Luxemburgisch komplett zerlegt

Von Nora Schloesser

Dass Nico Helminger Spaß daran hat, mit Wörtern zu jonglieren, mit Sprache zu spielen und sich an unkonventionelle Formen des Textschreibens wagt, hat er bereits mehrfach bewiesen. Wer dachte, dass der Ältere der Helminger-Brüder vor drei Jahren die Wortspielchen mit „Saumes Kinoplakat“ auf die Spitze getrieben hat, irrt sich.

„Geckegen Hunneg“ ist nämlich nicht weniger raffiniert. Dieses Mal nimmt sich Helminger der luxemburgischen Sprache an. In verschiedenen Sequenzen bricht er nicht nur jede Menge Regeln, sondern nimmt auch altbekannte Sprichwörter auseinander. So wie die Waben die Grundlage des Bienenstocks bilden, gilt Sprache als Grundgerüst der menschlichen Kommunikation. Doch Nico Helminger nimmt sie auseinander. Amüsant, aber etwas unzugänglich – in etwa wie die Welt, die der langjährige Schriftsteller nachzuzeichnen versucht. Da kann es nur lauten: „Viru mam Abel“.

Nico Helminger: „Geckegen Hunneg“, éditions guy binsfeld, 160 Seiten, 18 Euro. 

Blick in den Kopf und hinter verschlossene Türen

Von Michael Juchmes

Ein Mann im Kampf gegen das Internet. Beinahe Loriot-artig wandern sonderbare Bürsten in seinen Warenkorb, etwa ein Exemplar aus Ziegenhaar. Die Milchschäumerschlauchbürste und die Soßenbürste sind dann doch zu viel des Guten. Genauso wie eine andere Idee, die sich im Kopf des Protagonisten festgesetzt hat …

Bereits in der ersten Kurzgeschichte des Erzählbandes entführt Nora Wagener die Leserschaft in den Alltag einer gewöhnlichen Familie. Doch dort, wo Normalität herrscht, findet die 1989 geborene Autorin Skurriles, Einzigartiges, Relevantes. Insgesamt 13 Geschichten sind es an der Zahl, mal als Erzählung, mal in Blog-Form, mal in Briefform und doch immer ein wenig digital. Und die Sperber-Bussard-Frage? Die lässt sich laut Nora Wagener nur mithilfe einer App beantworten …

Nora Wagener: „Die Sperber-Bussard-Frage“, éditions guy binsfeld, 192 Seiten, 23 Euro. 

Luxemburgs koloniale Verstrickungen – jetzt auch auf Französisch

Von Marc Thill

Nach dem großen Echo auf die deutsche Erstausgabe legt der Kolonialhistoriker Yves Schmitz sein Buch „Luxemburg war nie eine Kolonialmacht – Eine kritische Einführung“ nun auch in französischer Übersetzung vor. Damit macht er das Thema ebenfalls der internationalen Bevölkerung des Landes zugänglich, also gerade jenen Gruppen, die von der kolonialen Geschichte Europas am meisten betroffen sind.

Inhaltlich bleibt die Studie ebenso präzise wie provokant. Der Titel, ein Zitat des ehemaligen Außenministers Eugène Schaus, ist das bitter-ironische Leitmotiv dieses Buches: Yves Schmitz dekonstruiert darin die vielfach wiederholte Behauptung, Luxemburg habe mit dem Kolonialismus nichts zu tun gehabt. Anhand konkreter historischer Fakten zeigt Schmitz, wie tief das Land in koloniale Macht- und Ausbeutungsstrukturen verstrickt war. Sein Buch ist ein fundamentales Werk, das der luxemburgischen Erinnerungskultur einen Spiegel vorhält und den Mythos der „unschuldigen Nation“ eindrucksvoll zerschlägt.

Yves Schmitz, „Le Luxembourg n’a jamais été une puissance coloniale“, Capybarabooks und Richtung22, 192 Seiten, 20 Euro. 

Lesen Sie auch:Chris Lauer, wie verfasst man eigentlich ein Gedicht?

Punk im Roman verpackt

Von Nora Schloesser

„De Bo, e Jong, dee mol e Meedche war, ass e Konzept ze vill fir d’Duerf.“ Bo, eine der Hauptfiguren aus Cosimo Suglias „Roserei“ ist transgender. Vielleicht sogar der erste transgender Junge in der luxemburgischen Literaturgeschichte? Doch nicht er allein steht im Fokus von Suglias erstem Roman. Ein Roman, dessen Klappentext bereits etwas kryptisch wirkt. Doch ebendieses Mysteriöse weckt Interesse.

Neben Bo gibt es auch noch George und Kamila – und eine seltsame, angeblich futuristische Statue, die jeden Tag woanders im Dorf auftaucht. Und einen neuen Geschichtslehrer, Herr Duchamp. Was es mit alldem auf sich hat, schildert der 1995 geborene Autor in seinem Erstlingswerk – bisher hat Suglia vor allem Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben – auf ganz besondere Weise. Immer wieder gibt es Referenzen zur Punkmusik. Schon allein deswegen wundern Zeilen wie „Moshen ass bieden. Moshen ass d’Ritual fir de Gott vun der Musek. Moshen ass wéi gudde Sex.“ nicht.

Cosimo Suglia: „Roserei“, Op der Lay, 144 Seiten, 17,90 Euro. 

Rein in die tiefste Düsternis Luxemburgs

Von Daniel Conrad

Leichte Kost ist das nicht – im Gegenteil: Hier werden Fans von „Das Schweigen der Lämmer“ und Co. fündig. Der ehemalige Soldat und heutige Luxemburger Polizist Chris Wetz hat in seinem Debütroman hoffentlich keine persönlichen Erfahrungen einfließen lassen – so plastisch wirkt der Horror, den sein Ermittler Mil Brandon erlebt. Der wird nicht nur durch neue Verbrechen an eine alte Entführungswelle erinnert, sondern muss auch noch den grausamen Tod seiner Frau verarbeiten.

Überraschenderweise ist dieser erste Teil der Thriller-Reihe bei Point Nemo Publishing erschienen, dem Verlag von Anna Valentiny, der sich bisher eher als Fachverlag präsentiert hatte. „Im Schatten der Sonne“ hat Valentiny als Lektorin aus Lust am Experiment und als Krimifan eng begleitet. Und gemeinsam führen sie und Wetz den Leser in ein Luxemburg voller düsterer Geheimnisse um Kindesmissbrauch, grausame Tötungen und die Folgen psychischer Belastungen nach schwerer Gewalt – und zu Orten, die jeder Luxemburger kennt. 

Chris Wetz: „Im Schatten der Sonne“, Point Nemo Publishing, 320 Seiten, 25 Euro. 

Drei Menschen, drei Geschichten, ein Land

Von Nora Schloesser

Was tun, wenn man sich die (eigene) Zukunft nur schwer vorstellen kann? Wenn man irgendwie dort gelandet ist, wo man sich gerade befindet und sich insgeheim die Frage stellt, ob man eigentlich glücklich ist?

Damit beschäftigen sich Samuel Hamens Figuren aus „LTZBG“. In seinem neuen Buch lässt der Autor in drei verschiedenen Kapiteln jeweils anhand eines Monologs drei unterschiedliche Personen zu Wort kommen: ein mittdreißigjähriges Elternteil, ein Rentner und eine Unternehmerin. Sie alle werden aus ihrem Alltagstrott gerissen und werfen einen Blick auf die Gesellschaft, auf das Land, in dem sie leben. Auf Luxemburg.

Samuel Hamen: „LTZBG“, éditions guy binsfeld, 136 Seiten, 20 Euro. 

Lesen Sie auch:Diese sommerlich-leichten Leseabenteuer bereichern den Urlaub

Ein federleichter Tritt in die Schienbeine der Wirklichkeit

Von Marc Thill

Mit seinem neuen Büchlein „Mir fällt ein Stein vom Herzen und zertrümmert meinen dicken Zeh“ beweist Guy Rewenig einmal mehr, wie virtuos er mit Sprache jonglieren kann. In 61 Miniaturen entfaltet er ein grotesk überzeichnetes Panorama unserer Gegenwart.

Ob es um ein Kind mit Vorliebe für Friedhöfe geht, einen Hahn mit Identitätskrise oder ein Nilpferd, das aus seinem Wellensittichkäfig ausbrechen will – Rewenigs Texte sind witzige Schlaglichter auf eine Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät. Zwischen surrealem Witz und schmerzhaftem Ernst balancierend trifft der scharf beobachtende Schriftsteller mit seinem unverkennbaren Stil stets einen Ton, der nachhallt, der etwas schräg, aber doch stets auch tiefsinnig ist. Wer lacht, tut dies oft mit einem Kloß im Hals, und genau darin liegt die Kraft dieses schmalen, aber gewichtigen Buchs.

Guy Rewenig, „Mir fällt ein Stein vom Herzen und zertrümmert meinen dicken Zeh“, éditions guy binsfeld, 96 Seiten, 17 Euro. 

Illustration: Sabina Palanca / Koordination und Redaktion: Nora Schloesser