Den Grad der Verwahrlosung kann die Stadtverwaltung nicht leugnen. Eine nahezu leer stehende Ladenpassage, nicht vermietbare Wohnungen, wilde Müllablagerungen und sichtbare Folgen von Zerstörungswut, dazu achtlos abgestellte Schrottautos auf dem Parkplatz: Das Herz des Quartiers Schelmengraben, das „Rote Hochhaus“ mit seinen Nebengebäuden, ist alles andere als attraktiv. Die Landeshauptstadt will dem Verfall aber nicht weiter zusehen und hat über die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG das 17.200 Quadratmeter große Grundstück mitsamt Hochhaus und Nebenflächen erworben.
Verkäuferin ist laut SEG-Geschäftsführer Roland Stöcklin eine luxemburgische Gesellschaft, die das Ensemble im Stadtteil Dotzheim als Teil eines „größeren Schuldenportfolios eher zufällig“ erworben hatte. In den Jahren zuvor hatte es mehrere Eigentümerwechsel gegeben, ohne dass sich die Lage gebessert hatte.
Stillschweigen um Kaufpreis
„Der freie Markt wird es nicht regeln“, sagt Stöcklin, weshalb sich nun die öffentliche Hand gefordert sieht. Die SEG hat das Ensemble erworben, über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Nach Informationen dieser Zeitung wird sich die Stadt die Transaktion insgesamt fast 13 Millionen Euro kosten lassen.
Damit die SEG den Erwerb stemmen kann, wird die Stadt das Eigenkapital der Gesellschaft in mehreren Schritten bis zum Jahr 2029 um 15 Millionen Euro aufstocken. Dem Vernehmen nach war das in der Stadtverordnetenversammlung, die dem Kauf in nicht öffentlicher Sitzung zustimmte, nicht unumstritten. Die CDU scheiterte aber mit ihrer Forderung, die SEG möge den Verkauf von Bestandsimmobilien zur Eigenkapitalstärkung prüfen, am Widerstand des Linksbündnisses.
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Für den Kaufpreis erhält die SEG mehr als 150 Wohnungen – davon 73 im Wohnturm –, von denen aktuell nur etwa drei Viertel vermietet sind. Dass es nicht mehr sind, liegt laut Stöcklin am miserablen Zustand einiger Wohnungen und am mangelnden Engagement der Vorbesitzer. Angaben zu den jährlichen Mieteinnahmen der SEG machte Stöcklin nicht.
Im Wohnturm gebe es mehr als 5500 Quadratmeter Wohnfläche, in den Nebengebäuden 4300 Quadratmeter plus 1200 Quadratmeter Ladenflächen. Der Eigentumsübergang soll bis zum Jahresende vollzogen sein. Danach wird die Stadt laut Baudezernent Andreas Kowol (Die Grünen) zunächst „ordentlich aufräumen“ und beispielsweise die nicht mehr fahrtüchtigen Autos entsorgen. „Eigentum verpflichtet“, sagt Stöcklin dazu.
Sanierung kostet 15 Millionen Euro
Die Planung der Revitalisierung des Ensembles wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Kowol rechnet damit, dass konkrete Arbeiten frühestens in den Jahren 2027 und 2028 beginnen werden. Die Substanz des Hochhauses sei für die Revitalisierung geeignet, sagt Stöcklin. Zu den erwarteten Sanierungskosten machte er keine Angaben. Nach Informationen der F.A.Z. könnte es bis zu 15 Millionen Euro kosten, um die Immobilie zu ertüchtigen. Dazu gehört auch die Sanierung der asbesthaltigen Fassade.
Die Mieter müssten dann – zumindest zeitweise – ausziehen. Ein Teil der Nebengebäude, insbesondere die Ladenpassage, könnte abgerissen werden, um weitere 100 bis 130 Wohnungen zu bauen. Laut Kowol soll die Attraktivität des Schelmengraben-Zentrums an der Karl-Marx-Straße zudem mit der Ansiedlung eines weiteren Lebensmittelmarktes erhöht werden, für den mehr als 2000 Quadratmeter vorgesehen sind. Insgesamt würden rund 11.000 Quadratmeter der erworbenen Fläche „neu geordnet“. Die Mieten sollten trotz Sanierung günstig bleiben.
Kowol sieht die Chance, der „Großsiedlung“ Schelmengraben mit ihren rund 6000 Einwohnern neue Impulse zu geben und Missstände zu beheben, um eine positive Entwicklung anzustoßen. Es sei eine „herausragende Wohnlandschaft“ im Grünen. Stöcklin sagte, das Quartier habe ein großes Potential. Viele der Bewohner fühlten sich dort ausgesprochen wohl.
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) meldete sich mit der Einschätzung zu Wort, dass der Kauf „ein deutliches Zeichen für soziale Verantwortung, städtebauliche Erneuerung und langfristige Perspektiven“ sei. Der Schelmengraben war vom Stadtplaner und Architekten Ernst May entworfen und in den Sechziger- und Siebzigerjahren errichtet worden. Von den rund 2500 Wohnungen sind viele im Eigentum der hessischen Wohnungsgesellschaft GWH.