Leipzig. Alles Waschen hilft nicht, die Sommersprossen bleiben. Streuselnase-Erdbeerkopf, so nennen die anderen Kinder das Mädchen, muss lernen, sich mit dem vermeintlichen Makel anzufreunden.

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„Streuselnase-Erdbeerkopf“, so heißt auch das Kinderbuch, das jüngst im Berliner Schaltzeit-Verlag erschienen ist. Eines dieser Mutmach-Bilderbücher mit klarer Botschaft, nett gezeichnet – und völlig harmlos. Dass es international ein Echo findet, liegt an der Prominenz der Autorin. Oscar-Gewinnerin Julianne Moore hat das halb-autobiografische Buch unter dem Titel „Freckleface Strawberry“ 2007 im Original veröffentlicht, illustriert von LeUyen Pham. Vor allem aber: Jetzt steht es auf der Liste der aus den Regalen verbannten Bücher in den USA. Im Februar strichen die dem US-Verteidigungsministerium unterstellten Schulen das Buch und fast 600 weitere Titel aus ihren Bibliotheken.

„Book bannings“ nehmen drastisch zu

Sogenannte „book bannings“ sind nicht neu, nehmen aber drastisch zu. Donald Trump hat in seiner zweiten Amtszeit die Entwicklung weiter angeheizt. Sein Dekret wendet sich unter anderem gegen eine, wie es heißt, radikale Indoktrinierung an Schulen. Vor allem Bücher, die Rassismus oder LGTBQ-Lebenswelten thematisieren, sind betroffen.

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Da aus Sicht republikanischer Meinungsführer in den USA keine strukturelle Ungleichheit existiert, gelten in der Logik der Konservative alle Versuche der Gleichstellung oder Minderheiten-Förderung als diskriminierend gegenüber anderen. Für die Pentagon-Schulen gilt zudem ein zusätzlicher Exekutiv-Erlass, der sich gegen „unamerikanische“ Ideen wendet.

Vorauseilender Gehorsam

Eine klare Definition, was unter „radikale Indoktrinierung“ oder „unamerikanisch“ fallen könnte, existiert nicht. Die Unsicherheit ist groß, oft wird in vorauseilendem Gehorsam verfahren. Begründungen fehlen häufig, nicht nur, wenn es um Bücher geht.

Der US-Autorenverband PEN America machte in der vergangenen Woche den Fall der Lehrerin Melissa Tempel öffentlich, die an einer Grundschule in Wisconsin mit ihren Schülern den Song „Reinbowland“ von Miley Cyrus und Dolly Parton aufführen wollte. Dass sie das Aufführungsverbot öffentlich machte, kostete sie ihren Job.

2024 gab es in den USA 2452 Anträge auf Zensur

Der Versuch, Bücher aus den Institutionen zu verbannen, ist zu einem täglichen Mittel des amerikanischen Kulturkampfes geworden. Internet-Seiten geben Anleitungen, wie Aktivisten Zensur fordern können. Seit 2021 verzeichnet der Bibliothekenverband American Library Association (ALA) einen rasanten Anstieg solcher Anträge. Im vergangenen Jahr dokumentierte die Organisation Versuche, 2452 Titel zu entfernen, was den Durchschnitt von 273 Titeln in den Jahren von 2001 bis 2020 deutlich übersteigt.

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Die meisten Anträge werden nicht, wie mitunter behauptet, von besorgten Eltern gestellt. Auch das hat die ALA genau unter die Lupe genommen. Die Mehrzahl der Zensurversuche an Schulen und öffentlichen Bibliotheken stamme von organisierten Bewegungen und Regierungsstellen.

Julianne Moore fühlt sich vor den Kopf gestoßen

Moore, bekannt für ihr Engagement für Minderheiten, reagierte inzwischen auf Instagram. „Ich hätte nie gedacht, ich würde das in einem Land erleben, in dem die Redefreiheit in der Verfassung festgeschrieben ist.“ Sie sei besonders vor den Kopf gestoßen, da sie als Tochter eines US-Soldaten selbst in Frankfurt an einer dem Verteidigungsministerium unterstellten Schule ihren Abschluss gemacht habe. „Was ist so kontrovers an diesem Bilderbuch, dass es durch die US-Regierung verbannt wird?“

Das fragen sich derzeit viele. Laut Schaltzeit-Verlag ist „Streuselnase-Erdbeerkopf“ eine Geschichte „für die Wertschätzung der eigenen Besonderheiten und der Entwicklung einer selbstbewussten Haltung. Vermutlich war das den Zensor*innen ein Dorn im Auge …“

Vor allem Kinder- und Jugendbücher unter Beschuss

Der Verlag verweist darauf, dass vor allem Kinder- und Jugendbücher unter Beschuss rechtskonservativer Kulturkämpfer stehen. Dabei führt in den letzten Jahren die Graphic Novel „Genderqueer“ von Maia Kobabe, auf Deutsch bei Reprodukt erschienen, die Liste der am häufigsten aus Schulen und Bibliotheken gestrichenen Bücher an. „Genderqueer“ erzählt biografisch von der Suche nach einer Rolle zwischen den Geschlechtern.

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Doch nicht nur Kinder- und Jugendbücher stehen auf den Verbotslisten. Es finden sich auch „Sehr blaue Augen“ von Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison darunter und mehrere Werke von Bestseller-Autorin Ellen Hopkins.

LVZ