Der Gemeinderat der Landeshauptstadt hat sich am Donnerstag in die Sommerpause verabschiedet. Erholung tut gut und ist nötig, denn vom 28. September an müssen sich die 60 Bürgervertreter mit dem Doppelhaushalt 2026/2027 befassen. Dann bringt OB Frank Nopper (CDU) seine Vorstellungen in den Rat ein. Wegen der schlechten Wirtschaftslage muss erstmals seit 15 Jahren gespart werden, und zwar nicht ein wenig, sondern massiv. Denn Stuttgart gibt aktuell jeden Tag rund 2,5 Millionen Euro mehr aus, als die Stadt einnimmt. Einen derartigen Abfluss an Geld verzeichnet wohl sonst keine Kommune in Baden-Württemberg.

Verlust könnte Milliardengrenze erreichen

894 Millionen Euro soll der Verlust in diesem Jahr im Ergebnishaushalt, der das laufende Geschäft abbildet, erreichen. Vielleicht wird sogar die Milliardengrenze gerissen. In jedem Fall schmelzen die Rücklagen Stuttgarts wie Eiswürfel in der Sahara. Ende 2024 hatte die Stadt 2,7 Milliarden Euro aus besseren Zeiten angelegt, 594 Millionen an eigene Betriebe ausgeliehen (die man in den Etat zurückholen könnte, allerdings erhält man dann keine Zinsen mehr) und 256 Millionen liquide Mittel in der Kasse. Dieses Polster war aber nie dafür gedacht, das laufende Geschäft zu finanzieren, sondern eine lange Liste bereits beschlossener Investitionen abzuarbeiten.

Gravierende Budgetkürzung

Die Verwaltung mit Nopper und Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann wird dem Rat Ende September ihre lange erwarteten Prioritäten vorlegen. Die Liste dieser neuen Vorhaben soll, das bestätigt die Stadt auf Anfrage unserer Zeitung, gedeckelt werden, und zwar auf 350 Millionen Euro pro Jahr. Das Budget könnte auch geringer werden. Betrachtet man das Investitionsvolumen seit 2020, dann handelt es sich um eine jährlich Kürzung von 50 Prozent, gegenüber dem aktuellen Doppelhaushalt beträgt das Minus sogar 60 Prozent.

350 Millionen Euro sind zwar eine stolze Summe, sie bedeutet aber Verzicht. Zur Einordnung: Der Neubau des im Mai eröffneten Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums in Bad Cannstatt kostete samt Sporthalle rund 64 Millionen Euro, Sanierung und Neubau des Geschwister-Scholl-Gymnasiums (in Sillenbuch, 2023 beschlossen) ist mit 140 Millionen Euro angesetzt, die Erweiterung des Schulstandorts Stammheim (2023 beschlossen) mit 67,5 Millionen. Das sind nur ein paar Projekte aus dem Referat Jugend und Bildung von Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) – nur einem von sieben geldhungrigen Referaten. Dazu kommen stadteigene Gesellschaften, die wie der Wohnungsbauer SWSG am Haushaltstropf hängen. Um überhaupt bauen zu können, erhielt die SWSG zuletzt 200 Millionen zur Kapitalerhöhung; die Stadtwerke bekamen für die Klimawende 200 Millionen Euro frisches Kapital.

Milliarden an neuen Krediten geplant

Zu der starken Kürzung von Investitionen, die sich auf das Bauhandwerk und Dienstleister auswirken werden, kommen Kürzungen im Ergebnishaushalt. Um Investitionen nicht allein über Kredite zu bewerkstelligen, muss das laufende Geschäft Überschüsse bringen. Sie sind für Investitionen zwingend. Fuhrmann hat als untere Marke 200 Millionen Euro gesetzt. Diese sollen spätestens 2030 erreicht werden. Aktuell befinde sich die Stadt „in einer ernsten finanziellen Lage mit ungewissem Ausgang“, heißt es im Papier „Nachhaltig handeln – Stuttgart gestalten, Haushaltsstrategie 2030+“, welches der Rat am Donnerstag verabschiedete. Darin finden sich Durchhalteparolen: „Wir begegnen dem Defizit entschlossen: durch Effizienz, klare Prioritäten und strukturelle Reformen“ heißt es, und man investiere „gezielt in die Zukunft“. Am Ende steht eine Binse: Es könne „nur das ausgegeben werden, das auch zugewiesen oder gegenfinanziert wurde“. Die mittelfristige Haushaltsplanung sieht für Neuinvestitionen dennoch bisher mehrere Milliarden an neuen Krediten vor.

Jeder fünfte Euro muss eingespart werden

Die Bilanz der Prosa, die nicht im Papier steht, lautet, dass jedes Referat 20 Prozent seiner bisherigen laufenden Aufwendungen einzusparen hat. Die sieben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sollten bis Juli, „konkrete Vorschläge einbringen, die zu Aufwandminderungen führen“. Um 20 Prozent Kürzung zu erreichen, müssen alle freiwilligen Leistungen der Stadt und Zuschussprogramme unter die Lupe genommen werden. Am Ende wird der Gemeinderat über die Liste der Grausamkeiten und damit Betroffenheiten entscheiden. Schon heute ist klar, dass die Kulturförderung nicht im bisherigen Ausmaß weiter betrieben werden kann. Das dürfte auch für Sportvereine gelten.

Hohe Haushaltsreste

Verwaltung und Rat könnten auch bereits beschlossene Investitionsvorhaben auf den Prüfstand stellen, um Geld freizubekommen. Stuttgart schiebt eine Bugwelle nicht abgearbeiteter Investitionsentscheidungen vor sich her. Ende 2024 summierten sich diese Budgetreste im Finanzhaushalt (Investitionsmittel) auf 1,08 Milliarden Euro (Vorjahr: 896 Millionen). Auch im Ergebnishaushalt war noch viel Geld in der Kasse: 212 Millionen „konsumtive Budgetreste“ hatten sich angesammelt. Diese beiden Summen werden als so genannte Ermächtigungsübertragungen in das nächste Jahr weitergeschoben, stehen also weiter zur Verfügung. Das muss aber nicht so sein. Die Frage ist allerdings, ob Verwaltung oder Fraktionen sich dem vorhersehbar großen Ärger aussetzen wollen, den eine Rücknahme früherer Investitionsentscheidungen auslösen würde. Der Erholungseffekt der achtwöchigen Sommerpause wäre dann wohl schlagartig dahin.