Kleiner Scherz vom Wettergott: Spielt nicht Flüssiges im Werk von Gregory Porter eine auffällige Rolle, sei es nun Wasser oder seien es Tränen? Dann liefere ich doch passend zum Open-Air-Konzert des amerikanischen Souljazz-Stars im Wiesbadener Kurpark Atmosphärisches, nämlich Regen. Die dunklen Wolken verziehen sich zum Glück nach einigen Minuten, es handelt sich ja nur um einen kleinen Scherz. Das nasse Element ist sogleich wieder Metapher in Songs wie „Water Under Bridges“ von Porters drittem, mit einem Grammy ausgezeichneten Album „Liquid Spirit“. Damit gelang ihm 2013 der internationale Durchbruch.
Etliche Lieder von dieser Produktion, darunter der vorzügliche Titelsong, gehören noch immer zu Porters Konzertrepertoire. Sie sorgen während seines mittlerweile dritten Auftritts auf dem Rheingau Musik Festival bei manchem Zuhörer im voll besetzten Kurpark nicht nur für ein Wiedersehen, sondern auch ein Wiederhören. Dem großen Jubel nach handelt es sich um ein willkommenes Rendezvous.
Porters warmes Timbre
Ohnehin konzentriert sich der Sänger mit dem samtenen Bariton auch in Wiesbaden, seine markante Ballonmützen-Schal-Kombination um den Kopf, seit einigen Jahren vor allem aufs Konzertieren. Von einem Weihnachtsalbum abgesehen hat Porter seit dem Sommer 2020, als sein Album „All Rise“ erschienen ist, keine neue Musik veröffentlicht. Das ist bedauerlich, denn der mittlerweile 53 Jahre alte Kalifornier ist ein Songwriter von Format. Er kann Geschichten erzählen, wie er etwa mit „Take Me To The Alley“ beweist. Dessen Wohlfahrtsgedanke blitzt durch Porters seelenvollen, Gospel und Deep Soul stets näher als aktuellem Jazz stehenden Gesang noch wahrhaftiger, noch herzerwärmender auf.
Breitet Porters warmes Timbre im übertragenen Sinne eine weiche Decke aus, zieht seine fabelhafte Band sie immer wieder weg. Schließlich wird im Jazzclub, ob nun in Harlem oder in der hessischen Landeshauptstadt, nicht gekuschelt, sondern der Organismus auf Touren gebracht.
Dafür sorgen Ondrej Pivec mit fauchender Hammond-Orgel, Chip Crawford am Klavier, der expressive Tenorsaxofonist Tivon Pennicott, Jahmal Nichols an Steh- und E-Bass sowie Emanuel Harrold am Schlagzeug. Sie verleihen bewährten Songs wie „Hey Laura“, „Mister Holland“ oder „On My Way To Harlem“ einen neuen Anstrich, ohne sich bei den Instrumentalpassagen zu weit von den ursprünglichen Strukturen der Stücke zu entfernen. Dafür zitieren sie bei ihren Soli lieber gekonnt.
So fügt etwa Crawford Motive aus Kompositionen von Brahms und Beethoven ein, kommt Nichols’ vom „Smoke On The Water“-Riff zum markanten Basslauf von „Papa Was A Rolling Stone“ oder führt die ganze Band Porters Song „Free“ in Sly Stones „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ über. Auch Porter streut hie und da Textpassagen aus Marvin Gaye- oder Sam Cooke-Klassikern ein, Ehrbezeugung eines Großen an die Größten. Und da kannt selbst der Wettergott vermutlich nur noch selig sein.