Eine dreistellige Anzahl an Spielen wurde aus dem Steamstore entfernt, nachdem die Plattform ihre Regeln und Richtlinien für Studios ohne große Ankündigung angepasst hat. Eine Änderung, die im Netz aktuell für viel Wirbel sorgt, dabei betrifft sie nach jetzigem Stand nicht unbedingt den Mainstream an Spielen, sondern ausschließlich Erwachsenenspiele. Die Aufregung lässt sich leichter erklären, wenn man sich die neu eingeführte Regel von Steam genauer anschaut. Sie ist in der Onboarding-Richtlinie für neue Studios zu finden. Dort steht eine Reihe von Sachen, die in Spielen auf Steam nicht vorkommen dürfen, frisch ergänzt von Nummer 15:
Steam Richtlinien für Entwicklerteams
Was Sie auf Steam nicht veröffentlichen sollten:
1. Sprache, die Hass, Gewalt oder Diskriminierung von Gruppen oder Personen aufgrund von ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexueller Orientierung fördert
2. Nacktheit oder explizit sexuelle Darstellung realer Personen
3. Nicht jugendfreie Inhalte, wenn diese nicht durch adäquate Altersfreigaben gekennzeichnet sind
…
15. Inhalte, die möglicherweise gegen die Richtlinien und Standards verstoßen, die von Steam-zugehörigen Zahlungsabwicklern, verwandten Kartennetzwerken und Banken oder Internetverbindungsanbietern festgelegt wurden. Insbesondere bestimmte Arten von nicht jugendfreien Inhalten.
Steam sagt hier, dass wenn dritte Unternehmen, die mit Geld zu tun haben, eine Regel aufstellen, dann ist sich an diese zu halten. Das zwar mit dem Zusatz, dass es sich insbesondere um bestimmte Arten von jugendfreien Inhalten handelt … doch diese Einschränkung wiegt bei Weitem nicht die Willkür auf, die Valve hier auf seiner Seite willkommen heißt. Denn zum einen gibt Steam hier Macht über den eigenen Store ab und lässt andere Unternehmen Regeln aufstellen, die dann auch für Personen gelten, die mit entsprechenden Anbietern überhaupt nichts am Hut haben. Für Entwicklerstudios stellt sich damit die absurde Frage, ob sie sich nun mit VISA oder der Deutschen Bank auseinandersetzen müssen, wenn sie wissen wollen, welche Spiele sie herausbringen dürfen.
Welche Spiele sind betroffen?
Doch bedrohlicher als die Ansage, wer hier die Fäden in der Hand hat, ist die Formulierung, was verboten ist. Denn „bestimmte Arten von nicht jugendfreien Inhalten” kann im ersten Moment billige Erwachsenenspiele betreffen, im nächsten Augenblick sind es Spiele, die sich generell mit Themen wie Sex beschäftigen, worunter auch das neu-angekündigte Hellraiser fallen könnte. Was ist, wenn queere Inhalte plötzlich als „bestimmte Arten” von Inhalten zählen, die nicht mehr toleriert werden? Wer zieht die Grenze zwischen einem Erwachsenenspiel und Titeln, die Traumata in Visual Novels erkunden, weil sie den Entwickler*innen selbst widerfahren sind?
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Fragen, die Steam zum aktuellen Zeitpunkt nicht beantwortet und am Ende dazu führen, dass man die Stirn runzelt darüber, wer eigentlich für die neue Regelung verantwortlich ist. In einem inzwischen von VICE gelöschten Artikel verweist die entsprechende Redakteurin auf die Gruppierung Collective Shout. Die Vereinigung hat einen offenen Brief an mehrere Zahlungsabwickler geschrieben, um Stellung zu Spielen „dieser Art“ zu beziehen. Gleichzeitig gilt Collective Shout als eine radikale Versammlung, die sich gegen jegliche Darstellung von Nacktheit einsetzt und sich in dem Zuge gegen Videospiele stellt, deren Sinn sie nicht greifen. Als Kontext: Collective Shout hat 2018 gefordert, dass der Titel Detroit: Become Human gestoppt werden müsse, weil dort Inhalte drin seien, die laut der Gruppe nicht abgebildet werden dürfen.
Quelle via Twitter
Druck aus politischer Richtung
Dass Kreditkartenfirmen überhaupt auf entsprechende Forderungen reagieren und ihrerseits Druck auf Valve ausüben könnten, ist nicht etwa weit hergeholt, sondern hätte eine nachvollziehbare Begründung. In einem kalifornischen Gerichtsurteil von 2022 sprach ein Richter VISA die Mitverantwortung für Kindesmissbrauch über Pornhub zu. Denn der Dienstleister hätte wissen können und müssen, was dort für Inhalte existieren und hat trotzdem willentlich Zahlungsabwicklungen auf der Seite zugelassen. Gleiches könnte so auch im Umkehrschluss für Steam gelten.
Daneben existiert noch ein weiterer möglicher Grund, warum Valve sich womöglich in ihren Online-Store reinreden lässt.
Ein weiterer Finger ist auf die britische Regierung gerichtet, die mit ihrer UK Online Safety Bill das Internet für sich neu reglementieren will. Das Gesetz wurde 2023 verabschiedet, und bis dieses Jahr sollen die geforderten Inhalte daraus umgesetzt werden. Zwar ist die Online Safety Bill dafür geschrieben, vor allem Minderjährige vor sensiblen Inhalten zu schützen, jedoch befürchten Gegner, dass damit Alters- und Chatkontrollen auch in privat-wahrgenommenen Online-Räumen eingeführt werden, wie Whatsapp oder Instagram-Chats. In Bezug auf Steam steht entsprechend der Verdacht im Raum, dass sich Valve einfach präventiv an die britische Gesetzgebung hält und sie vorsorglich weltweit für alle einführt.
Antonia Dressler ist Redakteurin bei IGN Deutschland. Zu finden ist sie außerdem auf Instagram.