Bis zu tausendfach höhere Metastasenlast
Dieser Spur sind die Forschenden nun weiter nachgegangen. Für ihre Studie überprüften sie den Zusammenhang von Vireninfektionen und Krebsmetastasen zunächst bei Mäusen mit Brustkrebs und bereits in die Lunge gestreuten, aber ruhenden Krebszellen. Das Team infizierte diese Tiere und eine Vergleichsgruppe nicht krebskranker Mäuse mit Influenzaviren oder SARS-CoV-2.
Es zeigte sich: Schon wenige Tage nach Infektion hatten sich die Krebszellen in den Lungen der Mäuse drastisch vermehrt. „Auffallend war, dass die Metastasenlast zwischen dem dritten und 15. Tag um das 100 bis 1.000-Fache zunahm“, berichten Chia und sein Team. Ein Biomarker in den Krebszellen bestätigte, dass es sich um Abkömmlinge der schon zuvor bestehenden, aber nun wiedererwachten gestreuten Krebszellen handelte.
Diese Fluoreszenzaufnahme zeigt Krebszellen im Lungengewebe von Mäusen. Die pink markierten Krebszellen sind nach der Virusinfektion wiedererwacht und vermehren sich aktiv.© peterschreiber.media/ iStock
„Wie eine wiederaufflammende Glut“
Dieses Ergebnis zeigt, dass virale Atemwegsinfektionen wie Grippe oder Covis-19 die gestreuten Krebszellen in der Lunge reaktivieren und dadurch die Metastasenbildung fördern können. Seniorautor James DeGregori von der University of Colorado vergleicht diesen Effekt mit dem Wiederaufflammen eines Feuers: „Die ruhenden Krebszellen sind wie die Glut eines verlassenen Lagerfeuers und die Atemwegsviren wie ein starker Wind, der die Flammen neu entfacht“, erklärt der Forscher.
Nähere Analysen verrieten auch, wie die viralen Infektionen die Krebszellen aufwecken. Demnach setzen die infizierten Lungenzellen große Mengen des Entzündungsbotenstoffs Interleukin-6 frei. Dieser Botenstoff löst in den ruhenden Krebszellen eine Reaktionskaskade aus, die sie reaktiviert, wie Chia und seine Kollegen herausfanden. Allerdings erklärt dies noch nicht, warum sich die wiedererwachten Krebszellen auch noch Monate nach abgeklungener Infektion besonders schnell vermehrten. „Das spricht für die Präsenz weiterer Faktoren“, so die Forschenden.
Tatsächlich stellten sie fest, dass auch „umprogrammierte“ Immunzellen das Metastasenwachstum begünstigen: T-Helferzellen (CD4+) hemmen die T-Killerzellen und verhindern so, dass sie die Krebszellen erkennen und abtöten.
Auch beim Menschen?
Doch sind diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar? Um dies zu überprüfen, haben Chia und seine Kollegen epidemiologische Daten aus dem Jahr 2020 ausgewertet – der ersten Phase der Corona-Pandemie. Sie analysierten die Mortalität von gut 35.000 Brustkrebs-Patientinnen in den USA und gut 4.800 Krebspatienten in Großbritannien während dieser Zeit.
Das Ergebnis: „Wir haben eine fast zweifach erhöhte Sterblichkeit bei den Krebspatienten festgestellt, die in dieser Zeit positiv auf Corona getestet worden waren, im Vergleich zu nicht infizierten Patienten“, berichten die Forschenden. Ähnliches zeigte sich bei den Brustkrebspatientinnen in den USA: Sie entwickelten nach einer Coronainfektion 50 Prozent häufiger Lungenmetastasen als ohne.
Möglicher Ansatz für Vorbeugung und Therapien
Nach Ansicht von Chia und seinem Team bestätigen diese epidemiologischen Daten den Zusammenhang von viralen Atemwegsinfektionen und dem Wiedererwachen von ruhenden Krebszellen in der Lunge. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebsüberlebende nach Atemwegsinfektionen ein erhöhtes Risiko für das Wiederauftreten von Metastasen haben könnten“, sagt Koautor Roel Vermeulen von der Universität Utrecht.
Die Resultate liefern damit neue Einblicke in die Verbindung zwischen Infektionen und Krebsmetastasen. Sie könnten aber auch dazu beitragen, diese Verbindung zu kappen: „Der Fund von Interleukin-6 als Schlüsselfaktor für das Erwachen ruhender Krebszellen legt nahe, dass der Einsatz von IL-6-Hemmern oder anderen Immuntherapien die Metastasierung nach einer Virusinfektion verhindern oder abschwächen könnte“, sagt Aguirre-Ghiso. Ob das so ist, müssen nun Folgestudien zeigen. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-025-09332-0)
Quelle: University of Colorado Anschutz Medical Campus
31. Juli 2025
– Nadja Podbregar