Die beste Nachricht ist vielleicht die, dass ein Handelskrieg zwischen der EU und den USA erstmal abgewendet worden ist. Ansonsten fällt es Wirtschaftsexperten, Politikerinnen und Unternehmensführungen eher schwer, der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump geschlossenen Handelsvereinbarung Positives abzugewinnen.

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Mit der Einigung akzeptierte Brüssel einen amerikanischen Aufschlag auf die meisten europäischen Produkte von 15 Prozent, in den Jahren zuvor lagen dieser meist im niedrigen einstelligen Bereich. Die Autoindustrie kann theoretisch ein bisschen aufatmen, denn sie musste zuletzt mit Zöllen von rund 27 Prozent klarkommen.

Und was heißt das jetzt für die Unternehmen? Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) kritisiert die Einigung massiv als „fatales Signal“. Die Industrie- und Handelskammer ist zumindest erleichtert über eine „dringend benötigte Atempause“.

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In unserer Rubrik „3 auf 1“ haben wir drei Experten gefragt, wie die deutsche Wirtschaft jetzt reagieren sollte. Lesen Sie hier die Antworten von Clemens Fuest vom Ifo-Institut, Ulrike Malmendier vom Sachverständigenrat für Wirtschaft und Samina Sultan vom Institut der deutschen Wirtschaft:

Wer seine Bevölkerung nicht verteidigen kann, hat wenig Verhandlungsmacht

Clemens Fuest ist Präsident des ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er sagt: Das Versprechen, dass die EU die gemeinsamen Interessen der Mitgliedsstaaten wirkungsvoll vertreten kann, erweist sich als Illusion.

Politisch und geoökonomisch ist dieser asymmetrische Deal eine Demütigung für die EU. Sogar Großbritannien hat einen besseren Deal erhalten. Dabei hat vermutlich eine Rolle gespielt, dass Trump die EU schlecht aussehen lassen wollte. Aber diese Demütigung reflektiert nur die Machtverhältnisse, wie sie sind. Wer seine eigene Bevölkerung nicht verteidigen kann und auf den Schutz der USA angewiesen ist, hat wenig Verhandlungsmacht.

Das Versprechen, dass die EU die gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten wirkungsvoll vertreten kann, erweist sich als Illusion. Die Verantwortung dafür liegt aber mehr bei den Mitgliedsstaaten, die ja für die Sicherheitspolitik verantwortlich sind. Allerdings hat die EU in den letzten Jahren durch ihre überbordende Bürokratie die Wirtschaftskraft der europäischen Volkswirtschaften geschwächt.

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Die EU-Staaten sollten daran arbeiten, ihre militärischen Fähigkeiten erheblich auszuweiten und die EU muss die Über- und Fehlregulierung abbauen. Unternehmen wiederum sollten flexibel bleiben, weil auch dieser Deal nicht von Dauer sein muss. Sie sollten außerdem verstärkt Märkte außerhalb der USA erschließen.

Unternehmen brauchen neue Absatzmärkte

Ulrike Malmendier ist Professorin für Wirtschafts- und Finanzwissenschaften an der University of California in Berkeley und Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. Sie sagt: Jetzt ist der Moment, in dem wir den europäischen Binnenmarkt endlich deutlich stärken sollten.

Zwar sind die angedrohten Zölle in Höhe von 30 Prozent vorerst vom Tisch, aber der vereinbarte Zollsatz von 15 Prozent ist mehr, als unter guten Handelspartnern akzeptabel sein sollte. Vor allem für die deutschen, exportorientierten Industrien ist dieser eine enorme Belastung.

Auch schafft die Vereinbarung nicht unbedingt die gewünschte Planungssicherheit für die Unternehmen: Die USA könnten ihre Meinung wieder ändern, falls die Zölle ihr Handelsdefizit nicht ausreichend verringern oder die Zolleinnahmen zu gering ausfallen. Und wirtschaftspolitische Unsicherheit ist Gift für Investitionen und Wirtschaftswachstum.

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Unternehmen sollten jetzt versuchen, sich neue Absatzmärkte zu erschließen und bestehende, vor allem europäische Absatzmärkte zu stärken. Hierbei kommt einer geeinten europäischen Wirtschaftspolitik, die Hürden abbaut, den Binnenmarkt stärkt, also nationale Handelshemmnisse wie die Bürokratie lokaler Genehmigungsbehörden oder mehrfache Berichtspflichten abbaut, und die Kapitalmarktunion vollendet, eine zentrale Rolle zu.

Gleichzeitig sollte Europa weitere Handelsabkommen vorantreiben und so zur führenden Kraft im Verbund offener Volkswirtschaften werden. Jetzt ist der Moment, in dem wir den europäischen Binnenmarkt endlich deutlich stärken sollten.

Längerfristige Entscheidungen bleiben erstmal schwierig

Samina Sultan Senior Economist für europäische Wirtschaftspolitik und Außenhandel am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Sie sagt: Diversifizierung, um Abhängigkeiten zu reduzieren, und die Suche nach neuen Handelspartnern müssen Priorität haben.

Die deutsche Wirtschaft wird unter der Einigung mit den USA leiden. Bereits in den ersten fünf Monaten 2025 ging der deutsche US-Export leicht zurück. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Somit ist der Deal nur angesichts der real- und sicherheitspolitischen Machtverhältnisse hinnehmbar – ein Erfolg sieht anders aus.

Bis alle Details des Deals rechtlich verbindlich geregelt sind, bleiben längerfristige unternehmerische Entscheidungen schwierig. Die Reaktion hängt zudem stark von der jeweiligen Branche ab, wegen Unterschieden bei der US-Abhängigkeit und teils auch den Zollsätzen. Auf Unternehmensebene stellt sich die Frage, inwieweit die Zollkosten auf die US-Käufer abgewälzt werden können. Studien zu Trumps erster Amtszeit machen Hoffnung, dass dies weitestgehend gelingen kann, und die von ihm gefeierten höheren US-Zolleinnahmen vor allem aus den Taschen der US-Wirtschaft stammen dürften.

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Die Diversifizierung voranzutreiben, um Abhängigkeiten zu reduzieren, wird nun noch wichtiger. Die Suche nach neuen Handelspartnern muss somit eine Priorität für die deutsche Wirtschaft sein. Zudem muss mehr für die Steigerung der eigenen Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit getan werden.