Zum 34. Mal steigt diese Woche das Wacken Open Air. Es gilt als das weltweit bekannteste Metal-Festival – und als Symbol für einen Wandel hin zum Mainstream. Die Frage wird lauter: Wie viel Metal-Kultur steckt noch in Wacken?
Von Samira Straub, SWR Kultur
Mehr als 85.000 Menschen pilgern diese Woche wieder ins schleswig-holsteinische Dorf Wacken. Zum 34. Mal wird die berühmteste Kuhwiese der Welt zur Heavy-Metal-Hauptstadt. Zusammen mit dem ikonischen Bullenkopf-Logo steht der Name Wacken längst nicht mehr nur für Musik, sondern für eine international sichtbare Marke. Was 1990 als improvisiertes Projekt zweier Metalheads auf einem Acker begann, ist heute ein hochprofessionalisierter Festival-Betrieb.
Seit 2024 hält der Hamburger Investor Superstruct Entertainment die Mehrheitsanteile am Festival. Superstruct, ein Unternehmen im Besitz der US-Investmentfirma Providence Equity Partners, ist bereits an über 80 Festivals weltweit beteiligt – darunter auch das Sziget Festival in Budapest oder das Parookaville in Weeze. Das Wacken Open Air ist somit Teil einer internationalen Festival-Holding, die sich auf das Metalfestival auswirkt. Für viele in der Szene ist das keine gute Entwicklung.
„Das Rebellische war immer eher symbolischer Natur“
„Ballermann in Schwarz“ – so nennen kritische Stimmen, auch aus den eigenen Reihen, das Festival mittlerweile: Zu viel Show, zu viele Kameras, zu viele Fans, die eher für Instagram als für die Musik kommen. Tatsächlich gleicht Wacken heute einem Erlebnispark mit Metal-Yoga, Feuershows und Endzeit-Dekor. Der einst spontane Ausnahmezustand ist zum durchgetakteten Erlebnisprodukt geworden.
„In unseren Breitengraden ist Heavy Metal längst keine Subkultur mehr. Er ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt der Kulturwissenschaftler und Metal-Experte Jörg Scheller, der an der Zürcher Hochschule der Künste lehrt. „Das Rebellische war immer eher symbolischer Natur und lebte von der Reibung mit einer wertkonservativen Mehrheitsgesellschaft. Die gibt es so nicht mehr.“
Dass sich Wacken zunehmend an kommerziellen Erlebnisformaten orientiert, sei aus seiner Sicht keine Entgleisung, sondern eine konsequente Entwicklung. Was für viele Fans wie ein Ausverkauf wirkt, ist oft auch ökonomische Notwendigkeit: Die wirtschaftlichen Realitäten im Festivalbetrieb sind hart, selbst etablierte Festivals kämpfen ums Überleben. Das saarländische Rocco del Schlacko etwa kündigte für 2025 seine letzte Ausgabe an.
Debatte über Authentizität
Wacken hingegen profitiert vom Markenkern: Der Name ist längst Chiffre für ein Lebensgefühl, aber eben auch zur lukrativen Ware geworden. Das zieht nicht nur Hardcore-Fans, sondern auch Event-Publikum an. Die Diskussion darüber, wie authentisch Metal im Festivalkontext sein kann, ist zwar nicht neu – aber sie wird lauter.
„True vs. False Metal“ ist in der Szene zu einem geflügelten Ausdruck für Authentizitätsfragen geworden. Darunter verhandeln sogenannte Metalheads seit Jahren die Frage nach der Deutungshoheit: Wer entscheidet eigentlich, was „echter“ Metal ist? „Das Echte liegt nicht in der Ästhetik eines bestimmten Subgenres“, betont Scheller, „sondern in der Ernsthaftigkeit, mit der innerhalb der Szene darüber gestritten wird.“
Der Begriff Heavy Metal selbst erinnert Scheller, stamme ursprünglich nicht aus der Szene, sondern wurde von der britischen Musikpresse etabliert. Ein weiteres Indiz dafür, dass kulturelle Identität nicht allein auf Authentizität beruht, sondern immer auch ein Produkt von Zuschreibung, Kontext und Wandel ist.
Erst Skandal, dann staatliche Förderung
Von der romantisierten Vorstellung, Metal müsse unverfälscht sein, sollte man sich derweil vielleicht lösen: Schon in den 1970er-Jahren hatte eine Band wie Judas Priest kein Problem damit, sich zu vermarkten. Laut Scheller zeigt sich vor allem an Klassikern wie Iron Maiden oder Metallica, dass Heavy Metal schon immer stark von Imagepflege und Markenbildung geformt wurde – lange bevor das Wacken-Logo auf Kühltaschen und Babybodys prangte.
In Norwegen war Black Metal in den 1990er-Jahren noch ein Skandal, heute wird er staatlich gefördert. Die Entwicklung des Metal sei da keine Ausnahme, sondern ein typischer Vorgang innerhalb liberaler Popkultur. Ausgerechnet die Eventisierung großer Festivals wie Wacken könne dabei sogar eine Avantgarde befeuern: „Wacken darf ruhig zum Mega-Volksfest werden“, sagt Scheller.
Szene im Wandel
„Gerade das schafft Raum für neue Formen der Gegenkultur.“ Manche der kritischen Fans weichen mittlerweile auf kleinere, unabhängige Festivals aus – mit dem Argument, dort sei der Geist der Szene noch spürbar. Was also passiert mit einer Subkultur, wenn sie zum Mainstream wird? Sie verändert sich, gleichzeitig bleibt sie in Bewegung: „Die Rebellen von heute sind die Arrivierten von morgen“, hält Scheller fest.
Wacken steht dabei exemplarisch für die Widersprüche der Kulturindustrie zwischen Inszenierung und Identität, Kommerz und Community. Doch statt eines Abgesangs auf den Ausverkauf von Subkultur zu sein, zeigt sich ein anderer Befund: Subkultur überlebt – nicht trotz, sondern wegen ihrer Wandlungsfähigkeit.
„Metalheads sind heute ganz normale Menschen, die zur Arbeit gehen und Kinder großziehen“, sagt Kulturwissenschaftler Scheller. Dass sie sich in Wacken oder anderswo inszenieren, mache ihre Leidenschaft nicht weniger ernsthaft – im Gegenteil.