3D-Animation einer Pipeline, sie trägt die Aufschrift Nordstream 2.

Stand: 22.07.2025 19:28 Uhr

Die EU hat vergangene Woche Sanktionen gegen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 erlassen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wollte damit ausschließen, dass die Gas-Pipelines jemals wieder in Betrieb genommen werden. Doch Experten haben Zweifel, ob ihr Ende wirklich besiegelt ist.

von Frank Breuner

„Nord Stream ist tot – gut so“, sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden in einem Interview kurz nachdem am vergangenen Freitag die Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union (EU) in Kraft getreten sind. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo die beiden Pipelines anlanden, begrüßte die Landesregierung die Entscheidung in Brüssel. Regierungssprecher Andreas Timm schrieb dem NDR: „Die Bundesregierung hat die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gestoppt. Das hat die Landesregierung immer unterstützt.“ Diese Haltung werde durch die Entscheidung der EU verstärkt, so Timm. Vor der russischen Invasion galt Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) allerdings noch als entschiedene Unterstützerin des Baus von Nord Stream 2.

Podcast Akte Nord Stream 2 - Eine Pipeline unter Wasser

Die EU verhängt wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine neue Sanktionen – auch gegen die Nord-Stream-Pipelines.

Experte: Sanktionen gegen Nord Stream zunächst nur sechs Monate gültig

Besonders kritisch wurde Nord Stream hingegen in Osteuropa und Skandinavien betrachtet. „Das war im Grunde ein Projekt zur Schwächung der ukrainischen ökonomischen Hebelkraft gegenüber Russland“, meint Andreas Umland vom Osteuropainstitut Stockholm. Russland habe die alten Pipelines, die über Land durch die Ukraine in Richtung EU führten, schließlich nicht mehr gebraucht. Und das habe den russischen Angriffskrieg überhaupt erst möglich gemacht, davon ist Umland überzeugt. 

Die Europäische Union habe mit ihrem Beschluss jetzt das richtige Signal gesetzt, zumindest für das kommende halbe Jahr. Umland erinnert daran, dass die Sanktionen alle sechs Monate von den EU-Mitgliedsstaaten einstimmig bestätigt werden müssen. Sollte dann beispielsweise Ungarn sein Veto einlegen, wäre die Zukunft von Nord Stream wieder offen. Das sei in der Vergangenheit allerdings noch nie geschehen.

EU verbietet alle Geschäfte, die mit Nord Stream zu tun haben

Daran mag auch in Brüssel derzeit kaum einer denken. Ziel der Beschlüsse sei es, „die Wiederaufnahme oder Errichtung von Erdgaslieferungen über diese Pipelines zu verhindern“, so eine Sprecherin der EU gegenüber dem NDR. Dies bedeute, dass kein EU-Betreiber Geschäfte mit Bezug zu Nord Stream durchführen kann. „Dazu gehören Transaktionen für die Fertigstellung, den Betrieb, die Wartung oder die Nutzung der Pipelines oder Teile der Pipelines.“ Das Geschäftsverbot gelte auch für den Kauf von Erdgas, das über eine der beiden Pipelines transportiert werden könne.

Ostsee-Pipelines weiterhin gewartet

Es gibt allerdings auch Ausnahmen, darunter Wartungsdienste, die unbedingt erforderlich seien, um Umwelt- und Sicherheitsrisiken zu vermeiden. Auch die Sicherheit der Fischerei auf der Ostsee werde dabei berücksichtigt, so die EU-Sprecherin. Allerdings müssen solche Wartungsarbeiten künftig von den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten, also auch in Deutschland, geprüft und genehmigt werden. Dafür gelten genau geregelte Fristen und strenge Voraussetzungen müssen erfüllt werden. Derzeit liegen Wartungsarbeiten an. Die Erlaubnis hatte die dänische Energieverwaltungsbehörde der zum russischen Gazprom-Konzern gehörenden Nord Stream 2 AG bereits im Januar 2025 erteilt – ein halbes Jahr bevor die Sanktionen beschlossen wurden.

Ein Schild mit der Aufschrift „Nord Stream 2 Committed Reliable Safe“ hängt im Gewerbegebiet Lubmin.

Die Gasleitungen könnten eine wichtige Rolle bei Verhandlungen zwischen Russland, den USA und der Ukraine spielen.

Nord Stream 2: Viel Gas in den Röhren

Die Betreibergesellschaft darf also mit dänischer Genehmigung „erhaltende Maßnahmen“ an ihrer 2022 beschädigten Leitung in der Ostsee vornehmen. Dabei sollen spezielle Stopfen an den offenen Rohrenden installiert werden, um unter anderem den weiteren Austritt von Erdgas zu verhindern. Die für die zweite Jahreshälfte 2025 geplanten Arbeiten sollen zwei bis drei Wochen dauern. Nach Angaben der Behörde enthält das beschädigte Pipeline-Rohr A noch reichlich verbliebenes Erdgas, während Rohr B intakt und gefüllt ist. Ob die kürzlich verhängten Sanktionspläne diese Wartungsarbeiten zunichte machen, oder ob sie unter die Ausnahmeregelungen fallen, ist aber momentan unklar. Weder die EU oder die zuständige dänische Behörde noch die Nord Stream AG antworteten auf entsprechende Fragen des NDR.

Das Foto zeigt den Schriftzug "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV" und ein gelb-blau-grünes Singnet auf weißem Grund.

Die CDU-Politiker Kuhn und Glawe haben vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zur umstrittenen Erdgas-Pipeline ausgesagt.

Experte: Wartungsarbeiten an Pipeline „verdächtig“

Andreas Umland vom Stockholmer Osteuropainstitut sieht die Wartungsarbeiten skeptisch. Womöglich gebe es eine vernünftige Begründung dafür, die Arbeiten durchzuführen – aus umwelttechnischen Gründen oder wegen Sicherheitsfragen etwa. „Aber aus meiner Sicht klingt das tatsächlich etwas verdächtig, dass da nun doch noch irgendwas passieren soll.“ Immerhin handele es sich um eine Industrieruine, und zu der sei sie schon geworden, noch bevor drei der vier Pipeline-Stränge gesprengt wurden. Russland habe sie ja bereits vor den Anschlägen „dichtgemacht“ und die deutsche Industrie damit in eine schwere Krise gestürzt, so Umland.

Nord Stream: Zombie der Weltpolitik

Sind die Ostseepipelines also wirklich „tot“? Viele Politiker scheinen sich da sicher zu sein. Für einen ausgewiesenen Sanktionsexperten ist das Nord Stream-Aus noch mit Fragezeichen versehen. „Ob das tatsächlich so bleibt, wird sich zeigen“, meint Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In den vergangenen Monaten hatten immer wieder Gerüchte die Runde gemacht: Ein US-amerikanischer Investor könnte die Pipelines kaufen und quasi als Zwischenhändler für russisches Gas auftreten. Dazu kommt noch, dass die Unternehmen Nord Stream AG und Nord Stream 2 AG auch diesmal nicht direkt von Brüssel sanktioniert wurden, sie könnten sich weiter wirtschaftlich in der EU betätigen. Womöglich spielen die Pipelines dann doch noch mal eine Rolle bei möglichen Friedensgesprächen zur Ukraine. Das alles spricht gegen den endgültigen Todesstoß für das Projekt.

Nord Stream könnte trotz Sanktionen wiederbelebt werden

Allerdings sei eben durch die neuen Sanktionen ausgeschlossen, dass EU-Unternehmen sich an einer Wiederbelebung der Pipelines beteiligen könnten, sagt Lohmann. Eine mögliche amerikanisch-russische Zusammenarbeit würde durch die EU-Sanktionen gegen Nord Stream und Nord Stream 2 nicht unmöglich gemacht. Allerdings würde sie verteuert und logistisch aufwendiger, da keine Güter oder Dienstleistungen von europäischen Unternehmen bereitgestellt werden dürfen. Die Frage ist dann also, ob sich der „Deal“ noch lohnen würde. Das Projekt Nord Stream ist durch die Sanktionen der EU erledigt – zumindest vorerst. Es wirkt so, als hätten sich die Politiker ein kleines Hintertürchen offengelassen – je nachdem, wie sich die weltpolitische Lage entwickelt.

Im Hafen von Mukran auf Rügen lagern noch Rohre für die Ostseepipeline Nord Stream 2.

Ein Experte bezweifelt, dass die umstrittene Stiftung nötig gewesen sei, um die an Nord Stream 2 beteiligten Bauunternehmen vor US-Sanktionen zu schützen.

Ein aus dem russischen Ostseehafen Primorsk kommender Tanker fährt durch die Kadetrinne.

Mit neuen Sanktionen geht die EU massiv wie nie zuvor gegen die Schattenflotte und Öl-Exporte vor. Russland hält dagegen.

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einem Interview.

Der SPD-Politiker ist bereit dem Untersuchungsausschuss des Landtags Fragen zu beantworten. Allerdings stellt sein Anwalt Bedingungen.