Mit ihrem neuen Remix-Album «Veronica Electronica» verweist Madonna an die späten neunziger Jahre. Modisch war das ihre beste Ära: Ihre Looks waren ein Zeitzeugnis der angesagtesten Modedesigner jener Zeit.
Das Jahr 1998 – es markierte eine Zäsur in Madonnas Karriere. Nach der Geburt ihres ersten Kindes, der Tochter Lourdes, gab sich der als schillerndes Stil- und Trend-Chamäleon verrufene Pop-Star auf einmal erfrischend geerdet statt aufdringlich und provokativ. Grund: das neue, siebte Studioalbum «Ray of Light», Madonnas spirituelle Reise, inspiriert von Kabbala und Yoga und musikalisch unterstützt vom britischen Elektromusikproduzenten William Orbit.
«Ray of Light» wurde nach «True Blue» (1986) und «Like a Virgin» (1984) zu einem ihrer erfolgreichsten Werke, mit über 16 Millionen verkaufter Alben, positiven Musikkritiken und vier Grammy-Awards, darunter jenen für das beste Pop-Album. Aber auch in modischer Hinsicht entpuppte sich das Jahr 1998 als eine ihrer gelungensten Stilphasen, von denen die heute bald 67-Jährige bekanntlich unzählige durchmachte.
Subtilerer Neuanfang dank Arianne Phillips
«Subtilität war noch nie ihre Stärke» schrieb der Musikjournalist Rob Sheffield im April 1998 im «Rolling Stone» in seiner positiven Albumkritik über Madonna. Für ihre Verhältnisse einen Tick subtiler waren immerhin die Looks, in denen sie sich für die Promotion ihrer neuen kosmischen Elektro-Rave-Songs zeigte: Nüchterner und kontemplativer offenbarte sie eine reife Mystik.
Verantwortlich für die neue Stilrichtung war die in der Modewelt gut vernetzte Stylistin und Kostümdesignerin Arianne Phillips. Sie verhalf Madonna zu einer Reihe überzeugender Looks angesagter Modedesigner. Madonnas stilistischer Neuanfang im Jahr 1998 legte den Grundstein für eine langjährige, äusserst erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Pop-Star und der Stylistin.
Das jüngst lancierte Remix-Album «Veronica Electronica» (25. Juli 2025), das ursprünglich 1998 als Begleitwerk zu «Ray of Light» geplant war, gibt nun Anlass, um einen Blick auf Madonnas erinnerungswürdige Mode-Looks aus diesem Jahr zu werfen. Denn diese zählen zu den besten überhaupt in der bald 45-jährigen Karriere der Musikerin, Performerin und Ikone der Pop-Kultur.
Der Auftakt zu Madonnas neuer modischer Tour de Force: das Video zum Song «Frozen», das Anfang 1998 im Vorfeld des neuen Albums «Ray of Light» herauskam. Nach der «Like a Virgin»-Göre, der exhibitionistischen Femme fatale oder der kaum glaubwürdigen «Evita»-Ära überraschte Madonna nun mit einem geheimnisvolleren Look: eine geisterhafte Hexe, die in der dämmrigen Wüste ihre Gestalt verändert und deren lange, rabenschwarze Haare wie Tentakel im Wind wehten.
Je nach Quelle heisst es, dass Madonna in Chris Cunninghams «Frozen»-Video Kleider des Belgiers Olivier Theyskens oder von Jean Paul Gaultier trug. Ziemlich sicher waren es wohl die Kreationen von Letzterem, wie etwa der Blog «Madonna Outfits» treffend aufzeigt.
So erkennt man Teile aus Gaultiers viel beachteter «Frida Kahlo»-Kollektion für Frühjahr/Sommer 1998 – pechschwarze Kleider und Ensembles aus schimmerndem Seidentaft, mit weit ausgestellten Röcken und wallenden Capes.
Jean Paul Gaultiers Kollektion für Frühling/Sommer 1998.
Ein Gegensatz zur düsteren Haarpracht im «Frozen»-Clip waren die weich fallenden, naturblond wirkenden Locken, mit denen sich Madonna auf dem Album-Cover von «Ray of Light» wie auch auf dem Cover der Single «Frozen» (in Kleidern von Dolce & Gabbana und Prada) zeigte.
Doch trotz anderer Haarfarbe spannte ein zurückhaltendes Make-up, vor allem aber die von der Stylistin Arianne Phillips clever gewählten Silhouetten, den Bogen zu den mystischen «Frozen»-Looks. Das Thema: eine Art puristische Interpretation des präraffaelitischen Stils aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieser hatte wiederum die Kleider des Mittelalters verklärt: feminine, am Torso eng anliegende Kleider mit langen, weit ausgestellten Röcken und langen Ärmeln.
Fast schon engelhaft glitt eine ätherisch strahlende Madonna im Januar 1998 über den roten Teppich der Golden Globes. Ihr gotisch-romantisches Kleid kam direkt vom Laufsteg, wurde es doch wenige Tage davor an der Pariser Modewoche gezeigt. Es stammte von Nicolas Ghesquière, der 1997, im Alter von nur 25 Jahren, überraschend zum Kreativdirektor von Balenciaga befördert worden war.
Madonna im Januar 1998 an den Golden Globe Awards im Kleid aus Nicola Ghesquières Balenciaga-Kollektion, Herbst/Winter 1998.
Ein ähnlicher Jungdesigner-Schachzug folgte an der Oscar-Verleihung im März 1998: Das dramatische Satinkleid mit tiefem Ausschnitt und voluminösem Tüllrock in Schwarz und Anthrazit stammte vom damals 22-jährigen Belgier Olivier Theyskens, der ein Jahr zuvor sein Modedesignstudium an der Talentschmiede La Cambre abbrach, um sein eigenes Modelabel zu gründen.
Madonna im Kleid des Jungdesigners Olivier Theyskens an der Oscar-Verleihung Ende März 1998.
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Es sollte nicht das letzte Mal in diesem Jahr sein, dass Madonna in einer Kreation von Olivier Theyskens auffiel. Der Belgier machte später eine steile Karriere als Kreativchef von Marken wie etwa Rochas, Nina Ricci oder Theory.
Ergänzend zu den wallenden Kleidern für den roten Teppich wählte Arianne Phillipps für etwas weniger formelle Termine eine entsprechend lässigere Garderobe, angelehnt an die Looks aus Jonas Akerlunds Musikvideo zur Single «Ray of Light»: Darin trug Madonna eine Jeansjacke von Plein Sud oder ein weisses Tank-Top zur schlichten, hüfthohen Chloé-Hose mit paillettenbesetztem Bund.
Für den Auftritt in der «Rosie O’Donnell Show» trug Madonna dann eine ähnlich tief sitzende, karierte Hose vom türkischstämmigen Designer Rifat Ozbek aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion 1999, dazu ein schlichtes schwarzes Tanktop und Peeptoes mit Keilabsatz von Dolce & Gabbana.
Madonna in Rifat-Ozbek-Hose mit Rosie O’Donnell in deren Show im März 1998.
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Eine andere Version des Hosen-Looks gab Madonna dann im September – wieder als Dunkelhaarige, diesmal mit indischen Henna-Tattoos – an den MTV Video Music Awards zum Besten. Für die Live-Performance von «Ray of Light» ravte sie in Hosen von Karen Walker und in einem schlichten Tank-Top ab. Die Mary-Jane-Pumps stammten von Prada.
Madonna an den MTV Video Music Awards im September 1998.
Etwas glamouröser dann das Outfit zur Preisverleihung am selben Abend: In einem Outfit von Alexander McQueen nahm sie den Preis für das Video des Jahres entgegen. Dramatisch der glitzernde, ärmellose Paillettenmantel mit kantigen Schultern und die rote Pythonhose, ein Ensemble aus einer der aufsehenerregendsten Kollektionen jener Zeit: Alexander McQueens Ode an Jeanne d’Arc, seine Herbst/Winter-Kollektion 1998 namens «Joan».
Im Oktober an den VH1 Fashion Awards in New York überstrahlte Madonna dann modisch alle anderen Anwesenden. An dem Abend wurde sie von Donatella Versace und Sting mit dem Gianni Versace Tribute Award geehrt und erhielt eine weitere Trophäe.
Für ihre Darbietung des Songs «The Power of Good-Bye» wählte sie wieder einen Look aus der Herbst/Winter-Kollektion 1998 von Olivier Theyskens: eine schwarze Lederjacke zu einem schwarzen Maxirock aus Satin.
Madonna in Olivier Theyskens an den VH1 Fashion Awards im Oktober 1998.
Um nach der Aufführung den Preis als «Most Fashionable Artist» entgegenzunehmen, schlüpfte sie in ein atemberaubendes gelbes Korsett-Ballkleid – ebenfalls von Olivier Theyskens, aus dessen Frühjahr/Sommer-Kollektion 1999. Der strahlende «Showstopper» aus Satin zeichnete sich durch spiralförmige Drapierungen mit Haken- und Ösen-Details aus.
Dann, auf Ende 1998 hin, entwickelte sich Madonna schon wieder weiter. Zwar blieb sie minimalistisch und klar im Styling. Statt verträumt wirkte sie aber kantiger, mit skulpturalen Silhouetten.
Am Fire & Ice Ball zugunsten der Krebsforschung zeigte sie sich in einem langärmeligen, schwarzen Abendkleid aus Leder mit spiralförmigen Schnittlinien. Das Design stammte aus der Herbst-/Winterkollektion 1998 von Atelier Versace, genauer gesagt Jörgen Simonsen, dem Leiter der Couture-Linie von Versace, der direkt unter Donatella Versace arbeitete.
Madonna in Atelier Versace, im Dezember 1998.
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Das dunkel gefärbte Haar trug Madonna gerade und mit Mittelscheitel, die Augen zu einem asiatisch anmutenden Look geschminkt – ein Vorgeschmack auf den neuen Look. Im Februar 1999 lancierte sie die Single «Nothing Really Matters». Das Video dazu lieferte der schwedische Regisseur Johan Renck und war von Arthur Goldens Roman «Die Geisha» (1997) inspiriert.
Für das Outfit, das als Hommage an Geishas verstanden werden kann, wählte sie für einmal mehr einen alten Bekannten: Jean Paul Gaultier. Ein Look, der heute möglicherweise Vorwürfe der «Cultural Appropriation» provozieren würde. Doch für Provokationen war Madonna ja schon immer bekannt.
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