Ein erster Bluttest für Alzheimer wurde kürzlich in der EU zugelassen. Auch für andere Gehirnerkrankungen sind charakteristische Auffälligkeiten im Blut bekannt. Das Ziel, eine Demenz vor dem Ausbruch zu erkennen und zu behandeln, rückt in greifbare Nähe.

Die grosse Hoffnung ist, nicht nur lange zu leben, sondern auch im Alter gesund zu bleiben. Unser Gehirn spielt dabei die zentrale Rolle. Die grosse Hoffnung ist, nicht nur lange zu leben, sondern auch im Alter gesund zu bleiben. Unser Gehirn spielt dabei die zentrale Rolle.

Adrian Baer / NZZ

Wenn Gehirn und Immunsystem jung geblieben sind, also deutlich effizienter sind, als es das Alter im Pass erwarten lässt, dann kann ein Mensch hoffen, noch viele Jahre vor sich zu haben. Das ist die Erkenntnis Nummer eins einer Arbeitsgruppe der Stanford University. Die zweite: Diverse Faktoren im Blut verraten, wie jung das Gehirn oder ein anderes Organ geblieben sind.

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Analysiert wurden Blutproben von mehr als 44 000 Personen im Alter zwischen 40 und 70 Jahren. Die Daten wurden Anfang Juli in der Fachzeitschrift «Nature Medicine» veröffentlicht. Die Autoren haben nach Proteinen gefahndet, die von diversen Organen ins Blut abgegeben wurden und deren Menge sich im Laufe der Jahre verändert.

Immunsystem steuert zusammen mit dem Gehirn das Altern

Das Herz oder das Gehirn von Jüngeren arbeitet etwas anders als jenes von Älteren. Somit bildet ein junges Gehirn von manchen Proteinen mehr, von anderen hingegen weniger. Das ergibt alterstypische Proteinmuster. Diese lassen sich nicht nur in den Zellen des Gehirns messen, sondern auch im Blut.

Wenn sich die für Gehirn und Immunsystem typischen Muster über die Jahre hinweg wenig veränderten, stieg die Lebenserwartung. Die Tatsache, dass nur die Proteinmuster dieser beiden Organe Hinweise für ein langes Leben lieferten, zeige ihre grosse Bedeutung für die Steuerung des Alterns, betonen die Autoren.

Auffälligkeiten im Blut ermöglichten zudem Prognosen für ein ungesundes Altern. So bedeutete ein bestimmtes Proteinmuster ein höheres Risiko für Alzheimer. Eine Person mit einem gealterten Herz wies ein höheres Risiko für Herzrhythmusstörungen sowie Herzversagen auf.

Noch ist allerdings kein Test für Arztpraxen verfügbar, mit dem jemand seine Proteinmuster im Blut messen kann und dann bestätigt bekommt, was er schon immer vermutet hat: dass er Jahre jünger ist, als der Pass sagt. Oder mit dem er das Risiko für alterstypische Erkrankungen von Organen bestimmen kann. Solche Tests müssen nun in klinischen Studien erprobt werden.

Die Anwesenheit wie auch die Abwesenheit zahlreicher Proteine im Blut haben jedoch eine viel weitreichendere Bedeutung, als eine ungefähre Altersbestimmung zu ermöglichen. «In puncto Proteinmuster stehen wir am Beginn einer ganz neuen Ära», sagt Stefan Lichtenthaler vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in München im Gespräch. «Wir sind dem Ziel, Proteinmuster sowohl zur Diagnose als auch zur Prognose von Alzheimer, Parkinson oder anderen Gehirnerkrankungen einzusetzen, nun sehr nahe gekommen.»

Ein wichtiger Meilenstein sind für Lichtenthaler die Mitte Juli in der Fachzeitschrift «Nature Medicine» publizierten Studien des Global Neurodegeneration Proteomics Consortium. Weltweit haben Forscherteams Daten aus zahlreichen kleineren Studien aus Europa und den USA, darunter auch eine aus Tübingen, zusammengeführt und vereinheitlicht. Verglichen wurden jeweils Proteinmuster von Menschen mit und ohne Gehirnerkrankungen. Dutzende unterschiedlicher Proteine ergaben Muster, die jeweils charakteristisch für bestimmte Gehirnerkrankungen sind.

Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson startet der Krankheitsprozess, Jahre oder gar Jahrzehnte bevor die ersten Symptome auftreten. Beispiel Alzheimer: Durch noch unbekannte Auslöser bilden sich im Gehirn kleine Klumpen aus Proteinstückchen. Erst wird die Kommunikation der Nerven untereinander gestört. Später gehen sie zugrunde. All diese Prozesse hinterlassen charakteristische Spuren im Blut.

Kürzlich wurde in der EU der erste Bluttest zugelassen, der eine Alzheimer-Demenz sicher diagnostiziert, wenn der Patient bereits erste Ausfallerscheinungen aufweist, also zum Beispiel Gedächtnisstörungen oder Orientierungsprobleme. Der Bluttest vereinfacht die Diagnose.

Aber was Patientinnen und Patienten noch dringender benötigen, sind Bluttests, die Jahre vor den sichtbaren Symptomen erkennen, dass im Gehirn schädliche Prozesse, sei es Klumpenbildung oder Nervenveränderungen, gestartet wurden. Dann funktioniert das Gehirn meist noch gut, aber die Betroffenen haben ein sehr hohes Risiko für eine Demenz, Parkinson oder eine andere Gehirnerkrankung. «Auch solche Tests zur Früherkennung können nun mithilfe des neuen Datenschatzes entwickelt werden», sagt Lichtenthaler.

Frühe Diagnose kann Krankheitsausbruch verhindern

Eine frühe Diagnose ist vor allem dann sehr wichtig, wenn Therapien zur Verfügung stehen, die frühzeitig angewendet den Ausbruch der Krankheit um Jahre hinauszögern. Das könnte bei Alzheimer bald der Fall sein. Denn es gibt mittlerweile Medikamente, die die erwähnten Klumpen im Gehirn auflösen. Die Hoffnung ist nun, bereits in einem sehr frühen Krankheitsstadium erste Klumpen zu vernichten und somit das Sterben der Nerven weitgehend zu verhindern oder zumindest deutlich zu verlangsamen. Dann bekämen die Patienten hoffentlich nie die gefürchteten Ausfallerscheinungen und Persönlichkeitsveränderungen.

Eines dieser Mittel namens Leqembi ist vor wenigen Wochen in der EU zugelassen worden, ein weiteres erhielt Ende Juli die Zulassungsempfehlung des Expertengremiums. Derzeit erhalten es allerdings nur Patienten, die bereits leichte Demenzsymptome aufweisen. Bei ihnen kann die Substanz immerhin das Fortschreiten der Krankheit etwas verlangsamen. In Studien wird nun ausgetestet, ob eine sehr frühe Einnahme bei symptomlosen Menschen, die wegen ihrer genetischen Ausstattung sicher Alzheimer bekommen werden, die Demenz hinauszögern kann.

Auch zur Überwachung dieser und anderer klinischer Studien mit Medikamenten gegen eine Gehirnerkrankung sind die neuen Proteinmuster sehr wichtig. Denn sie zeigen an, ob eine Therapie wirksam ist.

Welche Faktoren unsere Organe jung erhalten

Ein Patentrezept für gesundes Altern, das haben auch die Stanford-Forscher leider nicht entdeckt. Aber wenn Probanden geraucht haben, Alkohol sowie Produkte aus verarbeitetem Fleisch konsumiert haben oder arm waren, dann waren mehrere ihrer Organe vorzeitig gealtert. Hingegen verschafften viel Sport, der Konsum von fettigem Fisch und Hühnerfleisch ebenso wie eine höhere Bildung den Menschen jüngere Organe.

Dass diese Faktoren vorzeitig altern lassen beziehungsweise davor schützen, das wusste man bereits aus früheren Studien. Und die Erfahrung lehrt, dass jemand, der sämtliche Empfehlungen tapfer berücksichtigt, trotzdem nicht garantiert gesund und munter hundert Jahre alt wird. Denn nicht nur die Umwelt, sondern auch die Genetik spielt eine wichtige Rolle beim Altern.