Findet sie alles, was sie macht? Ursula von der Leyen. Bild: miss.cabul/ Shutterstock.com
Europa zahlt Milliarden für globale Probleme. Die USA profitieren, die EU geht zu oft leer aus. Wohin führt dieser Kurs? Ein Telepolis-Leitartikel.
Die Einigung im Zollstreit zwischen der EU und den USA, verkündet an einem regnerischen Sonntag auf Donald Trumps schottischem Golfplatz, markiert einen Wendepunkt in den transatlantischen Beziehungen.
Was EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als „das Beste, was wir bekommen konnten“ bezeichnet, ist in Wahrheit eine schmerzhafte Kapitulation vor der America-First-Doktrin. Mit einem Schlag hat Trump die Europäer zu dem gemacht, was sie in seiner Weltsicht schon immer waren: zahlende Vasallen.
Die Anatomie eines schlechten Deals
15 Prozent Zölle auf nahezu alle europäischen Exporte in die USA – das ist der Kern der Vereinbarung, die von der Leyen als „Stabilität in unsicheren Zeiten“ verkauft. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die EU verpflichtet sich zu 750 Milliarden Dollar für amerikanische Energie über Trumps Amtszeit, weitere 600 Milliarden Dollar an Investitionen in den USA zusätzlich zu bestehenden Engagements, und dazu noch „gewaltige Mengen“ an Militärausrüstung.
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Was bekommen die Europäer dafür? Das Privileg, ihre Waren zu einem niedrigeren Zollsatz als die angedrohten 30 Prozent exportieren zu dürfen. Es ist, als würde ein Erpresser seine Forderung von einer Million auf 500.000 Euro reduzieren und das Opfer dafür dankbar sein lassen.
Europa als globaler Zahlmeister
Diese Einigung fügt sich nahtlos in ein beunruhigendes Muster ein: Europa zahlt überall, profitiert aber selten. Die Zahlen sind schwindelerregend:
Verteidigung und Ukraine: Seit Kriegsbeginn hat die EU über 135 Milliarden Euro für die Ukraine bereitgestellt, davon knapp 50 Milliarden für militärische Unterstützung. Im Juli 2025 kam ein weiteres Rekonstruktionspaket über 2,3 Milliarden Euro dazu. Die USA hingegen lassen sich ihre Unterstützung von den Europäern bezahlen – Trump macht keinen Hehl daraus.
Globale Partnerschaften: Über das „Global Gateway“-Programm mobilisiert die EU bis 2027 bis zu 300 Milliarden Euro für weltweite Infrastrukturprojekte, davon allein 150 Milliarden für Afrika. Das neue „Global Europe“-Programm sieht für 2028-2034 weitere 200 Milliarden Euro vor – jährlich fast 29 Milliarden.
Migration: Allein für Afrika stellt die EU jährlich rund 20 Milliarden Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen bereit. Länder wie Mali, Niger oder Libyen erhalten Milliardenhilfen – während die USA ihre Südgrenze abriegeln und Europa die Rechnung für globale Migrationsbewegungen zahlen lassen.
Klimaschutz: 336 Milliarden Euro – 30 Prozent des EU-Haushalts 2021-2027 – fließen in Klimaschutzmaßnahmen. Weitere 250 Milliarden aus dem NextGenerationEU-Fonds kommen dazu. Die USA hingegen haben sich unter Trump aus dem Pariser Abkommen verabschiedet.
Entwicklungshilfe: Die EU und ihre Mitgliedstaaten tragen 46 Prozent der globalen Entwicklungshilfe – mehr als die USA, China und alle anderen zusammen.
Investitionen ohne Rendite
Das Tragische an dieser Situation: Die europäischen Milliarden verpuffen oft wirkungslos. Das Demokratieförderungsprogramm in Mittelamerika ist ein Paradebeispiel. Hunderte Millionen Euro fließen in Projekte, die bestenfalls die Migration in die USA reduzieren – nicht nach Europa. Die Europäer finanzieren damit indirekt die Lösung US-amerikanischer Innenpolitikprobleme.
Ähnlich verhält es sich mit den Investitionen in Afrika. Während China strategisch Infrastruktur aufbaut und sich Rohstoffzugänge sichert, gießt Europa Geld in diffuse Entwicklungsprojekte ohne messbare Erfolgskriterien. Die 1,9 Milliarden Euro für afrikanische Impfstoffproduktion mögen humanitär lobenswert sein – einen wirtschaftlichen oder geopolitischen Vorteil für Europa generieren sie nicht.
Die Kunst des schlechten Verhandelns
Wie konnte es soweit kommen? Die Verhandlungsführung der EU offenbart fundamentale Schwächen. Während Trump mit der Drohung von 30-Prozent-Zöllen pokerte und einen klaren Zeitdruck aufbaute, versuchte von der Leyen mit Charme und Schmeicheleien zu punkten. „Sie sind als harter Verhandler und Dealmaker bekannt“, säuselte sie bei der Pressekonferenz.
Die Europäer hatten zwar Gegenzölle auf 93 Milliarden Euro US-Waren vorbereitet, aber Trump wusste: Europa kann sich einen Handelskrieg noch weniger leisten als die USA. Mit einem Handelsdefizit von 235 Milliarden Dollar gegenüber der EU hatte er alle Trümpfe in der Hand.
Der Preis der Schwäche
Was diese Einigung besonders bitter macht: Sie ist nur der Anfang. Trump hat bereits angekündigt, in zwei Wochen Zölle auf Halbleiter zu verkünden. Die 50-Prozent-Zölle auf Stahl und Aluminium bleiben bestehen. Und die versprochene Reduzierung? Vage Andeutungen ohne Zeitplan.
Die 750 Milliarden US-Dollar für US-amerikanische Energie bedeuten faktisch, dass Europa seine Abhängigkeit von russischem Gas durch eine Abhängigkeit von amerikanischem LNG ersetzt – zu deutlich höheren Preisen. Die 600 Milliarden an zusätzlichen Investitionen werden in den Vereinigten Staaten Arbeitsplätze schaffen, während europäische Standorte unter Druck geraten.
Ein historisches Versagen
Diese Einigung wird in die Geschichte eingehen als der Moment, in dem Europa seine wirtschaftliche Souveränität aufgab. Während die EU 2025 mehr als 350 Milliarden Euro für Verteidigung ausgibt und weitere Hunderte Milliarden in globale Projekte pumpt, lässt sie sich von Trump wie ein Bittsteller behandeln.
Die bittere Ironie: Europa finanziert die Stabilität der Weltordnung, von der primär andere profitieren. Die USA kassieren Zölle, verkaufen überteuerte Energie und Waffen, während Europa zahlt – für die Ukraine, für Afrika, für den Klimaschutz, für die Migration.
Es ist Zeit für eine fundamentale Neuausrichtung. Europa muss aufhören, der Zahlmeister der Welt zu sein. Jede Investition muss an klare, messbare Vorteile für die EU geknüpft werden. Statt diffuser Entwicklungshilfe braucht es strategische Partnerschaften. Statt einseitiger Zugeständnisse an die USA braucht es selbstbewusste Interessenvertretung.
Die Alternative ist düster: Ein Europa, das zahlt und zahlt, aber am Ende mit leeren Händen dasteht – wirtschaftlich geschwächt, politisch marginalisiert, zur Bedeutungslosigkeit verdammt in einer Welt, die von anderen gestaltet wird.