Mit seiner Drohung, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, hat Keir Starmer heftige innenpolitische Debatten ausgelöst. Am Dienstag kündigte der Premierminister an, im September Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen, sollte sich Israel nicht auf einen Friedensprozess einlassen und konkrete Schritte zu einer Zwei-Staaten-Lösung unternehmen. Er sprach vom „unveräußerlichen Recht“ der Palästinenser auf einen eigenen Staat.

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Starmer folgt damit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der bereits letzte Woche die Anerkennung Palästinas angekündigt hatte. Am Mittwoch zog Kanada nach: An der Uno-Vollversammlung im September werde das Land einen palästinensischen Staat anerkennen, sagte Premierminister Mark Carney. In Europa haben sich unter anderem Irland, Spanien und Norwegen für einen palästinensischen Staat ausgesprochen.

Politischer Richtungswechsel

Für Großbritannien ist es ein bedeutender außenpolitischer Richtungswechsel. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden israelischen Angriff auf Gaza stand Großbritannien Israel beiseite – auch Keir Starmer, der im Juli 2024 als Premierminister antrat, hielt zur Regierung von Benjamin Netanyahu.

Aber seit einigen Monaten sind in Westminster zunehmend kritische Stimmen zu hören. Sowohl Labour-Abgeordnete wie auch Oppositionspolitiker fordern eine härtere Gangart gegenüber Israel. Seit sich die von Israel verursachte Hungersnot in Gaza zu einer flächendeckenden humanitären Katastrophe ausweitet, sind diese Forderungen lauter geworden.

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Letzte Woche prangerte der Tory-Abgeordnete Kit Malthouse die Regierung wegen ihrer „Tatenlosigkeit“ und „Feigheit“ im Angesicht der israelischen Kriegsführung an. Er fragte Außenminister David Lammy, ob er sich nicht bewusst sei, dass er aufgrund seiner Unterstützung Israels „in Den Haag landen könnte“ – eine Anspielung auf den internationalen Strafgerichtshof.

Wenige Tage später unterzeichneten rund 220 Abgeordnete aus neun Parteien – 131 davon Labour – einen offenen Brief, in dem sie die Anerkennung Palästinas als Staat forderten. „Eine Anerkennung würde eine starke symbolische Botschaft senden, dass wir die Rechte der Palästinenser unterstützen und dass sie nicht allein sind“, schrieben die Unterzeichner.

Einstellungen ändern

Am Dienstag gab Starmer dieser Forderung nach. Die Anerkennung Palästinas werde noch vor der Uno-Generalversammlung im September erfolgen, wenn sich Israel nicht einem dauerhaften Waffenstillstand verpflichtet, sagte der Premierminister. Er verwies auf die „untragbare Situation“ in Gaza und warnte, dass eine Zwei-Staaten-Lösung zunehmend unwahrscheinlicher werde. Er forderte zudem Hamas auf, die verbleibenden Geiseln auf freien Fuß zu setzen – auch das sei eine Bedingung für die Anerkennung Palästinas.

Kritik von beiden Seiten

Die Ankündigung hat teilweise heftige Kritik ausgelöst. Wenig überraschend schäumte der israelische Premier Netanjahu vor Wut. Er sagte, dass ein „dschihadistischer Staat“ an der Grenze zu Israel bald auch Großbritannien bedrohen werde. Auch ehemalige Geiseln, die von der Hamas gekidnappt wurden, sind entsetzt. Die britisch-Israelin Emily Damari, die im Januar freigelassen wurde, sagte: „Premierminister Starmer steht nicht auf der richtigen Seite der Geschichte.“

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Allerdings zeigen Umfragen, dass Starmer durchaus im Sinn der Öffentlichkeit gehandelt hat: Eine Erhebung des Instituts YouGov hat ergeben, dass 45 Prozent der Briten eine Anerkennung Palästinas als eigenständiger Staat begrüßen – nur 14 Prozent sind dagegen, während 41 Prozent unsicher sind.

Die Ankündigung hat teilweise heftige Kritik ausgelöst. Wenig überraschend schäumte der israelische Premier Netanyahu vor Wut.

Starmer ist auch von pro-palästinensischer Seite unter Beschuss gekommen. Ed Davey, Vorsitzender der Liberaldemokraten, sagte, Starmer hätte Palästina „schon vor Monaten“ anerkennen sollen; die Regierung müsse weit mehr unternehmen, um das humanitäre Desaster in Gaza zu stoppen. Auch die Grünen sprachen von einer „politischen Geste“, die wenig ausrichten werde.

Der ehemalige Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei, Humza Yousaf, sagte, ein palästinensischer Staat sollte nicht von bestimmten Bedingungen für Israel abhängig sein – es sei das Recht der Palästinenser. Yousaf hatte wenige Tage zuvor bekanntgegeben, dass eines seiner Familienmitglieder in Gaza von israelischen Streitkräften erschossen wurde.

Experten gehen zwar nicht davon aus, dass Starmers Richtungswechsel konkrete Folgen haben wird. „Wenn man in Gaza hungert, dann werden die Worte von Diplomaten und Politikern wenig ausrichten“, sagte der ehemalige US-amerikanische Diplomat William Lawrence gegenüber Al Jazeera. „Aber in diplomatischer Hinsicht ist es riesig.“ Es werde den Druck auf die USA und Israel erhöhen, vor allem weil Starmer konkrete Forderungen gestellt hat.