Berlin/Potsdam. Matthias Platzeck schweigt jetzt. Seine Reaktion am vorigen Wochenende auf Berichte über zahlreiche Reisen nach Russland hat zwar nicht dazu geführt, dass Ruhe für ihn und seine SPD eingekehrt wäre. Aber für eine Stellungnahme zu neuen Fragen ist der 71-Jährige am Mittwoch nicht zu erreichen. Dabei könnte er doch das machen, was er offensichtlich wieder will: Brücken bauen. Auch zu Russland, das einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt.

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Neunmal soll der kurzzeitige SPD-Chef und Brandenburgs langjähriger Ministerpräsident nach dem Überfall von Kremlchef Wladimir Putin auf die Ukraine im Februar 2022 nach Russland gereist sein. Der „Spiegel“, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und die russische Oppositionsplattform „The Insider“ haben das unter Berufung auf Augenzeugen zusammengetragen.

Woidke: Platzeck hat alles dazu gesagt

Hier und da wurden Vermutungen laut, bei den Reisen könne es um Gas gegangen sein. Das wies Platzeck im „Tagesspiegel“ kategorisch zurück: „Zum Thema Gaswirtschaft und Nord Stream habe ich mit niemandem geredet, weder in Russland noch sonst wo.“ Es gehe ihm darum, bestehende Kontakte nicht abreißen zu lassen.

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Damit habe er „alles dazu gesagt“, findet Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er verteidigt die Kontaktpflege seines Vorgängers: „Es ist wichtig, diplomatische Kanäle offenzuhalten.“ Nur so bestehe die Chance auf Deeskalation und eine friedliche Lösung.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke.

Ein Freund Russlands

Die „Bild“ zitiert nun einen „früheren erfahrenen Spionageabwehr-Experten des Verfassungsschutzes“, Platzeck habe „gezielt die Spionageabwehr – also diejenigen, die die Kreml-Leute in Brandenburg jagen sollten -, kaltgestellt.“ Der „Tagesspiegel“ listet Kontakte, Begegnungen, Äußerungen von und über Platzeck im Zusammenhang mit Russland auf, darunter einen „Orden der Freundschaft“, den Russlands Außenminister Sergej Lawrow ihm in Berlin auf Putins Anweisung verliehen habe. Weil er zu keiner Zeit von dem Glauben an die deutsch-russischen Beziehungen abgewichen sei. Das war 2018.

2014, als Putin gerade völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hatte, war Platzeck ehrenamtlicher Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums geworden. Eben „Brücken bauen“ wollte er als „Freund Russlands“. Zeitgleich flog Russland aus dem wichtigen internationalen G8-Format. Die großen westlichen Industriestaaten wollten Putin in ihrem Kreis wegen der Aggression gegen Kiew nicht mehr haben.

Irritierende Bemerkungen Platzecks werden zitiert, wie die, dass die Annexion der Krim nachträglich völkerrechtlich geregelt werden müsse, damit sie für alle hinnehmbar sei, der Klügere gebe auch mal nach.

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Doch vier Jahre nach der Freundschaftsordensverleihung, nämlich am Tag des brutalen russischen Angriffs auf die ganze Ukraine am 24. Februar 2022, erklärt Platzeck schriftlich: „Ich bin fassungslos und erschüttert über den durch nichts und niemanden zu rechtfertigenden Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine.“ Für das „verantwortungslose Vorgehen des russischen Präsidenten gegen den souveränen Staat Ukraine fehlt mir jedwedes Verständnis.“ Wenig später trat er von dem Vorsitz des Deutsch-Russischen Forums zurück.

Das Bemühen um Verständnis für Moskau muss Platzeck aber alsbald wieder ein Bedürfnis geworden sein, sonst wäre er nicht auch im Mai dieses Jahres nach Baku in Aserbaidschan zu Gesprächen mit russischen Vertretern gereist.

Politrentner ohne aktuelle Bedeutung für ihre Parteien

Im Übrigen nicht alleine, sondern gemeinsam mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner und dem früheren Kanzleramtschef von Angela Merkel, Ronald Pofalla, der einst das deutsch-russische Gesprächsforum „Petersburger Dialog“ geleitet hatte. „Zu den Grundsätzen guter Außenpolitik gehört es, dass auch und gerade in schwierigen Zeiten von zunehmenden Spannungen, Konflikten und Kriegen, Gesprächskontakte in alle Teile der Welt und auch nach Russland aufrechterhalten werden sollten“, schrieben sie gemeinsam.

Nur in wessen Auftrag? Wem soll das etwas nützen, wenn Politrentner ohne aktuelle Bedeutung für ihre Parteien Gespräche führen? Und zwischen wem vermitteln sie?

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Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, spricht von Privatangelegenheiten. Er sei „höchst skeptisch und irritiert“ über derartige „Privatreisen“, sagt er. Und betont, die SPD habe ihre Russlandpolitik neu aufgestellt. Man mache sich „keine Illusionen“ über den Kurs Moskaus. „Ich kann davor nur warnen, sich durch solche Gespräche blenden zu lassen über die Absichten, die im Kreml herrschen.“

Blenden lassen will sich auch der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft nicht, der früher ein gern genutztes, wichtiges Scharnier zu Russland war. Er hat nach eigenen Angaben sofort nach Kriegsbeginn alle Kontakte zu russischen Stellen abgebrochen. „Diese klare Entscheidung gilt unverändert“, erklärte der Verband auf RND-Anfrage.

Nach einer eigenen Umfrage Ende 2023 seien die Umsätze deutscher Unternehmen in und mit Russland schon im ersten Kriegsjahr 2022 um rund 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. Die Präsenz von Mitgliedsunternehmen, die sanktionskonform in Russland tätig seien, sei erheblich zurückgegangen. Die Abkopplung der deutschen Wirtschaft vom russischen Markt schreite mit hohem Tempo voran. Der deutsche Handel mit Russland sei im vorigen Jahr im Vergleich zum Vorkriegsjahr 2021 von 60 Milliarden auf 9,4 Milliarden Euro gesunken. Der Verband betont: Derzeit seien mögliche Rahmenbedingungen „für eine Wiederherstellung normaler wirtschaftlicher Beziehungen mit Russland“ nicht absehbar.

Das Deutsch-Russische Forum hat eine andere Botschaft auf seiner Homepage: Die Aufgabe bleibe, „die Menschen im Osten und im Westen Europas zusammenzubringen, damit sie nicht zu Feinden werden.“