum ist der Ort allerdings rund 50 Kilometer entfernt.
Verärgert sind viele Menschen eher wegen der ständigen Sperrungen der Moskauer Flughäfen. So war es auch am Wochenende. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija meldete Einschränkungen auf den vier Hauptstadtflughäfen Scheremetjewo, Wnukowo, Domodedowo und Schukowski. Weil Starts und Landungen dort wegen der Drohnengefahr zeitweise nicht möglich waren, wurden ankommende Flüge auf andere Flughäfen umgeleitet. Die Folge: Chaos auf den Airports. „Flugreisen werden für Russen immer abenteuerlicher“, kommentierte die Zeitung „Kommersant“.
Drohnen am Himmel: Die Fluggeräte verursachen immer wieder ein Reisechaos an den Moskauer Flughäfen.
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Russische Reisewirtschaft: Ständige Verspätungen und Ausfälle sind ein Problem
„Ich hatte das Glück, nie in eine Situation zu geraten, in der mein Flug gestrichen oder verschoben wurde, obwohl ich viel fliegen muss“, sagt Alexander (44) unserer Redaktion. Stören würden ihn diese Behinderungen allerdings nicht. „Ich verstehe das. Drohnenangriffe machen den Leuten zwar Angst, aber es ist auch klar, dass der Himmel während der Luftabwehr gesperrt sein muss.“ Artjom Korenjako, Sprecher der Luftaufsichtsbehörde Rosawiazija, bat die Passagiere um Verständnis und Geduld. „Wie viele andere befinde ich mich jetzt schon mehrere Stunden im Flugzeug“, postete er in einem Videoclip direkt von seinem Sitz aus. Aber die Flugsicherheit habe Priorität.
Für die russische Reisewirtschaft allerdings sind die ständigen Verspätungen und Ausfälle ein großes Problem. Allein am Wochenende vom fünften bis siebten Juli seien 485 Flüge abgesagt worden, 88 habe man auf Ausweichflughäfen umgeleitet, 1900 Maschinen hätten Verspätungen gehabt, so die Luftaufsichtsbehörde. 94.000 Menschen landeten ungeplant in Hotels. Flughafenbedienstete machten Überstunden, nicht nur auf dem Sankt Petersburger Flughafen Pulkowo wurden zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Viele Reisende in Russland steigen derzeit auf die Bahn um, doch auch dort sind einige Verbindungen durch Drohnenangriffe gestört. Unter anderem die beliebte Bahnlinie auf die Halbinsel Krim.
Reisechaos trifft Urlaubszeit: Alltag zwischen Krieg und Gelassenheit
Ständiges Reisechaos gerade jetzt, in der Urlaubszeit? Die 43-jährige Antonina nimmt es gelassen. „Ich habe von Freunden und Kollegen Beschwerden über die Situation am Himmel gehört“, erzählt sie unserer Redaktion. „Deshalb habe ich beschlossen, durch unser eigenes Land zu reisen. Zumal es hier viele wunderschöne und interessante Orte gibt.“ Wjatscheslaw (34) hingegen will weiterhin fliegen. Die Situation an den Flughäfen allerdings findet er ärgerlich. Er wünscht sich, dass die Fluggesellschaften bei Verspätungen „den Menschen Wasser, Essen und einen Platz zum Ausruhen geben. Manchmal sieht die Situation am Gate schrecklich aus, und niemand übernimmt in solchen Fällen die Verantwortung.“
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Massive Bombardierungen durch russische Truppen in der Ukraine und neuerdings eine Intensivierung ukrainischer Angriffe tief ins russische Kernland: Vor dem Hintergrund der Verhandlungen, die am Mittwoch in Istanbul in die nächste Runde gehen sollen, wollen beide Seiten ihre Positionen stärken. Man benötige „mehr Schwung in den Verhandlungen zur Beendigung des Krieges“, sagt der ukrainische Präsident Selenskyj. Doch die Erwartungen sind auf beiden Seiten gering. Der Ukraine gehe es um „die Rückkehr der Kriegsgefangenen, die Rückkehr der von Russland entführten Kinder und die Vorbereitung eines Treffens auf Führungsebene“.
Gespräche zwischen Ukraine und Russland: Kreml-Sprecher macht Ansage
„Es gibt natürlich keinen Grund, auf irgendwelche wundersamen Durchbrüche zu hoffen, und in der gegenwärtigen Situation ist dies auch nicht möglich“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag. „Wir beabsichtigen, unsere Interessen zu verfolgen, wir beabsichtigen, unsere Interessen zu wahren und die Aufgaben zu erfüllen, die wir uns von Anfang an gestellt haben.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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So werden die gegenseitigen Drohnenangriffe wohl weitergehen. In der Ukraine fordern sie einen hohen Blutzoll. In Russland ist es eher eine Störung im Alltag, auch wenn immer wieder Menschen sterben oder verletzt werden. „Meine Kinder und Enkelkinder fliegen ständig irgendwo hin“, sagt die 67-jährige Tatjana. „Natürlich bin ich besorgt, aber man kann ihnen das Fliegen nicht verbieten.“