Ein Karlsruher spielte der Überlieferung zufolge eine Schlüsselrolle bei der Gründung des Deutschen Kaiserreichs anno 1871.

Als König Wilhelm von Preußen im Spiegelsaal zu Versailles plötzlich Zweifel befielen, ob er wirklich die Kaiserwürde annehmen sollte, war es Badens Großherzog Friedrich I. – ein leidenschaftlicher Verfechter des neuen Reichs –, der mit einem Ausruf vorpreschte und Fakten schuf:

„Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch!“

Karlsruherin will Preußen-Prinz als Kaiser

154 Jahre später sind es wieder Karlsruher, die unbedingt einen Preußen zum Kaiser machen wollen.

Zu dem Behufe soll an diesem Samstag vor dem Karlsruher Schloss eine denkwürdige Kundgebung stattfinden: das „Große Treffen der 25 +1 Bundesstaaten“.

Dabei handelt es sich laut Verfassungsschutz um ein bemerkenswert gut besuchtes Format des extremistischen Reichsbürger-Milieus, das unter anderem bereits in Schwerin und München für Schlagzeilen sorgte.

Die Organisatoren nehmen Bezug auf das Reich zwischen 1871 und 1918 mit seinen 25 Bundesstaaten und dem „Reichsland“ Elsass-Lothringen, das direkt dem Kaiser unterstellt war. In Karlsruhe werden 500 bis 700 Teilnehmer erwartet, zudem bis zu 1.500 Gegendemonstranten.

Eigentlich zog es die sogenannten Reichsbürger bislang nicht sehr an die Öffentlichkeit. Man denke an jene konspirative Truppe um Heinrich Prinz Reuß, die seit gut einem Jahr in drei Mammut-Verfahren in Stuttgart, Frankfurt und München vor Gericht steht.

Laut Generalbundesanwalt sollen sie geplant haben, die verfassungsmäßige Ordnung durch einen gewaltsamen Putsch zu beseitigen.

Gruppierung setzt auf Öffentlichkeitsarbeit

Der Ansatz von Johanna Baumann und den anderen Organisatoren der „Großen Treffen“ ist ein ganz anderer.

Sie lehnen nach eigenem Bekunden Gewalt strikt ab und setzen vielmehr auf Öffentlichkeitsarbeit. Auf die Einsicht des deutschen Volkes, dass die Rückkehr zum Kaiserreich unter einem Preußenherrscher doch allemal besser sei als die Bundesrepublik Deutschland.

Insofern ist es schlüssig, dass Johanna Baumann in ein Treffen mit dem BNN-Reporter einwilligt. Denn aus Sicht der 55-jährigen Karlruherin gibt es viele Vorurteile über ihre Gruppe, die es zu korrigieren gelte.

Johanna Baumann aus Karlsruhe hat das „Bundesstaatentreffen“ in ihrer Heimatstadt mitorganisiert. Sie steht in einem Sommerkleid vor dem linken Flügel des Karlsruher Schlosses.

Johanna Baumann hat das „Bundesstaatentreffen“ an diesem Samstag in Karlsruhe mitorganisiert. Die Bezeichnung „Reichsbürger“ lehnt sie ab. Sie sagt: „Ich bin Staatsangehörige des Großherzogtums Baden nach dem Gesetz von 1871“.

Foto: Daniel Streib

Wie ticken Menschen, die im Jahr 2025 den Kaiser zurückwollen? Treffpunkt: Karlsruher Schloss, die einstige Residenz des Großherzogtums Baden.

Das Bundesverfassungsgericht ist ganz nah, doch auch der alte Großherzog Friedrich I. wirft seinen Schatten. Die Gebeine des badischen Kaisermachers ruhen in der Herzoglichen Grabkapelle im Hardtwald.

„Wir sind keine Reichsbürger“

Aus dunklen Wolken tröpfelt es. Johanna Baumann trägt Bluse und einen bunten Sommerrock. Sie lächelt zugewandt. Zu Beginn möchte sie gleich etwas klarstellen: „Wir sind keine Reichsbürger.“

Diese Zuschreibung von Medien sei irreführend und eine Diffamierung, klagt die Frau, die das „Große Treffen“ mitorganisiert hat.

Der Begriff Reichsbürger gehe zurück auf das Reichsbürgergesetz der Nationalsozialisten von 1935. Damit habe die Bewegung Bundesstaatentreffen überhaupt nichts zu tun. Und was ist sie dann? „Ich bin Staatsangehörige des Großherzogtums Baden“, sagt die Karlsruherin.

Tatsächlich wird die Gruppe nicht nur von Medien dem Reichsbürger-Milieu zugeordnet, sondern auch von den zuständigen Sicherheitsbehörden.

Wie das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg mitteilt, gehören die „Großen Treffen“ zu den bislang personenstärksten Zusammenkünften der Reichsbürgerbewegung.

„An den zurückliegenden Veranstaltungen dieser Art nahmen regelmäßig auch extremistische Akteure aus Baden-Württemberg teil“, so ein Behördensprecher.

„Ideologisch bedingte Wahnvorstellungen“

Spricht man mit Johanna Baumann über die rechtlichen Grundlagen Deutschlands, wird deutlich, dass sie sich viel mit dem Thema beschäftigt. Wer weiß denn schon, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Deutsche Reich als Völkerrechtssubjekt nicht etwa untergegangen ist und die Bundesrepublik mit ihm identisch ist.

Nur die Schlüsse, die viele sogenannte Reichsbürger aus derlei Staatsrechtsspezialitäten ziehen, sind teils verheerend.

So sprach das Amtsgericht Duisburg in einer Vollstreckungssache einmal von „ideologisch bedingten Wahnvorstellungen“ und hielt in einem Urteil fest: „Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existieren ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist.“

Ich halte mich an die Gesetze und bezahle meine Steuern.

Johanna Baumann

Kaiserreich-Befürworterin

Wie eine Extremistin wirkt Johanna Baumann nicht. Sie lächelt sanft. Und sagt: „Selbstverständlich erkenne ich die Realitäten an. Ich halte mich an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland und bezahle meine Steuern.“

Und doch habe sie schon als junge Frau gespürt, dass etwas nicht stimmt. „Ich hatte bereits als junge Frau das Gefühl, dass die eigentliche Ordnung durch etwas Unnatürliches überlagert ist.“

Früher hat sie die Grünen gewählt

Als 2001 die Türme des World Trade Centers einstürzten, habe sie begonnen, vieles zu hinterfragen. Der islamistische Terror-Anschlag von Manhattan ist bis heute Ausgangspunkt wildester Verschwörungstheorien, nicht nur im Reichsbürger-Milieu.

Johanna Baumann hat nach der Realschule Erzieherin gelernt. Seit vielen Jahren arbeitet sie als selbstständige Körpertherapeutin in Karlsruhe. Sie hat zwei erwachsene Kinder und ein Enkelkind. Ihre geistige Heimat seien die Friedensbewegung und die Grünen gewesen, erzählt sie. Doch das sei lange her.

Inzwischen beschäftigt sie sich viel mit Verfassungsrecht. Warum organisiert eine freundliche Karlsruherin eine Kundgebung, die laut Verfassungsschutz eine „eindeutig extremistische Ausrichtung“ hat?

„Ich mache das für meine Kinder. Für die kommenden Generationen. Für eine friedliche Welt.“ Dann spricht sie von großer Unzufriedenheit im Land. „Wir haben starke wirtschaftliche Probleme, zunehmende Altersarmut und ein Migrationsproblem.“ Herkömmliche Politik helfe da nicht viel.

Das Grundgesetz schützt auch seine Gegner

Das gute alte Kaiserreich wäre aus ihrer Sicht die Lösung. Beispiel: „Wenn jemand straffällig wird, müssen die Gesetze greifen. In der BRD gibt es da zu viele Lücken. Die Verfassung von 1871 bot auf allen Ebenen der Regierung mehr Kontrolle und somit waren diese Lücken geschlossen“, doziert sie.

Das ist eine Botschaft beim Treffen in Sichtweite von Schloss und Verfassungsgericht. Eine andere Botschaft ist wohl: Das Grundgesetz schützt bis zu einem gewissen Grad sogar die Versammlungsfreiheit jener, die es abschaffen wollen.

Wie groß ist die Gruppe im Raum Karlsruhe? Baumann möchte sich dazu nicht so genau äußern. Besieht man sich die Aktivitäten zum „Großen Treffen“ im Messenger-Dienst Telegram, wirkt etwa die Region Südbaden bislang präsenter. Bei Freiburg gibt es wohl regelmäßige Kundgebungen.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (l) und Georg Friedrich Prinz von Preußen betonten, wie wichtig die Einigung im Hohenzollern-Streit ist.

Georg Friedrich Prinz von Preußen (rechts), hier mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, gilt unter Monarchisten als der nächste Deutsche Kaiser.

Foto: Michael Bahlo/dpa

Kann sich das nach der Zusammenkunft in Karlsruhe ändern? Johanna Baumann sagt: „Ein Erfolg ist es für mich, wenn wir die Menschen erreichen und sie dafür begeistern können, die Verfassung von 1871 einmal durchzulesen.“

„Volk, Kaiser, Friedensvertrag“

Sie wirkt etwas besorgt darüber, dass der Veranstaltung so viel Widerstand entgegengebracht wird. Sie sagt: „Ich würde mir von den Gegendemonstranten wünschen, dass sie sich auf einen Dialog mit uns einlassen.“

Aber jetzt mal im Ernst: Wie soll denn das funktionieren mit dem neuen alten Kaiserreich? Das ist doch schon ziemlich schräg. Baumann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie sagt: „Wir sind keine Spinner, wir sind Visionäre.“

Legitimer Kaiser sei der Hohenzoller Georg Friedrich von Preußen. Der 49-jährige Urenkel des letzten deutschen Kronprinzen müsse nur hervortreten, sagt sie.

Dann könne alles ganz schnell gehen. Sie fasst zusammen: „Unser Weg ist: Erst das Volk, dann Kaiser, dann der Friedensvertrag und damit automatisch die Aktivierung der Deutschen Verfassung von 1871.“

Die Frau im bunten Sommerrock könnte noch lange reden. Doch ihr Handy bimmelt und nun hat es Johanna Baumann eilig. Ein Zoom-Meeting mit kaisertreuen Mitstreitern steht an.

„Die Badischen Neuesten Nachrichten berichten am Samstag ab 11 Uhr auf bnn.de in einem Live-Ticker über die Demonstration und die Gegenaktionen.“

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