Kaweh Mansoori, führender hessischer Sozialdemokrat und stellvertretender Ministerpräsident der schwarz-roten Koalition, hat ein erstes Zeichen gesetzt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin zur Zurückweisung von somalischen Asylbewerbern nahm er zum Anlass, die einschlägige Passage des hessischen Koalitionsvertrags zur Migrationspolitik infrage zu stellen. Josefine Koebe, die Generalsekretärin der SPD, legt nun nach. Sie wirft dem Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Boris Rhein einen „Angriff auf den Sozialstaat“ vor. Ihre Motivation lieferte sie gleich mit: „Wir müssen deutlich machen, wer wir sind und vor allem, wofür wir stehen.“

Die gravierenden Meinungsverschiedenheiten, die CDU und SPD in der Migrations- und in der Sozialpolitik trennen, treten gegenwärtig sowohl in der Bundes- als auch in der Hessischen Landesregierung zutage. Sie bestätigen einmal mehr, dass die sogenannten lagerübergreifenden Bündnisse, wie sie auf allen Ebenen der deutschen Politik als selbstverständlich gelten, immer nur Notlösungen sind: mehr Not als Lösung.

Woran die Grünen die Bouffier-CDU hinderten

So war es schon in der schwarz-grünen Koalition, die Hessen zehn Jahre lang regierte. Damals spielten die Gegensätze in der Migrationspolitik noch eine größere Rolle als heute. So hinderten die Grünen den damaligen Regierungschef Volker Bouffier (CDU) über Jahre hinweg daran, im Bundesrat Vorstößen zuzustimmen, die Bearbeitung von Asylanträgen aus sicheren Herkunftsländern zu beschleunigen.

Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag stand, dass die Partner in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen verträten. Derartige Konflikte zählten zu den Gründen, als Rhein sich nach dem deutlichen Wahlsieg der CDU bei den Landtagswahlen im Oktober 2023 entschied, nicht mehr mit den Grünen, sondern mit der SPD zu regieren. Auf den Zwang, mit einer Partei aus dem linken Lager koalieren zu müssen, zog er eine klare Konsequenz. Er wählte diejenige als Juniorpartner aus, die der CDU in den Koalitionsverhandlungen am weitesten entgegenkam.

Rhein ist in einer stärkeren Position als etwa der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der sich seinen Bündnispartner angesichts seines schwachen Wahlergebnisses nicht aussuchen konnte. In Wiesbaden ist es Teil der Geschäftsgrundlage, dass der kleinere Partner manche Kröte schlucken muss. Das laute Klagen darüber ist nicht schön. Aber momentan betrifft es vor allem nationale Themen. Eine echte Belastung entsteht jedoch, sobald SPD und Union in der Landespolitik nicht mehr an einem Strick ziehen. So weit ist es noch nicht.

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