Stand: 01.08.2025 17:31 Uhr

Für Hannover 96 soll die siebte Zweitliga-Saison die letzte sein. Dafür haben sich die Niedersachsen eine Frischzellenkur verschrieben. 16 neue Spieler wurden für das Ziel Aufstieg an den Maschsee geholt, 15 Profis abgegeben. Der größte Hoffnungsträger aber ist der vom Ligarivalen 1. FC Magdeburg abgeworbene Coach Christian Titz.

von Hanno Bode und Tom Gerntke

Es tun sich in diesen Tagen im wahrsten Sinne des Wortes tiefe Gräben in Hannover auf. Genau genommen in der Robert-Enke-Straße. Und noch genauer genommen vor dem dort stehenden Stadion am Maschsee. Der Gehweg vor dem Fußball-Tempel der „Roten“ wird erneuert – und damit der Gehweg der 96-Profis zum Trainingsplatz im Schatten der Arena etwas länger.

Dass vor dem Stadion, das übrigens den Namen eines Massivhausanbieters trägt, aktuell tagtäglich gebuddelt wird, passt perfekt in das Bild des Zweitligisten, der doch so gerne keiner mehr sein möchte. Nach dem vorgenommenen XXL-Umbruch in diesem Sommer mit 16 Zu- und 15 Abgängen gleicht das Team noch einer riesigen Baustelle.

Trainer Christian Titz und Sport-Geschäftsführer Marcus Mann (v.l.) von Hannover 96

Der neue Coach soll die Niedersachsen nach sieben Jahren zurück ins Oberhaus führen. Seine Verpflichtung begann außergewöhnlich.

Titz: „Großer Umbruch hat ein Für und Wider“

Hannover ist neben Bundesliga-Absteiger VfL Bochum, der ebenfalls beherzt ein- und verkauft hat, die größte Wundertüte der Zweiten Liga. So groß wie nun geschehen hätten die personellen Renovierungsarbeiten laut Titz aber gar nicht ausfallen müssen. „Das hat ein Für und Wider. Es waren ja auch viele Spieler unter den Abgängen dabei, die eine hohe Qualität haben. Aber gleichzeitig hatten wir auch die Chance mit diesem Umbruch, dass du deine Gedanken verwirklichen konntest, wie du eine Mannschaft auf den einzelnen Positionen gestalten möchtest“, sagte der 54-Jährige im NDR Interview.

Für den gebürtigen Mannheimer mit Vergangenheit beim Nordrivalen Hamburger SV hat 96 viel in Bewegung gesetzt. Sportgeschäftsführer Marcus Mann ist sogar nach Ibiza gedüst, um den Fußballlehrer dort von einem Engagement an der Leine zu überzeugen.

Und als Titz dann seinen Daumen gehoben hatte, mussten noch die hartnäckigen Magdeburger davon überzeugt werden, den Coach trotz gültigen Vertrags ziehen zu lassen. Ein paar Euro vom 96-Festgeldkonto halfen schließlich, den Wechsel möglich zu machen.

Magdeburgs Trainer Christian Titz

Die Datenanalyse zeigt, mit dem neuen Trainer und 96 könnten sich zwei gesucht und gefunden haben. Nur Torwart Ron-Robert Zieler könnte ein Problem bekommen.

Kann Coach bei 96 an Magdeburg-Zeiten anknüpfen?

Nach viereinhalb erfolgreichen Jahren beim früheren Europapokalsieger inklusive verhinderten Drittliga-Abstieg und Zweitliga-Aufstieg beginnt damit für Titz nun ein neuer Lebensabschnitt beim früheren Pokalsieger. Insgesamt sei in Hannover alles eine Nummer größer als in Magdeburg, so der staatlich geprüfte Betriebswirt. Damit einhergehend gibt es an ihn und das Team auch eine andere Erwartungshaltung als bei seiner vorigen Station.

96 und fast die ganze Stadt lechzen nach der Bundesliga. Der neue Coach, von den HSV-Fans einst trotz Abstiegs als „Big Titz“ tituliert, soll endlich richten, woran vor ihm in den vergangenen sechs Zweitliga-Jahren sechs Übungsleiter exklusive zwei Interimslösungen gescheitert sind. Er soll den Aufstieg schaffen.

Saisonstart am Sonntag gegen Kaiserslautern

Trainer Christian Titz

Christian Titz baute sich in Magdeburg durch Drittliga-Klassenerhalt und Zweitliga-Aufstieg ein Denkmal.

Das weiß Titz. Das weiß die Mannschaft. Das wissen die Fans. Und doch ist der Coach seit seiner Ankunft vor eineinhalb Monaten am Maschsee in jedem Interview bemüht, den Ball flach zu halten. Der gebürtige Mannheimer scheut das „A-„Wort wieder Teufel das Weihwasser. So auch vor dem Liga-Auftakt am Sonntag (13.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) gegen den 1. FC Kaiserslautern.

„Wir haben schon konkrete Ziele als Mannschaft“, sagte Titz und holt aus, um über Optionen im Spielaufbau und Möglichkeiten der Arbeit gegen den Ball zu sprechen. „Wenn wir diese Dinge sehr gut machen, dann erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir möglichst viele Spiele gewinnen“, schließt der 54-Jährige.

Hannovers Sportchef Marcus Mann (l.) und Neuzugang Jonas Sterner.

Alle Zu- und Abgänge der norddeutschen Fußball-Zweitligisten Kiel, Hannover 96 und Eintracht Braunschweig in der Saison 2025/2026 im Überblick.

Titz verspricht attraktiven, risikoreichen Fußball

Titz lebt vor, was 96 seit dem Abstieg 2019 oft fehlte: Demut und Geduld. Auch deswegen haben sie ihn geholt, weil er als inhaltsstarker Trainer bekannt ist. Und eben nicht als Marktschreier. Dass der 54-Jährige Mannschaften entwickeln kann, hat er oft genug bewiesen. In Hamburg, in Essen und zuletzt sehr erfolgreich in Magdeburg. Seine Teams standen stets für offensiven, attraktiven Fußball.

So soll es nun auch in Hannover sein. Also dort, wo sechs Jahre vor sich hingewurschtelt und viel Geld verbrannt wurde. Nun darf und soll gerne etwas Struktur in die ganze Geschichte kommen. Und Titz soll diese Struktur schaffen, der neu formierten Mannschaft eine Handschrift geben.

Die vielen Zugänge? Kein Problem für ihn! „Egal auf welcher Station: Wir haben die Art, wie wir gespielt haben, auch dem Spielermaterial angepasst. Jetzt haben wir es öfter mal, dass wir mit einer Dreierkette und einer schwimmenden Sechs spielen. Es ist sehr variabel“, sagte Titz. Ihm ist wichtig, dass seine Kicker ins Risiko gehen. Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig: „Fußball ist ein Fehlerspiel. Und dazu gehört, dass verzeihen können eine ganz wichtige Eigenschaft ist. Und die habe ich.“

Nach Abgängen von Zieler und Co: Team muss neue Hierarchie finden

Obwohl 96 etliche Stammkräfte wie Keeper Ron-Robert Zieler, Abwehrchef Marcel Halstenberg oder Mittelfeldmann Fabian Kunze verlassen haben und sich somit erst einmal eine neue Hierarchie finden muss, hinterließ das neue Team in den Testspielen einen guten und auch schon gefestigten Eindruck.

„Wir haben uns in der Vorbereitung gut gefunden. Und nun müssen wir das ganze unter den Stressfaktoren aufs Spielfeld bringen“, sagte Titz. Er verspricht den leidgeprüften 96-Fans zwar nicht den Aufstieg, aber zumindest ein bisschen mehr Spektakel als zuletzt: „Wir wollen versuchen, mit und gegen den Ball aktiv zu sein. Und im Spiel nach vorne ist es toll, wenn ein Spieler ins eins gegen eins geht. Dafür gehen wir ja auch ins Stadion.“

Ron-Robert Zieler von Hannover 96 zeigt den Daumen.

Die Niedersachsen verlieren mit dem Abgang ihres Kapitäns eine Identifikationsfigur, die es unter dem neuen Coach Christian Titz womöglich schwer gehabt hätte.

Nielsen mit 32 Jahren „Oldie“ in junger 96-Mannschaft

Die Euphorie am Maschsee ist riesengroß. Im Vorverkauf gingen bereits 46.000 Karten für die Heimpremiere gegen Kaiserslautern über die Ladentheke. Das Stadion dürfte gleich zum Auftakt ausverkauft sein. Es kommen wohl auch deswegen so viele Fans, weil die Mannschaft so neu, so spannend ist. Denn viele der Zugänge wie der neue Abwehrchef Virgil Ghita, Regisseur Waniss Taibi oder die Angreifer Benjamin Källman und Mustapha Bundu sind in Deutschland zwar noch unbeschriebene Blätter, zeigten aber in den Testspielen schon verheißungsvolle Ansätze.

Hannovers Havard Nielsen reagiert auf einen Gegentreffer

„Oldie, but Goldie“? Havard Nielsen ist mit 32 Jahren ältester 96-Profi.

Überhaupt scheint in diesem dieser Kader mit Profis aus zwölf Nationen und vielen Akteuren, die bis dato noch nicht auf der ganz großen Fußballbühne tanzten, ganz viel Potenzial zu schlummern. Und mit einem Durchschnittsalter von nicht einmal 25 Jahren ist das Aufgebot eines mit Zukunft. Einzig Havard Nielsen könnte sich als ältester Spieler zumindest schon einmal über seine Fußball-Rente vorinformieren. Mit 32 Jahren ist der Norweger allerdings auch noch immer viel zu jung, um schon das Leben als Privatier zu beginnen.

Bewahrt Mehrheitsgesellschafter Kind die Ruhe?

Geschäftsführer Martin Kind von Fußball-Zweitligist Hannover 96

Will endlich zurück in die Bundesliga: 96-Mehrheitsgesellschafter Martin Kind.

Noch einmal Bundesliga. Am besten mit 96 – das wäre doch was für Nielsen. Und natürlich auch all seine Teamkameraden. Damit würden sie auch Mehrheitsgesellschafter Martin Kind einen großen Wunsch erfüllen. Der Unternehmer hat in den vergangenen Jahren viele, viele Millionen Euro in den Verein gepumpt. Das war aber nur die eine Seite der Medaille. Denn Kind war manchmal auch wie ein beleidigtes Kind und teilte via der lokalen Presse gegen Trainer und Manager von 96 aus. In dieser Gemengelage war ein ruhiges Arbeiten zuweilen schwer.

Was gegen die an der Leine schnell aufkommende Unruhe am besten hilft? Siege, Siege, Siege. Dessen ist sich auch Titz bewusst. Und Hannovers Hoffnungsträger hat auch gleich ein ganz gutes Rezept aus Magdeburg mitgebracht: „Wenn das Spiel startet, dann gehen wir raus und wollen gewinnen.“

Alles auf Angriff also nach einem Sommer, in dem bei 96 alles auf Null gestellt wurde. Bleibt jedoch abzuwarten, ob es in der Robert-Enke-Straße bei der aktuellen Baustelle vor dem Stadion bleibt. Sollte das Titz-Team nicht relativ rasch in die Erfolgsspur finden, sind weitere Umbaumaßnahmen nicht ausgeschlossen. Dann aber nicht vor dem Stadion, sondern an der Mannschaft…

U20-Nationaltorhüter Nahuel Noll (von Hannover 96 ausgeliehen)

Der Zweitligist hat schnell auf den Abgang von Ron-Robert Zieler reagiert. Aus Hoffenheim kommt auf Leihbasis Nahuel Noll.

Marcus Mann

Marcus Mann will Hannover 96 bundesligareif machen. Im NDR Interview erklärt er, wie der Aufstieg gelingen soll.