Sind die Nieren krank, bleibt das oft lange unerkannt. Studien zeigen einen Anstieg der Nierenerkrankungen. Da sich zerstörte Nieren nicht regenerieren, muss man früh eingreifen. Denn funktionieren die Nieren nicht mehr, bleibt oft nur die Dialyse – und die verkürzt die Lebenserwartung erheblich, warnt Nierenexperte Prof. Michael Fischereder.
Einen zu hohen Blutdruck haben viele. Deshalb rechnete Ottmar Leitenberger vor gut zwei Jahrzehnten nicht damit, dass er ernsthaft krank war, erzählt der 79-jährige Münchner. In seinem Beruf als Experte für Informationstechnologie hatte er viel zu tun, und deshalb nahm er die Alarmzeichen für seine Erkrankung nicht so gut wahr. „Ich dachte, das ist einfach der Stress“, erinnert sich der Münchner. Erst als er beruflich kürzertrat, merkte er, dass er sich schlechter fühlte als früher.
Seine Hausärztin wurde stutzig, da sie in einer Urinprobe Eiweiß feststellte – und mahnte, man müsse dem auf den Grund gehen, auch wegen des erhöhten Blutdrucks. „Ich bin dankbar, dass die Hausärztin und dann auch mein Urologe so hartnäckig waren und mich drängten, der Ursache auf den Grund zu gehen“, sagt Ottmar Leitenberger. „Das hat mich gerettet!“ Die Ärzte schickten ihn zum Nierenexperten Prof. Michael Fischereder, und der stellte fest, dass die Nieren des damals 58-Jährigen schlecht arbeiteten, da er an einer Nierenerkrankung litt. „Befindet sich Eiweiß im Urin, ist die Filterleistung der Niere schlecht“, erklärt Prof. Michael Fischereder, der seit 15 Jahren die Nephrologie am LMU-Klinikum leitet. Die Nierenerkrankung von Ottmar Leitenberger entdeckte er in der Nephrologischen Ambulanz im LMU-Klinikum in der Innenstadt. Sein Patient litt an IgA-Nephritis, auch Morbus Berger genannt. Das ist eine Autoimmunerkrankung, bei dem das Immunsystem fälschlicherweise die Nieren angreift und dort eine Entzündung auslöst.
Prof. Fischereder behandelte Ottmar Leitenberger damals mit Cortison, um die Entzündung zu hemmen. Heute gibt es viel gezielter wirkende und weniger belastende Medikamente bei Nierenerkrankungen, erklärt Prof. Fischereder. „Durch das Stoppen der Entzündung verhinderten wir, dass die Nieren des Patienten noch mehr Schaden nehmen konnten, und ersparten ihm so, dass er sein Blut künstlich reinigen lassen muss, also per Dialyse“, erklärt der Nierenexperte. Prof. Fischereder betont: „Die Dialyse kostet jeden Patienten in jedem Alter zwei Drittel seiner Lebenserwartung – je jünger, desto mehr Jahre.“
Übrigens: Die Dialyse ist noch relativ neu, am LMU-Klinikum gab es sie erst ab 1960. Und sie ist wertvoll für Menschen, deren Nieren unumkehrbar geschädigt sind. Erkennt man die Nierenerkrankung früh, so wie bei Ottmar Leitenberger, kann ein fortschreitender und unumkehrbarer Nierenschaden verhindert werden.
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Immer mehr Menschen entwickeln eine fortschreitende Nierenfunktionsstörung. Doch bleibt Niereninsuffizienz, also Nierenschwäche, oft lange unbemerkt. Denn die Niere arbeitet im Stillen, warnt Prof. Michael Fischereder, Leiter der Nephrologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität.
In Deutschland leiden laut Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (BIFG) mehr als 3,4 Millionen Menschen unter einer chronischen Nierenerkrankung, zwei Millionen von ihnen sind älter als 70 Jahre. Kann die Niere nicht gerettet werden, sind sie schließlich auf eine Dialyse (künstliche Blutwäsche oder Bauchfelldialyse) oder eine Nierentransplantation angewiesen.
Pro Minute ließt mehr als einen Liter Blut durch die Nieren, die Harnstoff und Harnsäure herausfiltern. © Panthermedia stock-image-403130036-XL.jpgDie Aufgaben der Niere
Die Nieren reinigen das Blut, regulieren den Blutdruck, den Salz- und Wasserhaushalt und produzieren wichtige Hormone. Anzeichen, dass sie nicht mehr ausreichend funktionieren, zeigen sich oft erst spät. Im schlimmsten Fall droht die Dialyse, und die reduziert die Lebenserwartung gewaltig, warnt Prof. Michael Fischereder. Die Niere ist zuständig für das Gleichgewicht gelöster Substanzen im Blut, in der Fachsprache nennt man das Homöostase. Sie hat viele Funktionen, unter anderem stabilisiert sie den Blutdruck, den Wasserhaushalt, den pH-Wert des Blutes und zum Teil auch den Hormonhaushalt.
Die Diagnose
„Eine wichtige Möglichkeit, frühzeitig Störungen zu sehen, ist ein Urintest“, betont Prof. Fischereder. Denn die Niere ist ein komplexes Filtersystem, das leck werden kann – durch eine Erkrankung, aber auch durch ein Übermaß an Salz, Zucker, Nikotin oder zu hohen Blutdruck. „Wenn die Niere nicht mehr ausreichend funktioniert, gelangt Eiweiß in den Urin“, erklärt der Nierenexperte. Er rät deshalb jedem, im Rahmen des allgemeinen Gesundheitschecks beim Hausarzt auch den Urin untersuchen zu lassen. Und nicht nur das: „Ich persönlich würde sogar jedes Jahr eine Urinprobe checken lassen, das Geld ist auf alle Fälle gut investiert.“ Eiweiß im Urin ist ein Alarmsignal, dass die Niere in ihrer Funktion gestört ist, erklärt Prof. Fischer㈠eder.
Ein Warnsignal ist es, wenn der Urin schäumt oder blutig ist. „An der Urinfarbe kann man eine Nierenfunktionsstörung aber nicht gut erkennen, denn sie variiert, unter anderem wegen der Trinkmenge“, sagt Prof. Fischer㈠eder.
Im Blut kann man erst spät sehen, wenn die Nieren nicht ausreichend arbeiten, sagt Prof. Fischereder. Ist dies der Fall, kann der Blutharnstoffwert erhöht sein – ebenso der Kreatininwert. Je mehr Harnstoff und Kreatinin im Blut nachgewiesen werden, desto schwächer ist die Filterfunktion der Nieren. Der Kreatinin-Normalwert liegt bei 0,8-1,2 Milligramm pro 100 Milliliter (ml) Blut, die normale Harnstoffkonzentration im Blut zwischen 20 und 45 Milligramm pro 100 ml. Aber Achtung: Der Kreatinin-Wert steigt erst, wenn die Nierenfunktion bereits um mehr als 50 Prozent eingeschränkt ist. Insbesondere bei älteren Menschen kann sich ein zu hoher Kreatininwert innerhalb weniger Monate so verschlechtern, dass Dialyse notwendig wird. Deshalb ruft Nierenexperte Prof. Fischereder eindringlich dazu auf, die Nierengesundheit genauso ernst zu nehmen wie die des Herzens.
Der wichtigste Blutwert, um zu sehen, wie gut die Niere arbeitet, ist die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Sie zeigt die Menge an Blutplasma, die von den Nierenkörperchen vom Blut gefiltert wird. Im Laborbefund findet man diese als eGFR: Das ist eine Schätzung der Filtrationsmenge, die anhand bestimmter Kriterien wie dem Gehalt der Serumkreatinins, dem Alter und dem Geschlecht, berechnet wird.
Alarmsignale wie hoher Blutdruck, stechende Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Wasseransammlungen in den Beinen, Nierenschmerzen und Konzentrationsstörungen können auch auf eine gestörte Nierenfunktion hinweisen – aber auch auf diverse andere Gesundheitsprobleme. Zudem stellt Prof. Fischereder klar: Zeigen sich körperliche Symptome, dann ist die Niere bereits sehr geschädigt.
Das schädigt die Niere
„Niere und Herz hängen eng zusammen, deshalb ist auch für die Niere die Gesundheit der Gefäße entscheidend“, sagt Prof. Fischereder. Arteriosklerose, Bluthochdruck und Diabetes schädigen nicht nur die Herzkranzgefäße, sondern auch die sehr feinen Gefäße der Nieren.
Auch Übergewicht setzt den Gefäßen in der Niere zu, unter anderem wegen der stillen Entzündungen, die Fettgewebe im Bauchraum oft verursacht. Die mit Übergewicht verbundene Steigerung der Filtrationsleistung führt zudem mittelfristig oft zu einer Überlastung der Nieren. Außerdem wird mit zunehmendem Alter beobachtet, dass die Nierenfunktion abnimmt.
Rauchen gefährdet die Niere, ebenso kann die Niere schädigen, wer über längere Zeit Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac einnimmt – Paracetamol und Novalgin dagegen schädigt die Niere nicht.
Weiterhin gibt es unzählige Erkrankungen, die die Niere schädigen können, manche sind genetisch verursacht. Auch Autoimmunerkrankungen können die Niere angreifen oder zumindest in Mitleidenschaft ziehen.
Vorbeugung und Therapie
Ist die Niere bereits schwer geschädigt, lässt sich das meist nicht mehr rückgängig machen. Umso wichtiger ist eine frühe Diagnose, betont Prof. Fischereder. Denn mit neuen Medikamenten lässt sich ein Nierenschaden oft bremsen.
Um eine Erkrankung hinauszuzögern, rät der Experte zudem zu viel Bewegung und einer nierengesunden Ernährung mit vielen Ballaststoffen und wenig Fett. Meiden sollten die Betroffenen insbesondere verarbeitete und stark salzhaltige Speisen und phosphatreiche Lebensmittel wie Schmelzkäse, Kondensmilch und Fertiggerichte.
Liegt die Funktion der Niere bei unter zehn Prozent, dann hilft nur noch eine Dialyse oder die Transplantation einer Niere. Prof. Fischereder betont: „Die Dialyse kostet jeden Patienten in jedem Alter zwei Drittel seiner Lebenserwartung – je jünger, desto mehr Jahre.“ Spendernieren sind selten.
In Deutschland ist zudem die Lebendnierenspende derzeit erlaubt zwischen Familienangehörigen und Personen, die in besonderer persönlicher Verbundenheit stehen (Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder enge Freunde). Hier ist eine Gesetzesänderung geplant, die den Personenkreis weiter fassen soll. Die Lebendnierenspende ist möglich, da Menschen mit nur einer Niere auskommen können. Voraussetzung ist aber, dass der Spender eine exzellente Gesundheit aufweist. Es ist sogar eine Transplantation möglich, wenn der Spender zunächst hinsichtlich Gewebe und Blutgruppe nicht zum Empfänger passt, wenn dieser medizinisch auf die Spende vorbereitet wird.
Prof. Michael Fischereder, Nieren-Experte, Klinikum Großhadern Nephrologie © Marcus Schlaf