Gartenarbeiten nach einem Zyklon in Neuseeland, das Bauen sternförmiger Dächer während starken Schneetreibens in der Schweiz, Lehrstunden bei einem Meister am Fuße des Berges Fuji in Japan – Robin Miller hat in den vergangenen vier Jahren viel erlebt und insgesamt 17 Länder der Erde kennengelernt. Ermöglicht hat ihm das sein Beruf, denn: Miller ist Tischler und war auf der traditionellen Walz.

Viereinhalb Jahre war er auf Wanderschaft. Heute ist er 29 Jahre alt und muss sich jetzt wieder an ein Leben ohne die Walz-Regeln gewöhnen. Von diesen gibt es einige: Kein Geld für Reise und Unterkunft ausgeben, „außer es geht übers Meer hinaus“, kein Handy besitzen und besonders wichtig: Man darf sich seiner Heimat in einem Umkreis von 60 Kilometern nicht nähern. „Die 60 Kilometer Bannmeile gelten beim Rolandschacht“, der Gesellenvereinigung, der Robin Miller angehört. „Das nicht konsequent zu beachten, wäre unehrenhaft“, erklärt der 29-Jährige, und weiter: „Jeder der losgeht, will es auch ehrlich durchziehen“.

Als Walz bezeichnet man die traditionellen Wanderjahre der Handwerker, die sie nach dem Abschluss ihrer Lehre absolvieren können, um ihren Horizont zu erweitern. Seit 2015 zählt die Walz zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Eigentlich dauert die Wanderschaft drei Jahre und einen Tag, doch Miller machte sich im Oktober 2020 auf – während des zweiten Corona-Lockdowns. Wegen der damit einhergehenden Einschränkungen entschied er sich, seine Wanderschaft zu verlängern.

Für den Düsseldorfer stand schon seit dem Beginn seiner Ausbildung fest, dass er nach seinem Abschluss auf Wanderschaft gehen möchte. Inspiration sei ein Familienmitglied gewesen, das auch auf der Walz war. Neben den genannten Regeln bestimmten auch weitere Traditionen den Alltag der Handwerker auf der Walz. Das betrifft etwa ihre Kleidung: Die Kluft zeigt farblich die Zugehörigkeiten an. So ist Millers Kluft schwarz, da er als gelernter Tischler zum Holzgewerk zählt, seine Ehrbarkeit – ein schmales Stoffband, das ähnlich einer Krawatte getragen wird – ist blau, was anzeigt, dass er zu den Rolandsbrüdern gehört. In sogenannten Charlottenburgern wird das Gepäck der Gesellen eingewickelt und so verpackt. Zusätzlich gibt es einen Wanderstock, den Stenz, der einen auf der Walz begleitet sowie einen Hut, der für die Freiheit der Wandergesellen steht.

Miller sagt, er habe in den vergangenen Jahren nicht nur von seinen verschiedenen Lehrmeistern profitiert, sondern auch von dem digitalen Entzug. Die Nähe der menschlichen Interaktion im analogen Raum habe er zu schätzen gelernt. „Heutzutage – ich habe es früher nicht anders gemacht – sitzen viele Leute nur noch mit dem Handy rum. Oder sie laufen auch noch währenddessen weiter. Die verpassen alle irgendwie das Leben.“ Man profitiere natürlich auch schlicht dadurch, dass man „einfach viel von der Welt sieht und viel mitnehmen kann“, schwärmt der Rolandsbruder. Um – ohne Smartphone in der Tasche – mit ihrer Familie sprechen zu können, müssen die Handwerker andere Menschen nach ihrem Telefon fragen. „Leben bedeutet, auf neue Leute zuzugehen“, sagt Miller. Auf die Offenheit seines Gegenübers sei man während der Walz angewiesen. „Leute kennenzulernen, die so hilfsbereit sind, das ist schon was Besonderes.“

Mehr noch als andere Länder, hat ihn sein Aufenthalt in Japan fasziniert. Wegen der großen deutsch-japanischen Gemeinschaft in Düsseldorf sei ihm schon vor Walz-Beginn klar gewesen, dass er dort auf jeden Fall hinwolle. „Weil man auch einfach – was das Handwerk betrifft – extrem viel mitnehmen kann.“ Das Land sei bekannt „für besonders hochwertige und kunstvolle Holzverbindungen im Handwerk.“ In Japan habe auch die Suche nach Betrieben und Unterkünften immer gut funktioniert, alle seien sehr offen und gastfreundlich gewesen. So wurde sein geplanter Ein-Tages-Besuch bei einem Meister in der Nähe des Berges Fuji schnell zu einem dreiwöchigen Aufenthalt, bei dem er am meisten habe mitnehmen können.

Nun ist Miller wieder zu Hause. Der Tischler erzählt, dass ihn die Heimkehr etwas nervös gemacht habe, er habe leichtes Herzklopfen gehabt. „Am Ende habe ich mich gefreut, alle wiederzusehen. Irgendwie konnte ich mich trotzdem wieder gut darauf einstellen.“ Nichtsdestotrotz sei es nach wie vor ein bisschen ungewohnt, wieder daheim zu sein. Es gilt als Tradition, dass bei der Heimkunft als letzter Schritt ein Stempel der Heimatstadt für das Wanderbuch abgeholt wird, das die Wanderer während ihrer Reise führen. So schloss Miller seine Walz mit einem Besuch im Rathaus der Stadt Düsseldorf ab. Nach den viereinhalb Jahren hat er 132 Seiten darin gefüllt, mit Stempeln von Städten, von Handwerkskammern und anderen Institutionen. Auch die Arbeitszeugnisse werden dort gesammelt.

Nun stehen erst mal viele Termine in seinem Kalender: Krankenkasse, Anmeldung, Versicherung – vieles muss er jetzt organisieren. Um seine gelernten Fähigkeiten nun anzuwenden, gehört dazu auch die Suche nach einer Arbeitsstelle. Langfristig will Miller sich gerne selbstständig machen.