Eine schwäbische Weinlandschaft wie aus dem Bilderbuch: das Remstal etwas östlich der Landeshauptstadt Stuttgart. Die Dörfer heißen hier Beutelsbach, Strümpfelbach, Kernen oder auch Stetten. An den Hängen wächst traditionell ein guter Trollinger, auch Riesling, Lemberger oder Weißburgunder. Dazu in jüngster Zeit als Modeerscheinung auch ausländische Reben.
Aber dies tut in diesem Fall nichts zur Sache. Es geht um das „Tor ins Remstal“, 2006 von Ortsansässigen aus Schilfsandstein an einer Serpentinenstraße errichtet – konkret an einer Doppelkurve der L 1199, die sich von Stetten durch Weinberge, Streuobstwiesen und den Schurwald hinüber ins Neckartal bei Esslingen windet. Und weil der Aussichtspunkt so attraktiv ist, bekam er seinerzeit eine Haltemöglichkeit. Sie sollte auch motorisierten Besucher den Blick über Weinberge und alte Dörfer ermöglichen.
Eine Minderheit verdirbt den Ort
Eine gute Idee, praktische Heimatpflege, ein Dienst an der sehenswerten Gegend. Doch dies alles wird nun sehr schnell zu Vergangenheit, weil Motorrad-Raser ins Spiel gekommen sind: eine kleine Minderheit in der Bikerszene, aber dennoch eine Gruppe mit Durchschlagskraft. Ihretwegen wird im Herbst die Haltebucht aus Sicherheitsgründen mit Leitplanken abgeriegelt.
Der Landrat des Rems-Murr-Kreises, Richard Sigel, bedauert die Maßnahme. Gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagte er: „Es tut mir leid, dass wir damit vielen einen der schönsten Blicke aufs Remstal verwehren.“ Alle Maßnahmen, die an die Vernunft der Raser appellierten, hätten nichts genützt.
Dass kurvige Straßen eine gewisse Biker-Klientel anziehen, ist bekannt. Aber das „Tor ins Remstal“ hat den Möchtegern-Rennfahrern die Möglichkeit geboten, ihre Taten vor gleichgesinnten Zuschauern zu begehen. Das „Tor“ ist praktisch zur Schaubühne für eine inszenierte Raserei geworden – inklusive der Chance, YouTube-Filmchen aufzunehmen und ins Internet zu stellen.
Eine „Applauskurve“
Örtliche Medien zitieren dazu Stefan Hein, Verkehrsdezernent im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises. In einer Sitzung des Kreistagsausschusses hat er die Stelle des Remstals-Tores als „Applauskurve“ bezeichnet. Demnach stoppen Motorradfahrer in der Haltebucht und beobachten ihre vorbeirasenden Kollegen. Es geht darum, wie viel Schräglage sich diese in der Kurve zutrauen – Applaus bei besonders gewagten Schräg-Fahrten inbegriffen.
Wenig erstaunlich, dass die Örtlichkeit ein Unfall-Brennpunkt geworden ist. Schon 2019 hat das Landratsamt den betreffenden Straßenabschnitt als „Unfallhäufigkeitsstelle“ eingestuft. Drei Jahre später wurde eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 Stundenkilometern verordnet. Wie unzählige Appelle an die Bikerszene half auch dies nichts.
Alles scheint jedoch vergeblich gewesen zu sein. Laut Landratsamt hat sich die Situation 2024 im Vergleich zu früheren Jahren nochmals verschlechtert. Die Unfallverursacher seien fast ausschließlich Motorradfahrer.
Nur noch zu Fuß zu erreichen
„Wir müssen handeln“, hat Verkehrsdezernent Hein betont. Es ließe sich zwar kaum verhindern, dass in der Kurve weiter gerast werde. „Aber wir müssen die Folgen von Unfällen abmindern – und das Publikum aussperren.“ Blitzer würden an dieser Stelle nicht helfen. Was am kurvigen Streckenverlauf liege. Nachvollziehbar: Da versagt die Messtechnik.
Im Herbst ist es so weit. Die Haltebucht soll komplett entfernt werden. Gleichzeitig ist für die Kurve eine durchgehende Leitplanke mit Unterfahrschutz vorgesehen. Potenzielle Zuschauerplätze für die Raserei werden durch ein weiteres Geländer abgeriegelt. Der Aussichtspunkt wird nur noch zu Fuß erreichbar sein.