Seit dem irrtümlichen Abschuss eines aserbaidschanischen Flugzeugs sind die Beziehungen angespannt. Vor kurzem eskalierte der Konflikt. Für Russland ist das Selbstbewusstsein des Machthabers Alijew ungewohnt.
Der Stein des Anstosses: Am 25. Dezember stürzte ein aserbaidschanisches Passagierflugzeug in Kasachstan ab. Es war wohl von einer russischen Flugabwehrrakete getroffen worden.
Anadolu
Bis vor einem guten halben Jahr hatte es geschienen, als habe Russland im Südkaukasus einen neuen verlässlichen Partner gefunden. Armenien und Russland hatten sich in den vergangenen Jahren voneinander entfremdet. Mit Aserbaidschan dagegen wurden die Beziehungen enger. Das autoritär regierte, mit der Eroberung von Nagorni Karabach zum neuen Machtfaktor aufgestiegene Land bot Moskau attraktive wirtschaftliche und politische Perspektiven. Der Besuch Präsident Wladimir Putins im vergangenen August unterstrich dies. Jetzt aber stehen die beiden Staaten in offenem Streit miteinander, und es sieht nicht nach einer schnellen Lösung aus.
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Alijew kündigt Klage gegen Russland an
Der aserbaidschanische Machthaber Ilham Alijew goss dieser Tage zusätzliches Öl ins Feuer. Zum einen brachte er erneut das Thema auf, das am Ursprung des Zerwürfnisses steht: den Flugzeugabsturz der Embraer 190 der aserbaidschanischen Fluggesellschaft Azal von Ende Dezember vergangenen Jahres.
Damals hatte das von Baku in die tschetschenische Hauptstadt Grosny fliegende Flugzeug wegen ukrainischer Drohnenangriffe nicht landen können. Die Besatzung war darüber ungenügend informiert worden. Vor allem aber geriet das Passagierflugzeug offenbar versehentlich unter Beschuss der russischen Flugabwehr, wurde stark beschädigt und übers Kaspische Meer auf den Ausweichflughafen Aktau umgeleitet. Bei der Bruchlandung in Kasachstan kamen 29 Personen ums Leben.
Russland hat bis heute nicht offiziell zugegeben, dass das Flugzeug wegen eines Fehlers der Flugabwehr abstürzte. Aserbaidschan dagegen legte sich schnell auf diese Version fest und brachte so Russland und auch Putin in eine unangenehme Lage. Seither wartet Baku auf einen offiziellen russischen Untersuchungsbericht und auf das Schuldeingeständnis. Am Wochenende kündigte Alijew am Rande eines Medienforums in der 2020 eroberten Stadt Schuscha in Karabach an, Russland vor einem internationalen Gericht deswegen zu verklagen.
Provokative Ratschläge an die Ukrainer
Zudem erzürnte er Russland mit Ratschlägen an die Adresse der Ukraine. «Die Ukraine sollte der Besetzung nicht zustimmen. Ich glaube, dass das im Einklang mit den Bestrebungen des ukrainischen Volkes steht, das nicht bereit ist, sich mit der Besetzung abzufinden. Das ist das, was wir gemacht haben», sagte Alijew mit Blick auf die von Russland beanspruchten ukrainischen Territorien. Aserbaidschan hatte nach dem ersten Karabach-Krieg 1994 die Besetzung seiner Territorien durch die armenisch kontrollierte Republik Nagorni Karabach nie akzeptiert und die Gebiete zurückerobert.
Der aserbaidschanische Machthaber Ilham Alijew hat keine Scheu vor konfrontativen Äusserungen.
Ryan Carter/ Handout via Reuters
Die Aussage traf den Nerv der russischen Propagandisten gleich doppelt: Das Wort «Besetzung» im Zusammenhang mit den annektierten ukrainischen Regionen zu verwenden, ist ein Sakrileg in Russland. Die Ukrainer dazu zu ermuntern, die Gebiete zurückzuerobern, erst recht. Ein russischer Kommentator merkte an, Alijew werbe damit für eine extremere Position, als sie selbst die Europäer verträten. Militärblogger riefen dazu auf, sich auf einen Krieg mit Aserbaidschan vorzubereiten.
Unzimperliche Polizeieinsätze
Das russische Aussenministerium nannte am Donnerstag Bedingungen für eine Entspannung der bilateralen Beziehungen. Bedeutsam dafür wäre die Freilassung elf festgenommener russischer Staatsbürger, die Anfang Juli in Baku angeblich wegen Drogenhandels und Cyberkriminalität in Untersuchungshaft gesetzt worden waren. Dem Gericht waren sie übel zugerichtet, mit blutverschmierten Gesichtern und Blessuren, vorgeführt worden. Wie exilrussische Medien berichteten, handelt es sich bei ihnen unter anderem um willkürlich festgenommene IT-Spezialisten, Touristen und Emigranten.
Ihre Festnahme und anschliessende Behandlung war ohne Zweifel eine Racheaktion der aserbaidschanischen Behörden. Ende Juni waren bei einer Polizeirazzia gegen angeblich kriminelle Elemente in der aserbaidschanischen Diaspora von Jekaterinburg zwei Männer ums Leben gekommen. Während die russische Polizei «Herzversagen» diagnostizierte, stellten die Aserbaidschaner nach der Überführung der Leichname Folterspuren fest. Daraufhin gingen die Sicherheitskräfte in Baku erst gegen das örtliche Büro von Sputnik Aserbaidschan vor, eine Radio- und Internetplattform des staatlichen russischen Medienkonzerns Rossija Sewodnja, und beschuldigten zwei von deren Mitarbeitern der Spionage. Später nahmen sie die elf weiteren Russen fest.
Russlands Einfluss schwindet
Russland ist es nicht gewohnt, von einem postsowjetischen Staat Widerworte zu bekommen und gar mit Vergeltungsaktionen konfrontiert zu sein. Eher hatte es stets selbst so gehandelt und in früheren Konflikten mit anderen Staaten deren Bürger ausgewiesen und den Import von Lebensmitteln unter fadenscheinigen Gründen gestoppt. Diesmal ist alles etwas anders. Ohne die Vorgeschichte mit dem Flugzeugabsturz hätte vielleicht auch Alijew nicht so heftig auf die Toten von Jekaterinburg reagiert.
Von harschen Presseerklärungen, wie sie das russische Aussenministerium Anfang Juli veröffentlichte, liess sich Baku nicht einschüchtern. Alijew ist selbst ein skrupelloser Herrscher, wie auch die öffentliche Demütigung der russischen Gefangenen und die Willkür im Umgang mit ihnen zeigten. Er fühlt sich stark und von Putin unabhängig genug, um nicht vor Moskau zu kuschen.
Indem er Russland im Zusammenhang mit einem möglichen Friedensvertrag mit Armenien nicht mehr als Vermittler im Südkaukasus erwähnte und stattdessen die USA lobte, versetzte er dem Kreml einen zusätzlichen Schlag: Er demonstriert, dass er auf die Gunst Russlands nicht angewiesen ist. Die offen ausgetragene Auseinandersetzung zeigt einmal mehr, wie dem Kreml seit der Entscheidung zum Krieg gegen die Ukraine im postsowjetischen Raum die Fäden entgleiten.
Nach dem Flugzeugabsturz in Kasachstan herrschte in Aserbaidschan Staatstrauer. Die Flaggen wurden auf halbmast gesetzt.
Anadolu