2,9 Millionen Menschen auf der Welt leiden an Multipler Sklerose, so die aktuellen Zahlen der Deutschen Gesellschaft für MS. Eine tückische Autoimmunkrankheit, bei der das Immunsystem körpereigene Strukturen in Gehirn und Rückenmark angreift. Im Fall von MS sind dies die schützenden Myelinhüllen um die Nervenbahnen. Bei MS-Patienten baut der Körper diese Isolierschicht der Neuronen nach und nach ab, so dass im Verlauf der Krankheit immer mehr Nerven ungeschützt sind. Die Folgen dieser entzündlichen Prozesse sind neurologische Ausfälle, die ganz unterschiedliche Beschwerden zur Folge haben. Eine Heilung für diese neurodegenerative Erkrankung gibt es bisher nicht, eine klassische Früherkennung ebenso wenig. Auf diesem Gebiet ist nun Forschern an der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien) ein wichtiger Schritt gelungen.
Dabei machten sie sich die Tatsache zunutze, dass an MS-erkrankte Menschen sehr häufig zuvor eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus durchgemacht haben. Dies ist zunächst nichts Besonderes, denn mit diesem auch als Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers bekannten Virus infizieren sich nahezu alle Menschen auf der ganzen Welt im Laufe ihres Lebens. Allerdings erkranken nicht alle daran, bei den allermeisten Infizierten schlummert das Virus in einer Art Ruhemodus in den Zellen. Nur manche Menschen bekommen Pfeiffersches Drüsenfieber und (oder) erkranken später an Multipler Sklerose.
Blutproben von knapp 6100 Menschen verglichen
Die Wissenschaftler an der Uni Wien haben nun eine Methode entwickelt, die eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus bei späteren MS-Patienten erkennt. In ihrer Studie verglichen sie Blutproben von 704 Menschen mit MS-Diagnose und fast 5400 gesunden Kontrollpersonen. Es zeigte sich, dass im Blut der MS-Patienten in hoher Anzahl charakteristische Antikörper nachweisbar waren, die spezifisch ein Protein des Epstein-Barr-Virus binden (das EBNA-1-Protein). Da diese Antikörper gleichzeitig auch an mehrere Proteine im menschlichen Gehirn andocken, haben sie das Potenzial, die Neuronen zu zerstören.
Bei 98 Prozent der MS-Patienten fanden die Forschenden solche Antikörper im Blut, dagegen nur bei 78 Prozent der Kontrollpersonen. Insgesamt war der Spiegel dieser Immunglobuline im Blut der MS-Patienten deutlich erhöht.
Was diese Autoantikörper zu einem verlässlichen Früherkennungsmarker für MS machen könnte, ist die Tatsache, dass sie bereits zwischen neun Monaten und drei Jahren nach der Virusinfektion im Blut der MS-Patienten nachweisbar waren – im Schnitt 5,4 Jahre bevor bei ihnen erste klinische Symptome einer Multiplen Sklerose auftraten. Bei manchen Patienten waren die Biomarker sogar bis zu zwölf Jahre vor den Symptomen nachweisbar. Sie zeigten also schon früh das Risiko für eine spätere MS-Diagnose an. „Unsere Studie zeigt, dass eine sehr frühe Phase der MS-Krankheitsentwicklung lange vor Auftreten von ersten Symptomen bereits immunologisch erkennbar ist“, sagt Seniorautorin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der MedUni Wien.
Frühe Diagnose kann Krankheitsverlauf positiv beeinflussen
Nach Ansicht der Forschenden könnte dieser Biomarker dazu beitragen, künftig frühzeitig Menschen mit einem hohen Risiko für MS zu identifizieren. Beispielsweise könnte der Bluttest bei Patienten gemacht werden, die ersichtlich an einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus erkrankt sind (Pfeiffersches Drüsenfieber). Und auch wenn es bis heute keine Heilung bei MS gibt, kann eine frühe Diagnose die Behandlungsmöglichkeiten und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen beziehungsweise möglicherweise sogar ausbremsen.
Käme ein solcher Früherkennungstest eines Tages zum klinischen Einsatz, wäre dies ein Durchbruch in der MS-Diagnostik. Denn bisher können typische Schäden im Zentralnervensystem erst im fortgeschrittenen Stadium erkannt werden, etwa durch bildgebende Verfahren wie das MRT. Nun müssen weitere klinische Studien mit einer größeren Anzahl an Probanden folgen.