Der französische Präsident hatte schon im April eine Anerkennung in Aussicht gestellt. Nun handelt er – auch aus wachsendem Frust über Israels Vorgehen in Gaza. Aus Tel Aviv kommt scharfer Protest.

Der französische Präsident Emmanuel Macron vor einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz am Mittwoch in Berlin. Der französische Präsident Emmanuel Macron vor einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz am Mittwoch in Berlin.

Felix Zahn / Imago

Frankreich wird nach den Worten seines Präsidenten Emmanuel Macron einen palästinensischen Staat anerkennen. «Ich werde dies im September dieses Jahres vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen feierlich verkünden», schrieb Macron am Donnerstagabend auf X.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der französische Staatschef begründet die Entscheidung mit dem «historischen Engagement» seines Landes «für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten». Die Anerkennung Palästinas sei ein Beitrag zur Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung, erklärte er. Diese Lösung gelte in Paris weiterhin als einzig tragfähiger Weg, um den Konflikt zu beenden. In einem offenen Brief an den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, sprach Macron von einer entscheidenden Etappe auf dem Weg zu einem lebensfähigen palästinensischen Staat.

Gemeinsame Initiative mit Saudi-Arabien

Macron schrieb in seinem Post auch, dass es dringend notwendig sei, den Krieg im Gazastreifen zu beenden, alle Hamas-Geiseln freizulassen und der Zivilbevölkerung Hilfe zu verschaffen. Ausserdem müsse die Entmilitarisierung der Hamas sichergestellt werden. In dem Schreiben an Abbas heisst es, dass ein künftiger palästinensischer Staat nicht militarisiert sein dürfe.

Schon im April, nach einem Besuch in Kairo, hatte der französische Präsident die Anerkennung eines Palästinenserstaates in Aussicht gestellt; ganz offensichtlich auch, um diplomatischen Druck auf Israel auszuüben. Seither hat sich der Ton zwischen Paris und Tel Aviv noch einmal erheblich verschlechtert. Macron kritisierte das israelische Vorgehen im Gazastreifen mehrfach als «völlig unverhältnismässig» und warf dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu vor, die humanitäre Katastrophe in Gaza bewusst zu verschärfen.

Der reagierte am Donnerstagabend prompt. «Wir verurteilen Präsident Macrons Entscheidung, nach dem Massaker vom 7. Oktober einen palästinensischen Staat neben Tel Aviv anzuerkennen, aufs Schärfste», schrieb Netanyahu auf X. Ein solcher Schritt belohne den Terror und riskiere die Schaffung eines iranischen Stellvertreterstaates, wie es der Gazastreifen unter der Hamas geworden sei. Ein palästinensischer Staat, so Netanyahu, würde unter diesen Bedingungen wie «eine Startrampe zur Vernichtung Israels» funktionieren.

Auch der frühere israelische Ministerpräsident Naftali Bennett kritisierte Paris scharf. Die Entscheidung sei ein «moralischer Zusammenbruch» und werde in den «Mülleimer der Geschichte» wandern, sagte er. Ganz anders fielen die Reaktionen in Ramallah aus. Der palästinensische Vizepräsident Hussein al-Sheikh sprach von einem «historischen Schritt» und dankte Macron für dessen Unterstützung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts.

Tatsächlich ist die Anerkennung Palästinas durch Frankreich Teil einer grösseren diplomatischen Initiative. Gemeinsam mit Saudiarabien hatte Paris ursprünglich für Juni eine Nahost-Konferenz bei den Vereinten Nationen in New York geplant. Ziel war es, eine Plattform für die Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen und eine koordinierte Anerkennung Palästinas im Kreis mehrerer Staaten vorzubereiten. Doch die Konferenz musste nach den israelischen Angriffen auf iranische Ziele und dem iranischen Gegenschlag verschoben werden. Sie soll nun am 28. und 29. Juli in New York stattfinden.

Deutschland nicht mit im Boot

Macron schwebt eine Vermittlerrolle zwischen den Konfliktparteien vor, zugleich will er in Sachen Nahost die Führung Europas übernehmen. Dabei geht es ihm auch darum, ein eigenes europäisch-arabisches Gegengewicht zur Nahostpolitik der USA aufzubauen, die in weiten Teilen noch immer als Rückendeckung für den israelischen Kurs Netanyahus wahrgenommen wird. Bei seinem jüngsten Besuch in Berlin warb er gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz für diese Linie. Die Bundesregierung bleibt allerdings bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer einseitigen Anerkennung Palästinas.

Bislang haben weltweit 142 Staaten Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. Die meisten westlichen Länder, darunter die USA, Deutschland und Grossbritannien, zählen nicht dazu. In der EU hatten zuletzt, im Mai 2024, Norwegen, Irland und Spanien diesen Schritt vollzogen. Frankreichs Initiative könnte nun den Druck auf weitere europäische Staaten erhöhen, sich ebenfalls zu positionieren.

Für Macron geht es dabei nicht nur um aussenpolitisches Profil. Auch innenpolitisch sucht der Präsident nach Handlungsfeldern, auf denen er Akzente setzen kann. Seit nunmehr über einem Jahr verfügt sein Regierungslager über keine stabile Parlamentsmehrheit mehr. Viele seiner innenpolitischen Vorhaben stecken deswegen fest. Aussen- und sicherheitspolitisch aber kann er weiterhin Präsenz zeigen und Führungsstärke inszenieren.

Ob die Anerkennung Palästinas allerdings ein Thema ist, mit dem der Präsident grundsätzlich punkten kann, ist die andere Frage. Viele Franzosen unterstützen den Schritt zwar, vor allem im linken Lager und unter Muslimen. Andere lehnen ihn ab, darunter Anhänger des rechtsnationalen Rassemblement national, viele Konservative und Teile der jüdischen Gemeinschaft. «Einen palästinensischen Staat anzuerkennen heisst, einen Hamas-Staat anzuerkennen», erklärte kürzlich Marine Le Pen.

Warnung vor Hungerkrise

Kritiker der französischen Initiative weisen darauf hin, dass wichtige Voraussetzungen für die Anerkennung eines palästinensischen Staates fehlen. Es gebe kein klar festgelegtes Staatsgebiet, keine geeinte politische Führung und keine verbindlichen Zusagen zur Sicherheit Israels. Auch der Status von Ostjerusalem sei weiter offen. Befürworter halten dagegen, dass selbst eine symbolische Anerkennung den Druck auf neue Verhandlungen erhöhen und der palästinensischen Seite mehr politisches Gewicht verleihen könnte.

So oder so kommt Macrons Schritt zu einem Zeitpunkt wachsender Kritik an Israels Kriegsführung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte am Mittwoch vor einer tödlichen Hungerkrise im Gazastreifen. Frankreich unterzeichnete deswegen am Montag gemeinsam mit 24 weiteren westlichen Staaten einen Aufruf zur sofortigen Beendigung der Kämpfe.