Schrottautos rosten auf dem Parkplatz, Vandalismus frisst sich durch die Wände – jetzt kommt Bewegung ins „Rote Hochhaus“ im Schelmengraben.
Das Rote Hochhaus im Wiesbadener Stadtteil Schelmengraben hat viele Jahre geschwiegen. Zwischen Schrottfahrzeugen, leerstehenden Läden und Müllinseln verlor die einst von Ernst May als Nachbarschaftszentrum gedachte Immobilie ihre Funktion – und die Besitzer die Kontrolle. Jetzt will Wiesbaden den Spieß umdrehen: Die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG übernimmt das Areal mit über 150 Wohnungen und 17.000 Quadratmetern Grundfläche, um daraus auf 11.500 Quadratmetern wieder ein lebendiges Zentrum zu machen.
Kauf als Kurswechsel
„Ein Glückstag für Wiesbaden“, sagt Andreas Kowol, Baudezernent der Stadt, bei der Vorstellung des Projekts. Die SEG springt dort ein, wo der freie Markt versagte. Nach mehrfachen Eigentümerwechseln, wachsendem Leerstand und einer Insolvenz landete die Immobilie als „Dreingabe“ im Portfolio eines luxemburgischen Investors. Nun kann die SEG zupacken – auch dank Rückendeckung aus dem Stadtparlament, das mit rund 15 Millionen Euro für den Kauf der Immobilie bereitstellt, und damit der SEG den Rücken stärkt.
Wohnen, Einkaufen, Ankommen
Geplant ist ein Neuanfang in drei Schritten: Zuerst wird das bestehende Hochhaus saniert. 73 Wohnungen sollen bezahlbar bleiben. Die Bewohner für die zeit des Umbaus umgezogen. Parallel wird das Gelände neu geordnet. Auf dem Areal der maroden Ladenpassage sollen in etwa noch einmal so viele Wohnungen und eine 2.000 Quadratmeter große Nahversorgungsfläche entstehen – ohne architektonische Rückgriffe auf die 60er-Jahre, dafür mit Augenmaß und Nachhaltigkeit. Wahrscheinlich ein Neubau, in dem sich die heutigen Ansprüche an modernen Wohnungen und Ladenflächen einfacher umsetze lassen.
Ein Ort mit Potenzial
SEG-Geschäftsführer Roland Stöcklin sieht in der Immobilie mehr als nur Bausubstanz: „Das Quartier ist gut angebunden, liegt grün und hat Blickachsen in den Rheingau.“ Trotzdem leider stagniert der Ruf. Mit dem neuen Zentrum will man diesen Bruch reparieren – sozial, wirtschaftlich, architektonisch. Unter genauer Betrachtung könnte der Schelmengraben zu einer echten 15-Minuten-Stadt werden: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen – alles nah, alles zu Fuß.
Sanierung als soziale Frage
Doch die Aufgaben sind komplex: asbesthaltige Fassaden, hoher Leerstand, technischer Rückstand. Und: Die SEG will die Bestandsmieten niedrig halten. Möglich machen soll das eine kluge Mischkalkulation – Erträge aus dem Neubau finanzieren günstige Mieten im Bestand. Ein ambitionierter Plan. Doch gerade angesichts bundesweiter Wohnungsnot sei diese Aufgabe dringlicher denn je, so Stöcklin: „Wenn wir das nicht lösen, haben wir ein echtes Demokratieproblem.“
Ab 2027 sichtbar
Die Sanierung des Hochhauses und der Umbau des Umfelds starten frühestens 2027. Der Kauf wird noch 2025 vollzogen, erste sichtbare Maßnahmen – wie das Entfernen der Schrottautos oder die Pflege der Grünanlagen – sollen rasch folgen. Doch Spatenstich und Baubeginn brauchen Zeit, Planung, Abstimmung. Die SEG aber will liefern. Und das Quartier – so die Hoffnung – endlich aufblühen lassen.