Der Einsatz der umstrittenen Polizei-Software Palantir in Bayern wird das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhebt an diesem Mittwoch Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen systematische polizeiliche Datenanalysen durch diese Analyseplattform im Freistaat. Der Schriftsatz liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Die GFF ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, der beim Thema Grundrechte häufig auf den Klageweg setzt.
Das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) erlaubt der Polizei sogenanntes Data Mining. Dabei wertet ein Programm namens „VeRA“ auf Basis der Palantir-Software riesige, bereits für unterschiedliche Zwecke vorliegende Datenmengen aus und stellt Verknüpfungen her – „in erheblichem Umfang“ auch zu Personen wie Opfern oder Zeugen, die in keinem Zusammenhang mit Straftaten stehen, teilte die GFF mit. Diese weitreichende Auswertung von Daten verletze Grundrechte, es handele sich um eine „Blackbox“. Ziel der Verfassungsbeschwerde seien „klarere Grenzen für den Einsatz von Data Mining-Software“.
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VeRA steht für „verfahrensübergreifende Recherche und Analyse“ und soll bei Ermittlungen Informationen zu Personen aus verschiedenen Quellen zusammenführen. Neue Daten werden dadurch nicht gesammelt oder generiert. Bisher mussten die Beamten mehrere Systeme aufwendig auswerten und die Ergebnisse quasi nebeneinanderlegen. Datenschützer äußerten früh die Sorge, dass deutsche Polizei-Daten in die USA abfließen könnten.
Palantir, gegründet vom Tech-Unternehmer und Trump-Unterstützer Peter Thiel, hat offenbar als Start-up Geld vom Geheimdienst CIA erhalten und zählt diesen zu seinen Kunden. Eine Prüfung der Quellcodes der Software im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts ergab aber keine Hinweise auf versteckte Hintertüren. In den USA trägt die Software den Ursprungsnamen „Gotham“.
„Bayern ist nicht Gotham City. Die Polizei darf bei ihren Ermittlungen keine intransparenten Algorithmen ans Steuer lassen“, kritisiert Franziska Görlitz, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. „Schon wer Anzeige erstattet, Opfer einer Straftat wird oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann durch die Software ins Visier der Polizei geraten.“ Die Klage wird nun nach Eingang in Karlsruhe zunächst auf Zulässigkeit und Begründetheit geprüft werden; danach stünde eine Entscheidung an.
Die Software wird in mehreren Bundesländern eingesetzt, in der Innenministerkonferenz gibt es weitere Interessenten, es herrschen aber auch konträre Ansichten dazu. Die höchstrichterliche Klärung, so die GFF, sei auch vor dem Hintergrund wichtig, dass aktuell immer wieder über die Nutzung von Palantir auf Bundesebene und durch weitere Bundesländer diskutiert wird. Nach einer Verfassungsklage der GFF zu einer vergleichbaren Analyseplattform desselben Herstellers in Hamburg und Hessen hatte das Gericht in Karlsruhe 2023 bereits Grenzen zu automatisierten Datenanalysen gesetzt. Diese Grenzen halte der bayerische Gesetzgeber nicht ein, beklagt die GFF nun.
Der Einsatz von VeRA diene der effektiven Gefahrenabwehr und Verhütung von Straftaten und sei für die Arbeit der Polizei absolut notwendig, erklärt das Innenministerium regelmäßig in Mitteilungen. Dabei halte man sich strikt an rechtliche Vorgaben. Im Moment gebe es keine konkurrenzfähige Alternative zu Palantir auf dem europäischen Markt.
Wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zuletzt zitiert wurde, brauche man VeRA „als Werkzeug im Kampf gegen Terror und Schwerstkriminalität“. Das System ermögliche es der bayerischen Polizei, in Rekordzeit Informationen aus verschiedenen eigenen Datenbanken effizient zu verknüpfen und auszuwerten. Die verkürzte Reaktionszeit und Präzision bei Bedrohungen seien „ein Quantensprung in der kriminalistischen Arbeit“.
Die GFF schreibt zu ihrer Verfassungsbeschwerde unter anderem, nach der bayerischen Regelung dürfe die Polizei die Software nicht nur bei besonders schweren Straftaten nutzen, sondern auch schon, bevor eine Gefahr überhaupt besteht. „Eine wirksame Kontrolle gibt es nicht. Auch ein Schutz vor Fehlern der Software ist nicht gewährleistet – häufig haben die Algorithmen diskriminierende Auswirkungen.“ Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR vom Juni nutzte die bayerische Polizei von September 2024 bis Mai 2025 VeRA etwa 100 Mal. Darunter waren zwar auch große Gefahrenlagen, etwa der Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München im September 2024; sehr wohl aber ging es demnach häufig auch um eher niedrigschwellige Straftaten, etwa im Eigentumsbereich.
„Karlsruhe muss die neueste Entwicklung stoppen“
Unterstützt wird die Verfassungsbeschwerde unter anderem vom Chaos Computer Club (CCC). „Die Palantir-Rasterfahndung erfasst eine enorme Menge von Menschen. Zuvor getrennte Daten werden miteinander verknüpft, die für sehr unterschiedliche Zwecke vorgesehen waren. Schon allein deshalb darf die automatisierte Massenanalyse nicht zum Polizeialltag werden“, sagt CCC-Sprecherin Constanze Kurz. Hinzu komme die Abhängigkeit der Polizei von dem US-Konzern.
Zu den insgesamt acht Beschwerdeführern gehören laut der GFF auch Vertreter der Fanhilfe des Fußballvereins SpVgg Fürth oder aus dem Bündnis „No PAG“, das sich gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz generell richtet. Dessen Aktivist Johannes König wird in einer Mitteilung der GFF zitiert: „Als wäre das bayerische Polizeiaufgabengesetz noch nicht autoritär genug geprägt, setzt die Staatsregierung nun auch noch auf die Überwachungssoftware des rechten Verschwörungsideologen Peter Thiel. Karlsruhe muss die neueste Entwicklung stoppen.“
Bei der Landtagsdebatte zur Änderung des PAG vergangenes Jahr hatte auch die Opposition ihre Bedenken vorgebracht. Benjamin Adjei (Grüne) sagte etwa, VeRA greife tief in den persönlichen Kernbereich der Lebensführung der Menschen ein. Bei der Eingriffstiefe unterscheide man aber nicht zwischen Gefahr für Leib und Leben und beispielsweise Sachgütern. „Das funktioniert nicht“, das entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Horst Arnold (SPD) sagte damals: „Gerade im Polizeirecht müssen häufig Verfassungsgerichte eingreifen, Normen beanstanden oder gar für nichtig erklären, weil der Gesetzgeber oft übers Ziel hinausschießt.“ Die Vorgaben aus Karlsruhe zu Palantir im Falle Hessens und Hamburgs habe Bayern aber nicht ausreichend umgesetzt. Alfred Grob (CSU) verteidigte die Linie der Staatsregierung: „Wir reden immer wieder von der Globalisierung und Digitalisierung der Kriminalität; dann brauchen wir auch endlich eine ebensolche Entwicklung der Globalisierung und Digitalisierung im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Das heißt nichts anderes als die digitalen Instrumente, um das zu tun.“