Berlin – Immer mehr Schulden, aber immer größere Haushaltslöcher: Finanzchaos in Deutschland! Im kommenden Jahr nimmt die Regierung 174,3 Milliarden Euro Schulden auf. 89,9 Milliarden im Haushalt, 84,4 Milliarden aus den Sondervermögen Infrastruktur und Bundeswehr (2027: 172,6, 2028: 174,9 Milliarden, 2029 sogar 186,1 Milliarden Euro).
Damit steigt die geplante Verschuldung bis 2029 auf sagenhafte 851 Milliarden Euro. Gleichzeitig klafft ein immer größeres Loch im Staatshaushalt: Bis 2029 muss die schwarz-rote Regierung 171 Milliarden einsparen oder mehr an Steuern reinholen (2027: 34 Milliarden, 2028: 63 Milliarden, 2029: 74 Milliarden Euro).
Heißt: Während wir immer mehr Schulden aufnehmen, fehlt im regulären Haushalt immer mehr Geld! Denn die neuen Sondervermögen dürfen nur für Rüstung und Infrastruktur genutzt werden („Zweckgebundenheit“).
Die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm (53) sagt zu BILD: „Deutschland hat den Kompass verloren. Statt über notwendige Reformen zu sprechen, klammert man sich daran, dass die Stimmung in der Wirtschaft nun besser wird.“
Keine strukturellen Reformen in Sicht
Umfragen würden den Stimmungsumschwung zwar bestätigen – doch ohne strukturelle Reformen werde er nicht von Dauer sein. „Und diese sind nirgends in Sicht“, so die Expertin. Und: Das Wachstum in Deutschland ist im zweiten Quartal wieder zurückgegangen. Von April bis Juni schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,1 Prozent.
Klar ist: Die Neuverschuldung von mehr als 850 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode stellt etwa rund die Hälfte des bisherigen deutschen Schuldenstands dar.
SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil (47) und Kanzler Friedrich Merz (69, CDU) wollen die Wirtschaft wieder ankurbeln. Aber wie?
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„Die Bundesregierung nutzt die zusätzlichen Spielräume, um den Anstieg der Sozialausgaben nicht eindämmen zu müssen“, so Grimm. Durch zusätzliche Leistungsansprüche – etwa aus der Mütterrente – und die steigenden Zinslasten werde der Haushalt „weiter versteinert“. All das sei „keine Agenda für Wachstum“.
▶︎ Der Staatshaushalt leide unter „einer anhaltend hohen Ausgabenlast, einer Staatsquote von über 50 Prozent, ungelösten Strukturproblemen und einer dynamisch zunehmenden Schuldenlast für kommende Generationen“, sagt Grimm.
Zum Vergleich: Die Staatsquote (das Verhältnis zwischen Wirtschaftsleistung und staatlichen Ausgaben) liegt in den USA bei 37 Prozent, in der Schweiz bei 33 Prozent. In den EU-Staaten bewegt sich die Zahl bei lähmend hohen 49 Prozent. Heißt: Jeden zweiten Euro, den wir erwirtschaften, gibt der Staat aus.
Schon kurzfristig könnte man durch Reformen beim Bürgergeld, der Rente und durch Subventionsabbau im Haushalt hohe zweistellige Milliardenbeträge freischaufeln, so Grimm.
Grimm verteidigt Reiche-Vorstoß
Fazit: Die aktuell diskutierten Reformvorschläge greifen zu kurz, weil sie niemandem wehtun sollen! „Als kürzlich die Wirtschaftsministerin eine längere Lebensarbeitszeit gefordert hat, kam sogar aus der eigenen Partei Gegenwind. So kommen wir nicht weiter“, klagt die Ökonomin.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche ist derzeit in Deutschland unterwegs und besucht Unternehmen – wie hier im Hamburger Hafen: Das Thema Lebensarbeitszeit steht weiterhin im Fokus
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Über die nie dagewesene Verschuldung in Deutschland würden sich bald auch andere Länder freuen, so Grimm!
Das Geld fließe natürlich nicht nur in zusätzliche Investitionen, meint die Ökonomin: „Wir haben am Sonntag live erleben können, warum sich alle über die deutschen Verschuldungsspielräume freuen: Wir werden davon in großem Umfang Rüstungsgüter in den USA kaufen – viele der hochverschuldeten Mitgliedstaaten der EU werden da wenig beitragen können.“
Veronika Grimm zählt zu den wichtigsten Wirtschaftsexpertinnen Deutschlands. Sie lehrt Volkswirtschaft an der TU Nürnberg (Spezialgebiet: Energie). Seit 2020 ist sie eines von fünf Mitgliedern im Sachverständigenrat, den sogenannten Wirtschaftsweisen.