Neuerdings kommen China-Experten ungewohnt häufig zu Wort. Bis hinein ins Sommerloch melden sie: China ist so stark geworden und hängt uns ab, sogar in Domänen, die wir gewohnt sind, als unsere Besitzstände zu betrachten! Nach Windrädern, Photovoltaik und Schnellzügen folgt nun die Autobranche. Bei „KI“ ist Europa längst abgemeldet. 
    
Glasklar steht es nun vor frisch geriebenen Augen: China spielt die Rolle Deutschlands im 19. Jahrhundert. „Made in Germany“ galt zuerst ebenso als Mahnung wie bis vor kurzem „Made in China“. Von der minderwertigen Werkbank über solide Industrieproduktion bis zum Impulsgeber: das schafften Teile Chinas innerhalb von zwei Generationen. Die FAZ, sonst kein Kronzeuge für China-Lob, wünscht sich plötzlich, Europa möge die neuen chinesischen Verhältnisse annehmen: „Der alte Kontinent ist mental noch nicht in der Rolle des Juniorpartners angekommen.“

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Wo aber waren solche Stimmen, als dieser Rat noch etwas hätte ausrichten können? Hätten die Entscheider aus Industrie und Politik darauf gehört? Wie war das, vor dreißig Jahren? Ironischerweise war dies die Zeit von Ansätzen einer „Zukunftsforschung“, die allerlei Prognosen, Szenarien und Modellierungen für eine gerechte, gesunde und friedliche Welt aus dem Hut zauberte. Eben damals hat sich Deutschland vom Interesse an der eigenen Fähigkeit verabschiedet in solides Weltwissen zu investieren. 2013 meinte die in Berlin erscheinende Tageszeitung taz mit Blick auf das Strohfeuer der Zukunftsforschung: „Ein Grund für den Zukunfts-Blackout ist, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bevorstehenden (‚Zukünften‘) zumindest in Deutschland keine akademische Fundierung gefunden hat.“

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