Hertha BSC wenige Tage vor dem Saisonauftakt
–
Blau-weiß ist alle Theorie
So 27.07.25 | 19:32 Uhr | Von Marc Schwitzky
Bild: IMAGO / Jan Huebner | Bild: IMAGO / Jan Huebner
Bereits am kommenden Freitag startet Hertha BSC in die neue Zweitliga-Saison. Die Berliner wollen nichts anderes als den Aufstieg – und zeigen sich nach der Vorbereitung so weit wie lange nicht mehr. Kann Hertha endlich die PS auf die Straße bringen? Von Marc Schwitzky
„Es ist die Hoffnung, die dich umbringt“ – ein Zitat, dessen Quelle bis heute nicht wirklich geklärt ist, mit dem sich aber wohl nahezu alle Fans eines Sportvereins identifizieren können. Es macht den Reiz des kompetitiven Sports aus, dass die Erwartungshaltung permanent übertroffen oder aber enttäuscht wird. Oder wie Trainerlegende Sepp Herberger schon 1957 sagte: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“
Anhänger von Hertha BSC wissen allerdings eins: Sobald sie so etwas wie Hoffnung entwickeln, folgen meist bittere emotionale Schmerzen. Sie sind dahingehend gebrannte Kinder. Denn wie oft blickte man vor einer Saison schon auf die „alte Dame“ und dachte sich, dass doch eigentlich alle Zutaten für eine erfolgreiche Spielzeit vorhanden sind – und wie oft kam es dann völlig anders?
Nach der frisch zurückliegenden Saisonvorbereitung sieht Hertha sogar so bereit für die Liga aus wie seit Jahren nicht mehr. Das Ziel ist – das haben alle Beteiligten sehr klar kommuniziert – der Aufstieg. Eine große Euphorie ist unter vielen Fans aber noch nicht zu spüren – vielmehr die Angst, dass auf etwaige Hoffnungen einmal mehr Enttäuschungen folgen.
Der Kader steht so früh wie lange nicht mehr
Dass Hertha auch von vielen Konkurrenten als ein Aufstiegsfavorit genannt wird, liegt allen voran am Kader. Die Blau-Weißen verfügen vermutlich nicht nur über die höchste individuelle Klasse – die Mannschaft konnte sich darüber hinaus so schnell einspielen wie kaum eine andere in der 2. Liga.
Die Vertragsverlängerungen von Fabian Reese, Michael Cuisance, Toni Leistner und Deyovaisio Zeefuik, die allesamt noch zum Ende der Vorsaison verkündet wurden, haben die Achse im Kader weiter gefestigt. Zwar schmerzten die Abgänge von Ibrahim Maza, Jonjoe Kenny oder Derry Scherhant, doch auch diese waren äußerst früh fix, sodass sich die Verantwortlichen darauf einstellen konnten.
So wurden mit Leon Jensen, Niklas Kolbe, Sebastian Grönning, Paul Seguin und Maurice Krattenmacher fünf Spieler verpflichtet, die allesamt die komplette Vorbereitung mitmachen konnten – ein meilenweiter Unterschied zu den Vorjahren, in denen Herthas Transfers auf der Ab- und Zugangsseite oft erst während der Saison über die Bühne gingen, sodass die Mannschaft keinen Rhythmus entwickeln konnte und schnell in sportliche Schieflage geriet. Einzig auf der linken Außenbahn wird derzeit noch recht dringend eine Verstärkung gesucht. Womöglich kommt noch ein zusätzlicher Mittelstürmer.
Fabian Reese (l.) und Dawid Kownacki sollen das neue Traumduo in Herthas Sturm bilden.
Die Testspielauftritte haben überzeugt
Da mit Stefan Leitl auch der Trainer für die anstehende Saison schon Monate im Voraus feststand, konnte Hertha auf einem stabilen Fundament aufbauen und bereits etablierte Automatismen weiter schärfen. Die Testspielauftritte der letzten Wochen haben allesamt gezeigt, wie gefestigt die Berliner bereits auftreten – trotz einiger personeller Engpässe durch Verletzungen. Die Dreierkettenformation ist eingesickert und die taktischen Abläufe größtenteils installiert. Nur im letzten Angriffsdrittel braucht es noch mehr Varianz.
Selten spielte Hertha in den Vorbereitungskicks die Sterne vom blau-weißen Himmel. Bis auf ein 6:0 im zweiten Testspiel gegen den Regionalligisten BFC Dynamo waren es oftmals eher minimalistische Ergebnisse mit knappen Siegen, Niederlagen und einem Unentschieden bei der Generalprobe gegen Schottlands Erstligisten FC Motherwell.
Doch all diese Partien hatten gemeinsam, dass Hertha überaus stabil auftrat, nie unter ein gewisses Grundniveau fiel und es nahezu keinerlei individuelle Fehler gab. Die Mannschaft ruht so sehr in sich wie schon lange nicht mehr, was auch aufgrund der zwischenzeitlich vielen ausgefallenen Spielern bemerkenswert ist.
So ist die Mannschaft ein Spiegelbild ihres Trainers. Stefan Leitl tritt seit seinem Amtsantritt im Februar dieses Jahres überaus fokussiert und wenig emotional auf. Der 47-Jährige weiß, was er kann und will. Seine Aussagen strahlen Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit aus, ohne arrogant zu wirken. Durch seine Klarheit und Arbeitsmoral hat er in der vergangenen Saison schnell Zugriff auf die Mannschaft bekommen und sie letztendlich komfortabel zum Klassenerhalt geführt. Dabei ließ sich Leitl keinerlei Euphorie anmerken, schließlich habe er nur das Mindestziel erreicht und eigentlich ganz andere Ambitionen mit der „alten Dame“ verfolgt.
Leitl will mit Hertha in die 1. Liga – und er weiß, wie es geht. Der gebürtige Münchener und führte die SpVgg Greuther Fürth 2020/21 sehr überraschend ins Oberhaus. Auch bei Hannover 96 war Leitl auf dem besten Wege, aufzusteigen. In der vergangenen Saison stand er nach der Hinrunde auf Rang sieben, zwei Punkte hinter Platz zwei. Das reichte den Verantwortlichen jedoch nicht aus. Sie entließen Leitl im Winter – und Hannover beendete die Saison auf Rang neun, sieben Zähler hinter einem Aufstiegsplatz.
Hannovers Pech war Herthas Glück. Leitl heuerte in Berlin an, stabilisierte Hertha umgehend und will nun ganz oben angreifen. Dafür treibt er dem so wankelmütigen Traditionsverein immer mehr den Schlendrian aus und sorgt für Verbesserungen auf allen Ebenen. So hat Hertha im Sommer auch im Funktionsteam mit unter anderen zwei neuen Analysten ordentlich umgebaut.
Hertha-Trainer Stefan Leitl (r.) und sein Co-Trainer André Mijatovic sind seit Februar im Amt.
Hertha hat mit Fabian Reese den womöglich besten Spieler der 2. Bundesliga halten können und auch mit Michael Cuisance ist ein echter Unterschiedsspieler geblieben. Die Neuzugänge Maurice Krattenmacher und Dawid Kownacki haben ihre für Zweitligaverhältnisse außergewöhnliche Qualität ebenfalls schon nachgewiesen.
Der Kern der Mannschaft steht seit Monaten, auf vielen Positionen herrscht ein enger Konkurrenzkampf und das System gibt den Spielern sichtbar Sicherheit. Trainer Leitl sitzt fest im Sattel und hat bereits bewiesen, aufsteigen zu können. Kurzum: Die Erkenntnisse der jüngst abgeschlossenen Saisonvorbereitung sind äußerst positiv. Hertha geht somit definitiv als einer der Aufstiegsfavoriten in die neue Spielzeit. Es gibt eigentlich keine Ausreden mehr.
„Entscheidend is‘ auf’m Platz“
Doch all diese Indizien auf eine mögliche Erstligarückkehr können innerhalb weniger Spiele schon wieder verpuffen. Wenn Hertha die eigene Qualität eben nicht konstant auf den Rasen bekommt, sich immer wieder selbst ein Bein stellt und so in eine Negativspirale gerät – so wie in den vergangenen Jahren.
Oftmals war in den vergangenen Spielzeiten eher der Kopf als die Beine das Problem bei den Berlinern. „Wir müssen die Rolle als Favorit annehmen und leben. Sie muss uns Stärke geben“, stellte Herthas neuer Kapitän Reese klar. Wenn Hertha das gelingt, sich ein neues Selbstverständnis und daraus eine Konstanz entwickelt – ja dann werden die Fans sich auch erlauben, zu hoffen.
Schon der in den 1950er Jahren aktive Fußballer Alfred „Adi“ Preißler wusste: „Grau is‘ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is‘ auf’m Platz.“ Dort muss Hertha nach einer vielversprechenden Vorbereitung abliefern. Am kommenden Freitagabend (20:30 Uhr) beginnt die Aufstiegsmission beim FC Schalke 04.
Beitrag von Marc Schwitzky