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US-Verteidigungsminister Pete Hegseth begrüßt den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius per Handschlag.Kriegsbeil begraben: Seit Deutschland eifrig in US-Rüstungstechnik investieren möchte, wird das Verhältnis beider Nato-Partner wieder deutlich herzlicher. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), links, und sein US-Amtskollege Pete Hegseth während Pistorius‘ jüngstem Einkaufsbummel in Washington D.C. © IMAGO/Celal Gunes

Abschuss bei Berlin, Einschlag in Kaliningrad: Die Bundeswehr verlängert ihre Reichweite und hält Putin auf Abstand – dank Trumps Tomahawk-Raketen.

Berlin – „Deutschland kann damit seine eigene Verteidigungsfähigkeit steigern und seine Abschreckungsfähigkeit deutlich verbessern“, sagte Boris Pistorius (SPD). Während seines Einkaufsbummels in Washington hat der deutsche Verteidigungsminister nicht nur an Patriot-Raketensysteme als Mitbringsel für die Ukraine gedacht, sondern dafür gesorgt, dass Deutschland und damit Europa demnächst den Arm lang ausstrecken und Wladimir Putins Invasionstruppen auf Abstand halten können. Mit dem Kauf von Tomahawk-Raketen und dem dazu gehörenden Abschusssystem gräbt die Bundesregierung das Kriegsbeil aus.

„Ich darf Ihnen mitteilen, dass heute nach Washington ein Letter of Request zur Beschaffung von weitreichenden Waffensystemen des Typs Typhon abgegangen ist“, sagte Pistorius gegenüber den Medien eingangs seines Besuchs der US-Regierung. Dieser Letter of Request bedeutet eine ernsthafte Kaufanfrage. Mehr aber noch nicht. Tomahawks sind aber auch lediglich ein möglicher Raketentyp für das Abschuss-System Typhon. Die Menge der geplanten Einheiten für Deutschland ist unbekannt, die Kosten werden ebenfalls geheim gehalten.

Pistorius‘ neue Reichweite: Kaliningrad, St. Petersburg, Moskau, ganz Belarus und die ganze Ukraine

Organisiert ist ein Typhon-System als Batterie aus vier „Startrampen“ – diese „Rampen“ sind nichts anderes als Standard-Zwölf-Meter-Containers, aus denen die Raketen vor dem Abschuss in die Vertikale gestellt werden. Die Container wiederum werden von Tiefladern gezogen. Dazu gehören wie bei einer Patriot-Batterie ein Feuerleitstand sowie mehrere Versorgungsfahrzeuge verschiedener Größen – beispielsweise die Transporter für die Raketen. Die US-Armee soll das Typhon-System schon mit SM-6-Raketen und Tomahawk-Marschflugkörpern getestet haben, schreibt das Nachrichtenmagazin Spiegel.

LOR, LOA, Abstimmung – so läuft ein Tomahawk-Deal

Den Letter of Request (LOR) stellt ein Interessent als Voranfrage an das US-Verteidigungsministerium; der dieser im Idealfall zustimmt und dann mit einem Letter of Offer and Acceptance (LOA) beantwortet. Der LOA gilt dem deutschen Verteidigungsministerium dann als die Grundlage für eine Beschaffungsentscheidung für das anschließende parlamentarische Bewilligungsverfahren. Mit der Voranfrage geht keine Entscheidung über die Beschaffung einher, noch präjudiziert sie diese – Pistorius‘ Anfrage nach der Typhon ist insofern zunächst Ausweise des gesteigerten Interesses. „Das Parlament bleibt Kontrollinstanz. Beschaffungen mit einem solchen Investitionsvolumen und mit dieser strategischen Tragweite werden immer der Billigung des Bundestags unterliegen.“

Quelle: Ole Henckel, Bundeswehr

Ohne dass sich Boris Pistorius entsprechen geäußert hätte, setzt Deutschland damit auf Angriff. Deutsche Soldaten scheinen darin einen Gewinn zu sehen, wie aktuell der User „Nachhaltig“ auf dem Militär-Blog Augen geradeaus! schreibt: „Welche Fähigkeit sich die Bundeswehr damit grundsätzlich einkauft, wird dadurch deutlich, dass vom Berliner Raum aus nicht nur Kaliningrad, sondern auch St. Petersburg, Moskau, ganz Belarus und die ganze Ukraine in Reichweite liegen. Damit können in Deutschland stationierte Systeme sogar in einen Angriff auf die Litauenbrigade als unmittelbar wirksame Komponente einbezogen werden.“

„Aktuell prüfen wir die Einrüstung von Tomahawks auf Einheiten unserer Marine. Und das sieht gar nicht schlecht aus“

Das Waffensystem wird auch als „Strategic Mid-range Fires System“ (SMRF) bezeichnet – mindestens 2.000 bis 2.500 Kilometer soll die Waffe tragen, jedenfalls die Tomahawk-Raketen, beziehungsweise genauer: Tomahawk-Marschflugkörper. Die werden permanent angetrieben und fliegen knapp über dem Boden auf ihr Ziel zu; der alternativ zu verschießenden SM-6-Rakete wird eine Entfernung bis zu 500 Kilometer zugeschrieben; anders als eine Tomahawk zündet sie einmalig und fliegt dann in einer Kurve vom Boden aus wieder auf die Erdoberfläche zu. Beide Waffenarten kann die Typhon abfeuern.

Wie der US-Kongress nahe legt, wurde diese moderne Waffe aus der Angst heraus konstruiert. Angst vor der russischen und chinesischen Kreativität: „Verbesserte chinesische und russische Langstreckenartilleriesysteme, neue Einsatztechniken für unbemannte Luftfahrzeuge (UAVS) und die Verbreitung von Spezialmunition (wie Präzisions-, thermobarische, Loitering- und Top-Attack-Munition) habe die Besorgnis über die möglichen Auswirkungen russischen und chinesischen Beschusses auf US-Kampfoperationen erneut geweckt“, heißt es aus dem Kongress. Allerdings liegen kaum Informationen vor, wie anfällig ein Tomahawk-Marschflugkörper gegen eine ausgefeilte Luftabwehr wäre.

Hält Trump Wort? USA wollen 2026 mit der Stationierung der Langstreckenfeuerfähigkeiten beginnen

Unter dem 46. US-Präsidenten Joe Biden hatten die USA ohnehin vorgehabt, vom kommenden Jahr an zunächst „eines“ von ihren Typhon-Systemen in Deutschland zu stationieren und – wahrscheinlich – mit Tomahawks zu bestücken. Die Empörung in Deutschland ist vielleicht weniger deutlich, als 1979 im Rahmen des Nato-Doppelbeschlusses unter der Regierung Helmut Schmidts (SPD) und Hans-Dietrich Genschers (FDP), als Deutschland sich dazu bekannte, dass die damalige Sowjetunion von deutschem Boden aus mittels Raketen auch wieder angegriffen werden könnte.

Auch das ist jetzt möglich; auch das ist essenzieller Teil einer Abschreckung: Wladimir Putin zu verdeutlichen, dass er nicht erst gestoppt würde, wenn er über die Nato-Grenze rollt, sondern dass seine Panzer gestoppt werden könnten, wenn sie in ihren Kasernen losrasselten. Im Dialog zwischen dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem Demokraten Joe Biden sollen zur Stationierung SM-6-Raketen vorgesehen worden sein, Tomahawk-Marschflugkörper und daneben „in Entwicklung befindliche Hyperschall-Waffen“ – zu letztgenannten zählt wohl ein Hyperschallgleiter namens Dark Eagle, wie die Spiegel-Autoren Marc Hasse und Paul-Anton Krüger schreiben.

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Klar ist, dass die Weltuntergangs-Uhr wieder gen Zwölf dreht – mit der Tomahawk ist der Kalte Krieg in seinen Anfängen zurückgekehrt und der überwunden geglaubte Dreisprung ins Verderben wiederbelebt: Rüstung, Nachrüstung, Überrüstung. Die Tomahawk gilt als Antwort auf Russlands Verhalten: „Die Vereinigten Staaten werden 2026 mit der periodischen Stationierung der Langstreckenfeuerfähigkeiten ihrer Multi-Domain Task Force in Deutschland beginnen, um eine dauerhafte Stationierung dieser Fähigkeiten in der Zukunft zu planen“, haben die USA und Deutschland im Juli 2024 vereinbart. Tatsächlich ist die Tomahawk auch dazu gedacht, russische – oder chinesische – Hyperschallwaffen zu neutralisieren. Stationiert werden die Raketen wohl bei der 2. Multi-Domain Task Force (MDTF) in Wiesbaden, so das Magazin Army Recognition.

Wen priorisiert Pistorius? „Aktuell prüfen wir die Einrüstung von Tomahawks auf Einheiten unserer Marine“

Pistorius spekuliert jetzt vermutlich auf eine Verstärkung der deutschen Landstreitkräfte, nachdem auch der Kauf von Tomahawk-Raketen für die deutsche Marine bereits thematisiert worden ist. „Aktuell prüfen wir die Einrüstung von Tomahawks auf Einheiten unserer Marine. Und das sieht gar nicht schlecht aus“, sagte Jan Christian Kaack während des „Navy Talks mit dem Inspekteur der Marine“ Mitte Mai, während dem der Vizeadmiral über die Weiterentwicklung des „Kurs Marine“ sinniert hat – worüber das Militär-Journal hartpunkt berichtet. Kaack zufolge hätte die Marine in einem künftigen Verteidigungsfall gegen Russland die Aufgabe, von See aus weitreichende gegnerische Waffenstellungen auch an Land zu eliminieren, wie hartpunkt schreibt.

Tomahawk-Raketen wären eine Möglichkeit dazu; die Marine verfügt auch bereits über Schiffe, die diese Raketen verschießen könnten und wird neue um dieses Waffensystem herum bauen. Die Nachrichtenagentur Reuters hat sich jüngst bezogen auf eine anonyme Quelle, wonach Pistorius mehr als zehn Milliarden Euro mehr ansetzen wolle für Verteidigung als die 53 Milliarden, die im Haushaltsentwurf der rot-grünen Vorgänger-Regierung für 2025 vorgesehen waren. „Wobei die Problematik bestehen wird, wie das Geld abfließen soll“, wie die Quelle gesagt habe. Für Tomahawks beispielsweise.

Aus wissenschaftlicher Sicht ein absolutes Muss, wie Ben Schreer und Fabian Hinz im September 2024 die deutsch-amerikanische „Waffenbrüderschaft“ für den Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS) kommentiert haben: „Die mögliche Investition in solche Systeme könnte daher ein überlegenswerter Schritt sein, um diese konventionelle Stufe der Eskalationsleiter mit Russland adäquat zu besetzen – eine zentrale Bedingung für Abschreckungsstabilität.“